Abschiebehaft – Wen schützt das Recht auf Freiheit?

Mitten in der Nacht wirst du durch ein Klingeln aus dem Schlaf gerissen. Die Polizei steht vor der Tür. Bevor du verstehst, was passiert, musst du deine Sachen packen, deine Kinder beruhigen. Ein paar Stunden später sitzt ihr in Haft. Und du fragst dich, was du falsch gemacht hast.

Was für Deutsche unvorstellbar klingt, kann für Personen ohne sicheren Aufenthaltsstatus grausame Realität werden – und das mitten in Deutschland. Regelmäßig landen ausreisepflichtige Menschen in Deutschland in Abschiebehaft, unter ihnen auch Familien mit Kindern. Dabei verstößt sowohl die derzeitige gesetzliche Ausgestaltung der Abschiebehaft in den §§ 62 ff. AufenthG als auch die überwiegende Praxis der Amtsgerichte gegen die durch Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG geschützte Freiheit der Person. Nun hat sich diese Situation durch das im Februar in Kraft getretene sog. Rückführungsverbesserungsgesetz noch weiter verschärft.

Rechtliche Einordnung

Doch was genau ist eigentlich unter der Abschiebehaft zu verstehen? Sie bezeichnet eine Reihe freiheitsentziehender Maßnahmen, darunter unter anderem die Vorbereitungshaft, § 62 Abs. 2 AufenthG, die Sicherungshaft, § 62 Abs. 3 AufenthG und der Ausreisegewahrsam, § 62b AufenthG. Ihr Zweck ist die Sicherung von Abschiebungen, d.h. die Fortbringung von ausreisepflichtigen Personen aus dem Bundesgebiet unter Anwendung staatlichen Zwangs (§ 58 AufenthG). Angeordnet wird eine Abschiebehaft dann, wenn anderenfalls von einer Vereitelung der Abschiebung auszugehen ist. Anknüpfungspunkt für diesen Verdacht ist etwa bei der Sicherungshaft das Vorliegen einer Fluchtgefahr, § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AufenthG. Die Haftdauer der verschiedenen Instrumente variiert und kann im Fall der Sicherungshaft bis zu 18 Monate andauern, § 62 Abs. 4 AufenthG.

Verfassungswidrige Gesetzeslage

Die Abschiebehaft erweist sich bereits auf Ebene des Gesetzes als ein höchst problematisches und zum Teil unverhältnismäßiges Instrument, das weder den hohen verfassungsrechtlichen Anforderungen an Freiheitsentziehungen noch ihrem eigentlichen Ziel einer Effizienzsteigerung von Abschiebungen gerecht wird.

Als Maßnahme der Freiheitsentziehung stellt die Abschiebehaft den intensivsten Eingriff in das Grundrecht der Freiheit der Person nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG dar. Dieses hat einen besonders hohen verfassungsrechtlichen Stellenwert und gilt für alle Menschen gleich. Es genießt zusätzlich internationalen Schutz über Art. 5 EMRK. Daher erfordert eine Freiheitsentziehung das Vorliegen besonders gewichtiger Gründe und eine strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung. Belange von ausreichendem Gewicht sind insbesondere das Bedürfnis nach einer wirksamen Strafverfolgung, der Schutz der Allgemeinheit oder des*der Betroffenen. Bei der Abschiebehaft geht es aber gerade nicht um eine Gefahrenabwehr, es wird auch kein Sühne- oder Strafzweck verfolgt. Zweck ist vielmehr die Sicherung effizienten Verwaltungshandelns, etwa durch die Erleichterung von Abschiebungen, die einen hohen organisatorischen Aufwand erfordern. Angesichts dieses verhältnismäßig geringen Gewichts des Zwecks müssen die betroffenen Rechtsgüter besonders sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.

Eine besondere Schieflage besteht im Fall des 2015 eingeführten Ausreisegewahrsams, § 62b AufenthG, da dieser keine evidenten Gründe für eine Freiheitsentziehung voraussetzt. Anders als bei der Sicherungshaft gehört eine Fluchtgefahr nicht zu den Voraussetzungen. Es reicht vielmehr der Ablauf der Ausreisefrist in Verbindung mit dem Vorliegen weiterer Umstände, wie etwa der Verletzung von Mitwirkungspflichten oder der Überschreitung der Ausreisefrist um über 30 Tage. Inwiefern das allein eindeutig auf eine Erschwerung der Abschiebung hinweist, ist nicht nachvollziehbar. Das Instrument des Ausreisegewahrsams beruht damit auf der Logik eines Generalverdachts gegenüber ausreisepflichtigen Personen hinsichtlich eines zukünftigen, den Verwaltungsablauf störenden Verhaltens.

Dies wird auch nicht dadurch aufgefangen, dass ein Gegenbeweis zum Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen möglich ist, vgl. § 62b Abs. 1 AufenthG. Denn dieser muss regelmäßig von dem*der Betroffenen selbst geführt werden. Dabei muss nicht nur das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Ausreisegewahrsams, sondern darüber hinaus bewiesen werden, dass sich die Person nicht der Abschiebung entziehen will. Der Gegenbeweis ist angesichts dieser hohen Anforderungen kaum zu leisten. Zugleich deutet die Regelung auf eine Fehlvorstellung über die beim Ausreisegewahrsam vorliegende Rechtslage hin. Denn der Ausreisegewahrsam stellt einen massiven Grundrechtseingriff dar, der erhebliche Begründungslasten aufseiten des Staates und nicht des*der Grundrechtsadressats*in auslöst.

Aber auch an anderer Stelle in den §§ 62 ff. AufenthG wird das bei Grundrechtseingriffen einzuhaltende Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht hinreichend berücksichtigt. Unter anderem bildet die gesetzliche Ausgestaltung der Vorbereitungs- und Sicherungshaft nicht eindeutig ab, dass die Haft ultima ratio bleiben muss. Zwar erwähnt § 62 Abs. 1 S. 1 AufenthG, dass die Abschiebungshaft unzulässig ist, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes Mittel erreicht werden kann. Der Wortlaut des § 62 Abs.  2 und 3 AufenthG („Ein Ausländer ist […] in Haft zu nehmen, wenn”) suggeriert jedoch, dass bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen das zuständige Gericht verpflichtet ist, Haft anzuordnen. Das kann dazu führen, dass Gerichte nicht berücksichtigen, dass im Regelfall viele weniger grundrechtsintensive Mittel zur Absicherung einer Abschiebung zur Verfügung stehen, die oft sogar erfolgversprechender sind. Dazu gehören etwa Meldeauflagen, die Abgabe von Reisedokumenten, die Verhängung einer Kaution, eine Beaufsichtigung im Rahmen eines Patensystems oder eine Ausreiseberatung. Die Abschiebehaft kann vielmehr sogar der Effektivität der Abschiebung entgegenstehen. Denn die Praxis zeigt, dass eine hohe Zahl an Abschiebehäftlingen keineswegs mit einer höheren Abschiebequote einhergeht – im Gegenteil. Das liegt vor allem daran, dass die meisten Abschiebungen nicht daran scheitern, dass die ausreisepflichtigen Personen untertauchen. Zudem verringert sich die Bereitschaft zur Kooperation eher durch die Erfahrungen in der Haft. Im Regelfall müssten also selbst bei Vorliegen von Ausreisepflicht und Haftgrund andere Mittel vorrangig zur Anwendung kommen.

Mindestens 50 % rechtswidrig in Haft

Hinzu kommt, dass die rechtlichen Vorschriften in der Praxis der nach § 23a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 6 GVG zuständigen Amtsgerichte häufig nicht beachtet oder fehlerhaft angewandt werden. Das zeigt sich an der hohen Aufhebungsrate der Entscheidungen der Amtsgerichte durch höhere Gerichte. Die genaue Zahl der rechtswidrig Inhaftierten lässt sich mangels hinreichender offizieller Statistiken nicht bestimmen. Einschätzungen ergeben Zahlen zwischen 52,2 % (Statistik von dem Rechtsanwalt Peter Fahlbusch) bis zu 85 – 90 % (Schätzung der BGH-Richterin aD Schmidt-Räntsch in: NVwZ 2014, 110). Obwohl dieser Vorwurf inzwischen schon länger besteht, hat die Politik bisher keinerlei Interesse an der Aufklärung der Sachlage gezeigt bzw. scheint sich vor einer solchen zu versperren (vgl. die Antwort auf eine Anfrage Abgeordneter der Fraktion DIE LINKE 2021).

Dabei scheitern die Amtsgerichte nicht etwa an komplexen rechtlichen Fragestellungen, sondern missachten nicht selten grundlegende Prinzipien. Der Rechtsanwalt Peter Fahlbusch berichtet unter anderem davon, dass nicht ausreisepflichtige Personen eingesperrt werden, dass kein Haftantrag ausgehändigt wird oder dass sogar Schwerkranke, die gar nicht haftfähig sind, inhaftiert werden.

Das erstaunt angesichts der engmaschigen verfassungsrechtlichen Vorgaben an das Verfahren bei einer Freiheitsentziehung. Diese sind vor allem in Art. 104 GG geregelt, welcher Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG durch Verfahrensgarantien ergänzt. Dazu gehört, dass nach Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG die Einhaltung der im Eingriffsgesetz vorgesehenen Formvorschriften Verfassungsrang erhält. Das bedeutet, dass die Nichtbeachtung der gesetzlichen Zuständigkeits-, Verfahrens- oder Formregelungen nicht nur gegen das einfache Gesetz, sondern zugleich gegen die Verfassung verstößt.

Es ist also davon auszugehen, dass mindestens die Hälfte der in Abschiebehaft sitzenden Personen zu Unrecht inhaftiert sind. In der Praxis der Amtsgerichte wird die Freiheit der Person von ausreisepflichtigen Menschen nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG demnach regelmäßig und in hohem Maße verletzt. 

Eine solche Erfahrung bleibt nicht folgenlos, sondern beeinträchtigt die Gesundheit der Inhaftierten oft schwer und langanhaltend. Die Rechtswidrigkeit der Haft wird jedoch oft erst im Nachhinein festgestellt. Zudem kann längst nicht jede Person in Abschiebehaft Klage erheben. Das wurde lange Zeit dadurch verstärkt, dass es keine*n Pflichtanwält*in für die Inhaftierten gab. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Praxis der Amtsgerichte mit der Einführung des § 62d AufenthG im Februar, der eine anwaltliche Vertretung verpflichtend anordnet, ändert. Dringend notwendig wären hierfür ausreichend Anwält*innen mit Expertise in Abschiebehaftverfahren.

Wo bleibt der Aufschrei?

Angesichts dieser erschreckenden Umstände wäre eine grundlegende Reform des Systems der Abschiebehaft zu erwarten. Stattdessen wurden im sog. Rückführungsverbesserungsgesetz zahlreiche Verschärfungen der Regelungen zur Abschiebehaft durchgesetzt. Unter anderem wurde die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams von 10 auf 28 Tage verlängert, § 62b Abs. 1 S. 1 AufenthG. Des Weiteren kann die Abschiebehaft künftig auch für Asylsuchende angeordnet werden, wenn im Zeitpunkt der Asylantragstellung die Voraussetzungen für die Abschiebehaft vorliegen, § 14 Abs. 3 AsylG. Damit können Personen nun auch nach Asylantragstellung und vor der Prüfung des Asylantrags inhaftiert werden. Zudem wurden die Haftgründe erweitert, § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, 4 AufenthG.

Angesichts der oben festgestellten erheblichen Bedenken an Verfassungsmäßigkeit und Effektivität der Abschiebehaft schockiert diese Reaktion der Politik zutiefst (für eine Einordnung siehe hier). Einen kleinen Erfolg stellt zwar die Einführung einer Pflichtbeiordnung von Anwält*innen dar. Das kann jedoch eine grundlegende Reform des Systems der Abschiebehaft nicht ersetzen. Um diese geht es der Bundesregierung aber auch nicht – das zeigt die Vielzahl an Verschärfungen. Mindestens genauso bedenklich ist aber das Ausbleiben eines gesellschaftlichen Aufschreis. Das Grundgesetz schützt eigentlich die Freiheit der Person für alle Menschen. In der Praxis wird aber ihre Missachtung bei ausreisepflichtigen Personen offensichtlich in Kauf genommen.

Abschiebungen trotz Genozids - Fehlender Schutz für Êzîd*innen