Diskriminierung wird in der politischen und rechtswissenschaftlichen Diskussion meistens als Erfahrung einer Person verstanden, die aufgrund einer ihr zugeschriebenen Kategorie, wie beispielsweise der ethnischen Herkunft oder des Geschlechts, eine mittelbare oder unmittelbare Ungleichbehandlung erfährt. Dabei gerät allerdings die Erfahrung naher Angehöriger des Diskriminierungsopfers, die unter Umständen ebenfalls von der Diskriminierung betroffen sind, oft aus dem Blickfeld. Der EuGH hat diese Fälle in der Rechtssache Coleman bereits 2008 als Diskriminierung durch Assoziierung anerkannt. Nun hat das erste Mal ein Gericht im deutschsprachigen Raum nahen Angehörigen einen Anspruch auf Entschädigungszahlung zugesprochen.
Folgender Sachverhalt hatte sich zugetragen: Acht FreundInnen wollten gemeinsam am Wiener Gürtel in einem Club feiern gehen. Zwei Freundinnen aus der Gruppe waren bereits eingelassen worden als drei Freunden, österreichische Staatsbürger mit Migrationshintergrund, mit dem Kommentar „sie seien Leute, die zu Problemen führten“ der Einlass verweigert wurde. Die drei anderen Mitglieder der Gruppe wurden ohne Probleme eingelassen. Daraufhin beschwerten sich die eingelassenen Personen der Freundesgruppe über diese diskriminierende Türpolitik bei den Türstehern. Sie wurden deshalb ebenfalls aus dem Club verwiesen. Die Partynacht war vorbei.
Der Prozess in Österreich
Solche und ähnliche Vorkommnisse gehören in Deutschland wie in Österreich leider nach wie vor zum traurigen Alltag im Nachtleben. Würde man die deutsche Gesetzeslage zugrunde legen, wäre hier bezüglich der drei nichteingelassenen Österreicher aus Einwanderungsfamilien unzweifelhaft eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund rassistischer Zuschreibungen bzw. der ethnischen Herkunft nach §§ 1, 3 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) festzustellen. Sie hätten dementsprechend einen Entschädigungsanspruch. In Österreich existiert ein vergleichbares zivilrechtliches Antidiskriminierungsgesetz und Betroffene können sich somit gegen Diskriminierung rechtlich zu Wehr setzen. Da es in Österreich, im Unterschied zur deutschen Rechtslage ein Verbandsklagerecht gibt, hatte der Klagsverband Österreich die Klage der Gruppe vor Gericht gebracht.
Und so kam das mit der Rechtsfrage befasste Landgericht Wien im Januar diesen Jahres, zweieinhalb Jahre nach dem Vorfall, zu der Feststellung, dass eine Diskriminierung stattgefunden habe und eine Entschädigung in Höhe von jeweils 600 Euro an die drei rassistisch diskriminierten Männer zu zahlen sei. Besonders interessant an diesem Fall war allerdings nicht diese Feststellung der unmittelbaren Diskriminierung, sondern vielmehr, dass die gesamte achtköpfige Freundesgruppe vor Gericht geklagt hatte und sich die fünf Anderen auf eine Diskriminierung aufgrund eines Näheverhältnisses beriefen. Dies stützten sie auf § 32 Abs. 4 des österreichischen Gleichbehandlungsgesetzes der lautet: „Eine Diskriminierung liegt auch vor, wenn eine Person auf Grund ihres Näheverhältnisses zu einer Person wegen deren Geschlechts oder deren ethnischer Zugehörigkeit diskriminiert wird.“
Das Gericht in Wien sah sich dabei mit einer Vorschrift konfrontiert, die bisher noch in keinem anderen Rechtsstreit behandelt worden war. Es interpretierte den Begriff des Näheverhältnisses weitergehender als eine familiäre Beziehung, in dem es Freundschaften explizit in dessen Definition mit einbezog.
Demzufolge ergab sich auch für die fünf anderen Personen eine eigene Diskriminierungserfahrung aufgrund ihrer persönlichen Freundschaft zu den unmittelbar Diskriminierten einerseits, und dem erfolgten Rauswurf aus dem Club aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit zu den drei Männern mit Migrationshintergrund andererseits. Es habe laut dem Gericht der Fall einer „indirekten Diskriminierung durch Assoziierung“ vorgelegen. Folgerichtig wurde auch den anderen fünf eine Entschädigung zuerkannt, allerdings nur in Höhe von jeweils 350 Euro. Außerdem haben sie einen Anspruch auf die Erstattung der Eintrittsgelder.
Die Konsequenz dieses Urteils wird wohl sein, dass sich in Österreich künftig eine eigene Diskriminierung begründen lässt auch ohne eine Benachteiligung aufgrund einer der im Gesetz festgemachten Kategorien geltend machen zu müssen. Es reicht aus, wenn eine nahestehende Person eine Ungleichbehandlung erfährt und man selbst aufgrund des Assoziierens mit dieser Person ebenfalls von der Ungleichbehandlung betroffen ist.
Auswirkungen auf das deutsche Recht
Wenn man nun die deutsche Rechtslage dazu vergleicht, lässt sich keine vergleichbare Regelung im Rahmen des AGG finden. Dort ist von mittelbaren und unmittelbaren Diskriminierungen, von Belästigungen, jedoch nicht von Diskriminierungen aufgrund eines Näheverhältnisses die Rede. Der deutsche Gesetzgeber hat sich also zunächst dafür entschieden, den Diskriminierungsbegriff nur denjenigen zuzuordnen die Benachteiligungen aufgrund einer eigenen Kategorie erleiden. Doch wurde bereits durch das Urteil des EuGH in der Rechtssache Coleman klargestellt, dass auch Assoziierte Diskriminierung naher Angehöriger vom Schutzbereich erfasst ist.
Gegen die Ausweitung auf FreundInnen könnte sprechen, das ein Loslösen von dieser Akzessorietät unter Umständen zur Folge hat, dass Erfahrungen gleichgesetzt werden die in ihrer Intensität doch sehr unterschiedlich sein können. So ist beispielsweise die Erfahrung einer Person, die aufgrund einer rassistischen Türpolitik gegenüber ihrer_m Clubbegleiter_in gleich mit abgewiesen wird, sicherlich in der Regel nicht so schmerzlich wie diejenige der_s Direktabgewiesenen selbst. Die Gefahr hier die klare Benennung der_s Betroffenen durch ein die Erfahrungen gleichsetzendes Diskriminierungsrecht zu relativieren, ist offensichtlich. Eine abgestufte Entschädigung wie im österreichischen Fall ist nämlich auch nach der dortigen Gesetzeslage nicht zwingend.
Ein gewichtiges Argument für eine solche Regelung ist allerdings der größere Betroffenenkreis, der das Antidiskriminierungsrecht mobilisieren könnte. Die Entschädigungsfunktion spielt bei Antidiskriminierungsprozessen oft eine nur untergeordnete Rolle, tatsächlich steht die Sichtbarmachung der Diskriminierung in der Öffentlichkeit im Vordergrund. Oft ist es das Ziel, gerade auch eine stärkere Sensibilisierung zu erreichen und dadurch beispielsweise entsprechende Türpolitikpraktiken für die Zukunft zu verhindern. Wenn sich nun der Kreis der potenziellen Kläger_innen durch eine entsprechende Regel deutlich vergrößert, könnte das AGG mehr in die Öffentlichkeit und dadurch in das Bewusstsein der Rechtsunterworfenen gebracht werden.
Auch das 2015 ergangene Urteil des EuGH in der Rechtssache CHEZ Bulgaria weist in diese Richtung. Der Gerichtshof hatte einer Klägerin Diskriminierungsschutz gewährt, die von einer Roma diskriminierenden Maßnahme betroffen war, ohne selbst Roma zu sein.
Wie auch immer man sich dazu positionieren mag, die österreichische Entscheidung liefert einen interessanten Denkanstoß dafür, wie man auch in Deutschland Diskriminierung definieren und wem das AGG zugutekommen sollte.