Das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) feierte im Juni seinen fünften Geburtstag. Aus diesem Anlass fragen wir: Welche Besonderheiten hat das LADG, welche Erfolge wurden in der Praxis gefeiert und welche Herausforderungen und Misserfolge gab und gibt es? Dazu haben wir auch Einschätzungen von Dr. Doris Liebscher, Leiterin der LADG-Ombudsstelle, eingeholt.
Diese Neuheiten und Besonderheiten brachte das LADG
Das Gesetz gilt für öffentliche Stellen, die in § 3 Abs. 1 LADG aufgezählt sind. Damit schützt es Menschen im Verhältnis zum Staat, während das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zwischen Privaten Schutz bietet. Die Diskriminierungsmerkmale werden in § 2 LADG aufgezählt. Dort werden neben den Merkmalen aus Art. 3 Abs. 3 GG auch chronische Erkrankungen, das Lebensalter, die sexuelle Identität und der soziale Status genannt. Dadurch werden Schutzlücken geschlossen und manchmal verkannte Diskriminierungsmerkmale verrechtlicht. § 6 LADG verbietet Maßregelungen, wenn LADG-Rechte in Anspruch genommen werden oder das Ausführen LADG-widriger Anweisungen verweigert wird. Gleiches gilt gegenüber Dritten, die Betroffene unterstützen oder als Zeug*innen aussagen.
Gemäß § 7 genügt es, Tatsachen glaubhaft zu machen, die das Vorliegen einer Diskriminierung oder Maßregelung überwiegend wahrscheinlich machen. Dann obliegt es der öffentlichen Stelle, das Gegenteil zu beweisen. So sollen Ansprüche effektiver durchgesetzt werden können.
§ 8 LADG regelt eine Schadensersatzpflicht. Demnach können auch Nichtvermögensschäden durch Geldzahlungen entschädigt werden können.
Nicht nur Privatpersonen können Rechte aus dem LADG vor Gericht geltend machen, sondern auch Antidiskriminierungsverbände im Sinne von § 10. Mit der Verbandsklage nach § 9 können systematische rechtswidrige Praxen besser angegriffen werden.
Eine Ombudsstelle unterstützt Betroffene und vermittelt zwischen ihnen und den öffentlichen Stellen. Sie wurde im September 2020 eingerichtet. Seitdem erreichten sie rund 4.000 Beratungsanfragen, davon 1.785 LADG-Beschwerden, teilte die Ombudsstelle mit. Demnach geht es bei den meisten Beschwerden um rassistische Diskriminierung und Diskriminierung aufgrund von Behinderungen und chronischen Erkrankungen. Danach folgten Diskriminierungen wegen des Geschlechts, der Geschlechtsidentität und der sexuellen Identität. Zunehmend würden Diskriminierungen wegen des sozialen Status gemeldet.
Diskriminierungsbeschwerden gehen auch bei der Berliner Verwaltung direkt ein. Laut einem jüngsten Bericht des Senats richteten sich diese 2024 primär gegen Bezirksämter, gefolgt von Schulen und Kitas. An dritter Stelle stand die Polizei. Im Vergleich zu den Vorjahren wurden mehr Fälle gemeldet.
Fünf Jahre LADG – eine Auswahl der Erfolge
Vor Gericht wurde bereits erfolgreich nach dem LADG geklagt. So hat etwa ein Fahrradfahrer erfolgreich vom AG Mitte feststellen lassen, dass er von der Polizei rassistisch diskriminiert wurde. Nachdem die Beamten bei der Verkehrskontrolle nach Wohn- und Geburtsort fragten, antwortete der Mann ihnen „Bochum”. Einer der Polizisten fragte weiter, woher er wirklich komme. Die Situation beschrieb der Kläger unter anderem als “aggressiv“ und “herabwürdigend”. Das Gericht stellte richtigerweise fest, dass dies keine einfache Frage, sondern eine rassistische Unterstellung war. Der Kläger erhielt 750 Euro Schadensersatz.
Ein zweites Beispiel: Der „Plansche”-Fall. Eine Mutter sonnte sich oberkörperfrei auf dem Wasserspielplatz “Plansche” und wurde vom Sicherheitsdienst deshalb rausgeschmissen. Dass ihr Freund oberkörperfrei ebenfalls dort lag, störte die Security nicht. Nachdem das LG Berlin noch auf das „geschlechtliche Schamgefühl” abstellte, legte das Kammergericht dem Land Berlin nahe, den Anspruch der Klägerin anzuerkennen, was auch geschah.
In einem anderen Fall wandten sich trans, inter und nicht-binäre Studierende gegen die Humboldt Universität, weil sie auf dem Studierendenausweis nur den sogenannten Deadname, also nicht den selbstgewählten Namen, führen konnten. § 2 LADG schützt auch die geschlechtliche Identität. Die Uni lenkte vor einer Gerichtsentscheidung ein, sodass das Ziel ohne Urteil erreicht wurde.
An gerichtlichen Verfahren wirkt die Ombudsstelle regelmäßig mit amicus-curiae-Stellungnahmen mit. Das sind Stellungnahmen, die von Gerichten freiwillig berücksichtigt werden können.
Die Ombudsstelle betont gleichzeitig die Relevanz von außergerichtlicher Schlichtung:
“Meistens geht es den beschwerdeführenden Personen um Sichtbarkeit und Anerkennung des erlebten Unrechts, eine Entschuldigung und auch darum, dass Strukturen nachhaltig verändert werden. Das ist im außergerichtlichen Schlichtungsverfahren der Ombudsstelle in der Regel besser zu erreichen.”, so Dr. Doris Liebscher, Leiterin der LADG-Ombudsstelle, gegenüber dem Grund- und Menschenrechtsblog.
In diesen Verfahren hätte es besser laufen sollen
Im oben genannten Plansche-Fall wurde der Klägerin eine dreistellige Summe zugesprochen und sie musste die Prozesskosten tragen. Das Kammergericht argumentierte hinsichtlich der Höhe der Entschädigungssumme, “dass die Klägerin ein gesellschaftspolitisches Anliegen verfolgt haben mag”. Sie sei „bewusst und gewollt in eine Konfrontation getreten“. Damit sei die Situation anders, als wenn ein*e Bürger*in einer staatlichen Übermacht unvorhergesehen und unentrinnbar gegenüberstehe. Das Gericht verkennt damit Ursache und Wirkung, wie die Gesellschaft für Freiheitsrechte argumentiert, die die Klägerin unterstützt hatte. Das Urteil hat einen negativen Beigeschmack – es klingt nach: Wer Rechte geltend macht, sollte nicht zu kämpferisch wirken oder gesamtgesellschaftliche Ziele verfolgen. Diskriminierungen bewegen sich aber in aller Regel in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext. Die Rechtsdurchsetzung und das Engagement rund um eine Diskriminierung – oft gerade aufgrund einer Diskriminierungserfahrung – dürfen nicht missbilligt oder erschwert werden.
Ein anderer Fall: Bei einer Fahrscheinkontrolle wurde ein Schwarzer Mann rassistisch vom Personal angegriffen und beleidigt. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wurden wegen Diskriminierung des Fahrgastes zu 1.000 Euro Schadensersatz nach § 823 BGB verurteilt. Das Amtsgericht Mitte lehnte dabei jedoch die Anwendung des LADG mit der Argumentation ab, dass dafür maßgeblich sei, ob eine Verwaltungsaufgabe ausgeübt werde. Nach Ansicht des Gerichts handelte es sich bei der Fahrscheinkontrolle um rein privatrechtliches Handeln im Rahmen eines Beförderungsvertrags und nicht um die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben. Dies wird mitunter kritisiert.
Eine solche Auslegung der Gerichte, die diese Konstellationen vom Anwendungsbereich des LADG ausnimmt, führt zu einer Schutzlücke. Die sachnahen Regelungen des LADG finden dann keine Anwendung.
LADG, Ombudsstelle und Praxis: So gehts besser
Die Leiterin der Ombudsstelle, Dr. Doris Liebscher schreibt uns: Das LADG sei im Großen und Ganzen gut, so wie es ist. Sie sieht trotzdem Verbesserungsbedarf.
Die Erfahrung der letzten fünf Jahre habe gezeigt, dass eine Erweiterung der Diskriminierungsmerkmale um Staatsangehörigkeit, Aufenthaltsstatus, Familienstand und Fürsorgeübernahme sinnvoll wäre, so Liebscher.
Auch wird oft nicht gut mit Beschwerden umgegangen. Liebscher berichtet aus der Praxis: “Verwaltung ist oft sehr hierarchisch und nicht besonders fehler- und veränderungsfreudig, das merken wir in der Beschwerdebearbeitung.”
Auch nach Antidiskriminierungssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) braucht es eine Verbesserung der Fehlerkultur. Es gebe in der Berliner Verwaltung einen stärkeren Widerwillen, Fehler einzugestehen und daraus positiv zu lernen, als in der Wirtschaft. Dr. Doris Liebscher plädiert für eine Berichtspflicht gegenüber der Ombudsstelle und ein Recht dieser zu kontrollieren, inwiefern ihre Handlungsempfehlungen umgesetzt werden
Die Fortbildungsverpflichtungen aus § 11 Abs. 4 LADG würden laut Liebscher noch viel zu wenig umgesetzt werden.
“Auch die Verpflichtung aus § 3 Abs. 2 LADG, dass das Land Berlin bei Mehrheitsbeteiligungen auf die Umsetzung des LADG achtet, ist noch nicht richtig umgesetzt. Ein Hinweis auf das LADG fehlt beispielsweise immer noch in der Mustersatzung für Beteiligungsunternehmen, die für die städtischen Wohnungsbauunternehmen gilt”, so Dr. Liebscher.
Für marginalisierte Gruppen und mehrfachdiskriminierte Menschen bedeutet Diskriminierung durch staatliche Stellen eine zusätzliche Belastung. Fehlende finanzielle, sprachliche oder psychische Ressourcen, erschweren ein individuelles Klageverfahren oder die eigenständige Durchsetzung des LADG. Die Ombudsstelle wird auf individuelle Beschwerde hin tätig. Auch hier zeigt sich Spielraum für eine von der Ombudsstelle gewünschten rechtlichen Weiterentwicklung des LADG: Die Arbeit würde durch ein gesetzliches, einzelfallunabhängiges Interventionsrecht erleichtert werden, so Dr. Liebscher
Die wachsende Zahl der Beschwerden und die Erfahrungen der Ombudsstelle unterstreichen auch nach fünf Jahren die Relevanz des Landesantisdiskriminierungsgesetzes.
Mitten in der Nacht wirst du durch ein Klingeln aus dem Schlaf gerissen. Die Polizei…
Trotz des Umstands, dass der Bundestag im Januar vergangenen Jahres die Verbrechen des "IS" an…
Viele Opfer von Femiziden waren im Vorfeld nicht nur einer Spirale häuslicher Gewalt ausgesetzt, sondern…
Der deutsche Gesetzgeber hat am 04.01.2023 (BGBl. II 2023, Nr. 4 12.01.2023) die Voraussetzungen für…
Die Diskussion um Menschenrechte als vermeintlich aufgezwungenes, westliches Exportprodukt findet während der Fußball-WM in Katar…
Nach einer Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) hat fast jede dritte Person ab 14 Jahren in…