Der Rassismus in uns

Reflektieren, räsonieren, reagieren – „Politische Bildung nach dem NSU“ hieß eine Veranstaltung der Bundeszentrale für politische Bildung. Allerdings rückte die politische Bildung in den Hintergrund. Vor allem ein Thema beherrschte den Abend: Rassismus.

Und zwar der institutionelle Rassismus in den staatlichen Behörden. Der die Taten des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) erst möglich gemacht habe. Der den Prozess der Aufklärung extrem verlangsame. Dagegen müsse die Politik vorgehen. Aufklärung in den Behörden sei nötig, Anti-Rassismus Training bei der Polizei und besser organisierte Aussteiger_innenprogramme würden verhindern, dass so ein Desaster wie bei der Aufdeckung und Aufklärung der Taten des NSU noch einmal geschehen könne. So der Tenor des Abends.

Alles wichtige und richtige Aspekte, wenn man sich vor Augen führt, was der NSU-Prozess und zahlreiche Untersuchungsausschüsse an Erkenntnissen über fehlerhafte Ermittlungen und damit zusammenhängender rassistischer Diskriminierung zu Tage befördert hat. Mit institutionellen Rassismus im NSU-Komplex beschäftigt sich auch die Tagung Blinde Flecken – interdisziplinäre Perspektiven auf den NSU-Komplex am 11.12.2015.

Doch ist Rassismus nur ein institutionelles Problem? Ein Problem worauf allein die Politik reagieren muss? Selbstverständlich müsse man sich auch um den aufkeimenden Rassismus in den „Rändern“ der Gesellschaft kümmern, erklang es aus den Publikumsreihen in der Veranstaltung für politische Bildung. Rassismus müsse mehr in Schulen thematisiert werden und sowieso sei Bildung das ausschlaggebendste Argument gegen rassistische Diskriminierung. Persönlich angesprochen fühlte sich allerdings keine_r. Die Grundhaltung des Publikums: Die Politik muss handeln.

Die Verantwortung liegt allerdings nicht allein bei den Politiker_innen.

Bei Rassismus handelt es sich vielmehr auch um ein gesellschaftliches Problem, das uns alle betrifft. Institutioneller Rassismus liegt vor, wenn Institutionen rassistische Zuordnungen übernehmen und daraus für die so markierten Menschen systematische Benachteiligungen folgen (hier: S. 4). Dazu müssen aber erst einmal rassistische Zuordnungen bestehen, die dann von den Institutionen übernommen werden. Und solche Zuordnungen sind gesellschaftlich verankert. Wer also der Politik vorwirft, nicht hingesehen zu haben, das Thema Rassismus stillschweigend toleriert zu haben, muss sich selbst diesem Vorwurf aussetzen. Denn dass Rassismus ein Randphänomen ist, das vor allem die sogenannte unaufgeklärte Gesellschaft betrifft, wage ich zu bezweifeln. Die Toleranz, die die Breite der Gesellschaft rassistischer Diskriminierung entgegenbringt, ist erschreckend und oft erst beim zweiten Hinsehen zu entdecken.

Was ist Rassismus?

Um die Bedeutung und das Ausmaß rassistischer Diskriminierung in der Gesellschaft deutlich machen zu können, ist es wichtig, überhaupt zu verstehen, was Rassismus eigentlich heißt. Nach Artikel 1 des ICERD (International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination) ist rassistische Diskriminierung zusammengefasst jede Benachteiligung oder Bevorzugung einer rassistisch, zum Beispiel über Phänotyp oder nationale Herkunft, definierten Gruppe, mit dem Ziel oder der Folge, dass die gleichberechtigte Ausübung von Menschenrechten und Grundfreiheiten beeinträchtigt wird. Folgt man dieser Definition kann Rassismus gar keine Randerscheinung, kein Phänomen einer unaufgeklärten Gesellschaft sein.

Im NSU-Komplex kann man das sehr deutlich beobachten. Bereits die Bezeichnung als „Döner-Morde“ und die Benennung der Mordopfer als „Döner“ ist nicht nur euphemistisch, es handelt sich schlicht um rassistische Stigmatisierungen, die gesellschaftlich anscheinend tolerierbar sind, wie die Verwendung der Bezeichnungen in der medialen Öffentlichkeit (siehe: hier) zeigt.

Rassismus wird zudem gerne fälschlicherweise unter den Begriff Rechtsextremismus kategorisiert. Damit lassen sich so einige Standpunkte unter dem Motto: „Ich bin ja nicht rechts, aber…“ gesellschaftlich tolerieren. Unzufriedene Bürger_innen, die sich von der Islamisierung Deutschlands bedroht fühlen, sogenannte „Wutbürger_innen“ die sich davor fürchten, dass „Ausländer ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen.“ Ist das wirklich eine gesellschaftliche Angst, die man den Menschen nehmen sollte? Der man mit Verständnis begegnen sollte? Oder ist es nicht viel mehr: Rassismus?

Gesellschaftliche und individuelle Verantwortung

Indem wir die Denunzierung Anderer tolerieren, Fremdenfeindlichkeit versuchen zu entschuldigen und eine konkrete Positionierung vermeiden, machen wir uns mitschuldig und leisten zumindest Beihilfe, wenn Asylheime angezündet werden. Das Problem des Rassismus in unserer Gesellschaft wird verharmlost, solange wir es nicht benennen. Und vor allen Dingen, solange nicht jeder Einzelne von uns bereit ist, diesem Thema sensibilisiert zu begegnen und eigene Aussagen und Handlungen zu reflektieren. Auch wenn viele richtige und wichtige Aspekte in der Veranstaltung für politische Bildung diskutiert wurden, fehlte mir doch eben diese persönliche Reflexion und das Erkennen der gesellschaftlichen Verantwortung im Bezug darauf wie schnell Rassismus entstehen und sich verbreiten kann.

Auch ich selbst möchte mich nicht aus dieser Kritik herausnehmen und musste erkennen, dass ich im ersten Moment nicht bereit war, die Hausverwaltung, die eine Umfrage im Haus gestartet hatte, ob man einen „Asylanten“ als Mieter haben wolle, richtigerweise als rassistisch zu klassifizieren (siehe Art. 1 ICERD) sondern von unbegründeten Ängsten gesprochen habe und dass man den Dialog suchen müsse. Ich bin nach wie vor der Meinung dass man Rassismus auch immer im Gespräch begegnen sollte, allein schon um Missverständnisse und Vorurteile aus dem Weg zu räumen. Der erste Schritt jedoch ist, Rassismus als solchen zu erkennen und zu benennen. Nur so kann man gezielt dagegen vorgehen.

Wie schnell Vorurteile, die uns oft gar nicht bewusst sind, in rassistischer Diskriminierung enden, kann man momentan in ganz Europa beobachten. Stellen wir uns also dem institutionellen und gesellschaftlichen Problem des Rassismus indem wir bei uns selbst beginnen.

ICERD wird in diesem Jahr 50 Jahre alt. Es ist noch viel zu tun. Räsonieren, reflektieren, reagieren. Es liegt an jeder_m Einzelnen.

 

Der NSU und der Rassismus
Blicke zurück und nach vorn: 5 Jahre HLCMR