Sinti und Roma sind die wohl am meisten benachteiligten Minderheiten Europas. Vor allem in Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Rumänien leben sie in Parallelgesellschaften, diskriminiert und ausgestoßen von der Gesellschaft. Doch auch in Deutschland haben Sinti und Roma mit schweren Diskriminierungen und gesellschaftlicher Ausgrenzung zu kämpfen.
Ursachen und Folgen
Rassismus gegen diese Gruppen wird nach wie vor von großen Teilen der Gesellschaft als salonfähig angesehen. Zu den bestehenden Vorurteilen tragen in einem hohen Maß auch die Medien bei, die von „Armutszuwanderung“, „Romabanden“ und „Bettelmafia“ schreiben. Sie erzeugen eine beinahe selbstverständliche Unterstellung, Sinti und Roma seien kriminell, sodass Delinquenz bei ihnen sogar in der Justiz zum Abstammungsmerkmal qualifiziert wird. Als Folge sind die betroffenen Gruppen in ihrem Alltag Diskriminierungen und rassistischen Beleidigungen ausgesetzt. Solche wurden vor allem in den Bereichen Wohnen, Gesundheit, Bildung und Beschäftigung festgestellt. Hierbei wird besonders der Zugang zu sozialen Leistungen erschwert, verzögert oder nicht gewährt. Behörden und deren Sachbearbeiter*innen stellen sich – ob absichtlich oder nicht – quer und bringen nicht die nötige Sensibilität und das nötige Verständnis für die betroffenen Gruppen mit. Im Gegenteil: Sinti und Roma (und Menschen, die für Roma gehalten werden), stehen häufig unter pauschalem Betrugsverdacht: Antragsablehnungen, lange Wartezeiten, antiziganistische Beleidigungen und Schikanen sind der Regelfall.
Antiziganismus in Berlin
Amaro Foro e.V. erfasst jedes Jahr antiziganistische und diskriminierende Vorfälle in Berlin gegen Roma und gegen Menschen, die für Roma gehalten werden. Der Bericht verzeichnet hierbei Diskriminierungen in fast allen Lebensbereichen: auf der Straße, bei der Kontoeröffnung, auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt, bei medizinischer Versorgung und in Schulen.
Besonders für Flüchtlinge hat sich die Lage in Berlin deutlich verschlimmert. Der diesjährige Bericht erfasst zum ersten Mal auch die Realitäten von Asylbewerber*innen aus der Westbalkanregion. Im Zuge der „Flüchtlingskrise“ in den Jahren 2014 und 2015 wurden die Westbalkanländer zu sicheren Herkunftsländern erklärt. Dies führt zu Asylschnellverfahren bei Menschen aus dieser Region, wodurch eine Einzelfallprüfung meist unterbleibt. Vielmehr sollen die Betroffenen möglichst schnell wieder abgeschoben werden, ohne Rücksicht auf die bestehende Diskriminierung in ihren Herkunftsländern.
Auch die Darstellung in den Medien ist beunruhigend: So wurden von 130 ausgewerteten Artikeln 63 als diskriminierend eingestuft, mithin fast die Hälfte. Zusätzlich wurden 350 Kommentare in Online-Kommentarspalten als diskriminierend aufgedeckt. Dabei werden teilweise veraltete Klischees, wie das der „wandernden“ und „unordentlichen“ Sinti und Roma hervorgeholt. Dass heutzutage 95% aller Roma sesshaft sind, wird vielfach übersehen. Die stereotype Berichterstattung führt dazu, dass das Bild von Roma sich verschlechtert und Antiziganismus gesellschaftlich toleriert wird.
Die Zahl der Vorfälle steigt
Bei der Zahl der registrierten antiziganistischen Vorfälle in Berlin ist eine Zunahme zu verzeichnen: Waren es im Jahr 2014 noch 107 Vorfälle, so wuchs die Zahl 2015 bereits auf 118 und im vergangenen Jahr auf 146 gemeldete Vorfälle. Die Dunkelziffer dürfte dabei noch um einiges höher liegen. Zusammen mit diskriminierenden Äußerungen auf Social-Media-Webseiten und Kommentar-Spalten sowie in Medienberichten ergab sich für das vergangene Jahr eine Gesamtzahl von 568 Vorfällen.
Die Arbeit von Amaro Foro e.V.
Amaro Foro e.V. ist eine interkulturelle Jugendselbstorganisation von Roma und Nicht-Roma mit Sitz in Berlin, welche die bestehenden Probleme bekämpfen will. Durch Empowerment, Mobilisierung, Selbstorganisation und Partizipation soll jungen Menschen eine Stimme verschafft werden. Die Organisation bemüht sich um Achtung und gegenseitigen Respekt in der Gesellschaft. Bei der Durchsetzung ihrer Ziele steht die Würde und Freiheit der Menschen im Mittelpunkt.
Die Organisation bietet in ihrer Beratungsstelle in Berlin Charlottenburg täglich Beratungen auf Rumänisch und Bulgarisch an. Hierbei sollen die Beratenen bei alltäglichen Dingen, wie Arbeits- oder Wohnungssuche, unterstützt werden. Zusätzlich tragen die Gespräche aber auch dazu bei, Diskriminierungen, unzulässige Antragsverweigerungen und Ähnliches aufzudecken.
Darüber hinaus betreut die Organisation ein Kinderprogramm, fördert die Bildung und Weiterbildung von jungen Roma und engagiert sich in Kultur- und Community-Building-Projekten. Auch an Berliner Schulen ist die Organisation aktiv.
Lösungsansätze & Fazit
Amaro Foro e.V. sieht vor allem Handlungsbedarf bei der Sensibilisierung von öffentlichen Verwaltungen, wie den Bürgerämtern und auch bei Journalist*innen. Darüber hinaus soll eine unabhängige Beschwerdestelle zum Schutz gegen Diskriminierungen an Kitas und Schulen eingerichtet werden.
Die Vorschläge von Amaro Foro e.V. sollten so schnell wie möglich umgesetzt werden, um die Akzeptanz der Betroffenen in unserer Gesellschaft voranzutreiben. Denn Antiziganismus muss in einer Gesellschaft, in der das Zusammenleben der Menschen durch gegenseitige Achtung und Würde bestimmt sein sollte, mit der Entschlossenheit bekämpft werden, welche dieses Thema erfordert. Den Mitarbeiter*innen von AmaroForo e.V. gebührt dabei als Vorreiter*innen dieser Aufgabe in ihrem täglichen Kampf gegen Diskriminierung und Ungleichbehandlung großer Respekt und Dank.