– Eine Verfassungsbeschwerde in drei Akten –
Am 27. November 2017 findet im Rahmen der Humboldt Law Clinic Grund-und Menschenrechte (HLCMR) ein Thementag statt, der sich der rechtlichen Situation von inter*geschlechtlichen Menschen widmet. Ein Blick aus interdisziplinärer Perspektive soll Herausforderungen der Inter*geschlechtlichkeit beleuchten. Das Thema ist brandheiß. Denn nicht nur an der HU wird darüber diskutiert. Auch Karlsruhe befasste sich damit – in seiner jüngsten Entscheidung kommt das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis: Das Grundgesetz gebietet nicht, den Personenstand hinsichtlich des Geschlechts ausschließlich binär zu regeln.
I Der erste Aufzug: Die Exposition
Nicht männlich, nicht weiblich, sondern „inter“ oder „divers“ wollte die klagende Person in ihrer Geburtsurkunde sowie sämtlichen anderen offiziellen Dokumenten stehen haben. Nicht mehr und nicht weniger. Aber gerade das war in Deutschland inter*geschlechtlichen Menschen bisher verwehrt. Die Möglichkeit einer solchen dritten Option der Eintragung der Geschlechtskategorie ins Personenstandsregister existiert bislang schlicht nicht. Im Juni vergangenen Jahres erging hierzu ein erster Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH), der ausführte, inter*geschlechtlichen Menschen stünde ein solcher Anspruch nicht zu. Die bloße Auslassung beider Optionen würde verfassungsrechtlichen Maßstäben genügen. So weit, so schlecht. Aber wie kam es eigentlich dazu? Eine Einführung.
Die Entscheidung des BGH stützte sich auf den seit November 2013 in Kraft getretenen § 22 Abs. 3 Personenstandgesetzes (PStG). Dieser ordnet an, der Personenstandsfall sei vorläufig ohne eine entsprechende Geschlechtsangabe in das Geburtenregister einzutragen, wenn das Neugeborene weder eindeutig „dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht“ zuzuordnen sei. Einerseits sollte damit Toleranz gegenüber geschlechtlicher Vielfalt legislatorisch kodiert werden. Bis 2013 war es bei der Eintragung in ein deutsches Personenregister ausschließlich möglich, als männlich oder weiblich erfasst zu werden. Auf Anraten des Deutschen Ethikrates versuchte der Gesetzgeber andererseits, voreilige medizinische Eingriffe an inter*geschlechtlichen Kindern zu reduzieren. Bis in die frühen 2000er Jahre war es üblich, dass Ärzte*innen Eltern immer wieder dazu rieten, ihr Neugeborenes, das aufgrund seiner körperlichen Merkmale nicht eindeutig einer der beiden Optionen zugeordnet werden konnte, möglichst zügig einem der beiden rechtlich anerkannten Geschlechter zuzuweisen, es operieren zu lassen und nach dem binären Junge-Mädchen-Profil zu erziehen. Die Folgen für die betroffenen Personen sind hinlänglich bekannt.
II Der zweite Aufzug: Die Konfrontation
Die antragstellende Person wandte sich im Frühjahr 2014 mit dem Ersuch auf Änderung einer Geburtsurkunde hin zum Eintrag „inter/divers“ an das zuständige Standesamt. Nach einer Beschwerde beim Amtsgericht führte das Oberlandesgericht Celle in seinem ablehnenden Beschluss aus, dass ein rein binäres Geschlechtersystem im Sinne eines ‚entweder oder’ die grundgesetzlich geschützten Persönlichkeitsrechte von inter*geschlechtlichen Menschen in nicht zu rechtfertigender Weise beeinträchtige – wollte dann aber bei der Möglichkeit, den Eintrag offen zu lassen, Verfassungskonkordanz sehen. Schließlich argumentierte der BGH ganz ähnlich. Was die Auslegung des § 22 Abs. 2 PStG anging, wurde angeführt, Wortlaut und Systematik gäben nicht genug für eine dritte Option her. Weiterhin hätte der Gesetzgeber die Schaffung einer solchen Kategorie auch gar nicht beabsichtig. Inter*geschlechtliche Personen, für die die Eltern ein bestimmtes Geschlecht hätten eintragen lassen, könnten ja die Streichung der Geschlechtsangabe und damit den Status eines unbestimmten Geschlechts erwirken.
Das Verfassungsrecht betreffend erkannte der BGH an, dass es dem Gesetzgeber obliegt, die Rechtsordnung so auszugestalten, Menschen nicht durch den Widerspruch zwischen ihrer Geschlechtsidentität und dessen rechtlicher Behandlung bloßzustellen. Die Beschwerde hatte zuvor auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zu Trans*geschlechtlichkeit verwiesen, die diesen gesetzgeberischen Auftrag wiederholt klargestellt hatte.
Aber genau an dieser Stelle differenzierte der BGH und sah diese Rechtsprechung auf die Fälle der Inter*geschlechtlichkeit als nicht übertragbar an. Während es, so das Urteil, bei Trans*geschlechtlichkeit um den Wechsel der durch das Gesetz anerkannten Geschlechtseinträge ginge, sei der Fall hier anders gelagert. Anders als bei der Zuordnung zu einer bereits anerkannten rechtlichen Geschlechtsoption liefe es bei der dritten Option auf die Schaffung einer weiteren Geschlechtskategorie hinaus. Hierdurch würden „staatliche Ordnungsinteressen“ in weitaus erheblicherem Umfang betroffen.
Während nun der BGH bangend mit der Keule der Rechtssicherheit zuschlug, versuchte er damit das subversive Potenzial einer dritten Option im Keime zu ersticken. Denn ja, in der Tat hat eine Entscheidung für die dritte Option Auswirkungen auf zahlreiche zivilrechtliche Regelungstatbestände, die noch immer an das rechtliche Geschlecht anknüpfen. Doch zugleich wurde mit der Verfassungsbeschwerde dogmatisch betrachtet etwas aufgebrochen, was seit Anbeginn der neudeutschen Rechtsordnung in Stein gemeißelt schien: Die geschlechtliche Zweiteilung im deutschen Recht.
III Der dritte Aufzug: Die Synthese
In der Entscheidung des BGH schwang etwas Paradoxes mit: Inter*geschlechtliche Personen wurden vom deutschen Recht seit Inkrafttreten des BGB im Jahr 1900 als nichtexistent behandelt. Und die Novelle des § 22 Abs 3 PStG, die ihre Existenz anerkennen sollte, hätte sie fast wieder in die Nichtigkeit verbannt.
Doch Karlsruhe sah dies anders. Und das ist gut so.
Das Bundesverfassungsgericht stellt nun fest, dass durch die gesetzliche Regelung nicht abgebildet wird, dass die beschwerdeführende Person sich nicht als geschlechtslos begreift und nach eigenem Empfinden ein Geschlecht jenseits von männlich oder weiblich hat. Zudem macht es klar: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG schützt auch die geschlechtliche Identität derjenigen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen. Eine gesetzliche Regelung, die dies verkennt, gefährde dadurch die selbstbestimmte Entwicklung und Wahrung der Persönlichkeit. Denn beim Personenstand handele es sich nicht um eine Marginalie, sondern er umschreibe in zentralen Punkten die rechtlich relevante Identität einer Person. Die Verwehrung der personenstandsrechtlichen Anerkennung der geschlechtlichen Identität gefährde darum bereits für sich genommen die selbstbestimmte Entwicklung. Darüber hinaus verstoße der geltende Paragraph auch gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG soweit die Positiveintragung eines anderen Geschlechts als „männlich“ oder „weiblich“ ausgeschlossen wird.
Dem Totschlagargument der „Ordnungsinteressen des Staates“ entgegnet das Gericht locker: „bürokratischer und finanzieller Aufwand […] vermögen die Verwehrung einer weiteren einheitlichen positiven Eintragungsmöglichkeit nicht zu rechtfertigen.“ Durch die Ermöglichung einer Drittbezeichnung entstehen auch keine Zuordnungsprobleme, die sich nach geltendem Recht nicht ohnehin schon stellen. Sprich: Die gleichen Fragen sind zu klären, die sich auch nach derzeitiger Rechtslage stellen. Der Gesetzgeber ist nun aufgefordert eine Neuregelung bis Ende 2018 zu schaffen.
Das Gericht führt damit eindrucksvoll vor, dass Inter*geschlechtlichkeit keine juristische Leerstelle sein darf.
Die bisherige Möglichkeit der „fehlenden Angabe“ durch die Neuregelung des § 22 Abs. 3 PStG hatte es bisher bei dem allein binären Grundmuster der Geschlechtszugehörigkeit belassen. Mehr noch – das Gesetz schob Inter*geschlechtlichkeit in ein juristisches Abseits. Denn die Auslassung des Personenstandfalls wurde in keiner Weise der Lebensrealität inter*geschlechtlicher Menschen gerecht. Eine Nicht-Eintragung ist nun mal etwas anderes als eine dritte Eintragungsmöglichkeit. In ihrer praktischen Relevanz beschreibt eine dritte Option einen Schritt in Richtung Sichtbarkeit und Akzeptanz – ein Nicht-Benennen von Inter* setzt die Unsichtbarkeit und Stigmatisierung dagegen fort. Kein Mensch darf negativdefiniert werden. Genauso wie ein Mann* keine Nicht-Frau oder eine Frau* kein Nicht-Mann ist: Inter*geschlechtlickeit bedarf einer angemessenen juristischen Einordnung. Nicht als Abdruck dessen, was rechtlich eingefahren ist, sondern eigenständig stehend, sui generis.
Und auch wenn der Gang vor das Bundesverfassungsgericht für Kritiker*Innen nur nach Theater klingen mag: Für manche Menschen ist es ihre die Lebensqualität bestimmende Wirklichkeit. Und diesem Umstand trägt diese Entscheidung Rechnung.