In Deutschland wird das Recht auf Abtreibung immer weiter von radikalen Abtreibungsgegner*innen bedroht. Nationalkonservative Kräfte fördern eine Lärm- und Einschüchterungskulisse vor Beratungsstellen und Abtreibungskliniken, um die Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche zu reduzieren und den Zugang zu diesen Orten einzuschränken. Um dieses Problem ging es auch bei der Podiumsdiskussion „Zugang zu sicherem und legalem Schwangerschaftsabbruch“ an der Humboldt-Universität.
Die von der Humboldt Law Clinic Grund- und Menschenrechte und dem Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien organisierte Podiumsdiskussion am 07.11.2018 nahm sich eines hochaktuellen Themas an: In Deutschland wird der sichere Zugang zu Schwangerschaftsabbruchskliniken und Fachärzt*innen tatsächlich immer schwieriger. Das Recht auf Abtreibung ist in Deutschland durch feministische Kräfte hart erkämpft. Nach dem Abtreibungskompromiss aus dem Jahre 1995 sind in Deutschland Abtreibungen zwar verboten, können allerdings nach einer (grundsätzlich zur Fortführung der Schwangerschaft ermutigenden) Beratung und innerhalb einer Frist von 12 Wochen durchgeführt werden.
Durchführende Mediziner*innen und schwangerschaftsabbrechende Patientinnen werden allerdings auf verschiedene Arten unter Druck gesetzt. Seit einigen Jahren erfahren praktizierende Ärtz*innen intensive Belästigungen durch Abtreibungsgegner*innen. Sie werden öffentlich unter Druck gesetzt, vor ihren Praxen wird demonstriert und berufliche als auch private Daten der Mediziner*innen werden im Internet auf einschlägigen Websites verbreitet. Abtreibungsgegner*innen gehen aber noch weiter, versuchen den öffentlichen Diskurs durch entsprechende Informationsverbreitung und Agitation, etwa in Schulen oder im Internet, zu beeinflussen und schrecken auch vor Holocaustvergleichen nicht zurück. Die fundamentalistischen Abtreibungsgegner*innen belagern Arztpraxen und Beratungsstellen wie ProFamilia, schaffen so bewusst eine Atmosphäre der Einschüchterung und Bedrohung und beeinträchtigen durch gezielt hervorgerufenen Lärm die Arbeit in den Gebäuden sowie den Zugang zu ihnen.
Leider zeigen diese Belästigungen Wirkung: Seit 2003 hat sich die Anzahl der Abtreibungskliniken in Deutschland um 40 Prozent reduziert. Da jede*r Ärzt*in selbst entscheiden kann, ob sie*er Abtreibungen durchführt, vermögen die Aktionen, ein hohes Druckpotential zu erzeugen. Durch die sinkende Anzahl der durchführenden Ärzt*innen wird es für Frauen faktisch immer schwieriger, eine Praxis zu finden, insbesondere unter teilweise hohem Zeitdruck. In einigen Bundesländern Deutschlands hat sich die Zahl der Mediziner*innen, die einen solchen Eingriff vornehmen, drastisch reduziert. Teilweise müssen Frauen mit einer ungewollten Schwangerschaft bis zu 200 Kilometer fahren, um den medizinischen Eingriff vornehmen lassen zu können. Insbesondere für Frauen aus ärmeren Verhältnissen oder ländlichen Gebieten sowie für sehr junge Frauen ist dies nicht möglich.
Häufig sind die radikalen Abtreibungsgegner*innen, die sich teils der sogenannten „Lebenschützerbewegung“ zurechnen, gut organisiert und international vernetzt. Ihr Ziel ist das vollkommene Verbot und die Stigmatisierung von Abtreibungen. Über ihr internationales Netzwerk hinaus haben sie hohe finanzielle Mittel und sind ideologisch motiviert. Dem Pressearchiv apabiz zufolge lassen sie sich dem „konservativen bis rechtsextremen Weltbild“ zuordnen. Gerade auch aus der AfD und anderen rechten Parteien erhalten die Lebensschützer*innen viel Zulauf.
Ärzt*innen können nach § 12 Schwangerschaftskonfliktgesetz selbst entscheiden, ob sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen möchten, der Staat ist aber gesetzlich verpflichtet, ein ausreichendes Angebot an Einrichtungen für Schwangerschaftsabbrüche vorzuhalten. Insofern ist der Staat verpflichtet, das ordnungsgemäße Funktionieren und den Zugang zu den bestehenden Praxen zu garantieren. Zudem muss der Staat sicherstellen, dass es ein ausreichendes Angebot an Praxen und ausreichend gut ausgebildeten Ärzt*innen gibt, die den medizinischen Eingriff durchführen können.
Zwar regt sich gegen einzelne „Mahnwachen“ der Abtreibungsgegner*innen auch Protest der Zivilbevölkerung, allerdings wäre es ProFamilia lieber, wenn ein freier Zugang zu den Beratungsstellen rechtlich gewährleistet wäre. Das Ordnungsamt unterbindet den Protest der Abtreibungsgegner*innen vor den Türen der Beratungsstellen allerdings nicht – mit Verweis auf die Versammlungsfreiheit. Die Einrichtung von Bannmeilen um Abtreibungsklinken und Beratungseinrichtungen sind vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages als nicht vereinbar mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Grundgesetz eingeschätzt worden.
Anders hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg entschieden. Das Gericht hat sogenannte „Gehsteigberatungen“ verboten. Dabei werden Frauen vor den Beratungsstellen belästigt, es werden ihnen ungefragt Bilder zu Schwangerschaftsabbrüchen gezeigt und der Versuch unternommen, sie zu der Austragung der Schwangerschaft zu bewegen. Das Gericht hat im ungefragten Ansprechen einen Eingriff in die Intimsphäre der Frauen und somit des allgemeinen Selbstbestimmungsrechtes aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art 2 S. 2 GG gesehen. Anders hat zuletzt 2016 das Verwaltungsgericht München entschieden und in einer nicht nachvollziehbaren Entscheidung die Religionsfreiheit aus Art. 4 GG höher gewertet als die Rechte der angegriffenen Frauen.
Die meisten Frauen suchten nach Erfahrung der beim Podium anwesenden Expert*innen die Beratungsstellen oder Praxen mit einer inneren, höchstpersönlichen Konfliktsituation auf. Frauen haben auf jeden Fall in dieser Situation ein Recht darauf, nicht unaufgefordert und einseitig auf diesen höchstpersönlichen Konflikt angesprochen zu werden. Dazu gehören auch Belästigungen mit Bildern von abgetriebenen Föten, wie sie häufig bei Demonstrationen der Abtreibungsgegner*innen gezeigt werden. Dieses Recht ergibt sich aus dem Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre der Frauen (des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes, Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG).
In den meisten Fällen müssen Frauen die Schwangerschaftskonfliktberatung aufsuchen, aber werden genau davor gegen ihren Willen belästigt. Eine Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes könnte hier Abhilfe schaffen. Der Staat, der eine zwingende Beratung fordert, muss den sicheren Zugang zu diesen sicherstellen. Frauen dürfen nicht schon vor dem Betreten einer Beratungseinrichtung oder Praxis eingeschüchtert werden. Solche Änderungen sind von einigen Parteien bereits angedacht.
Die Problematik zeigt, dass es für Abtreibungsgegner*innen nicht notwendig ist, die aktuelle gesetzliche Regelung des § 218 ff. StGB anzugreifen. Bereits durch Stigmatisierungen, Belästigungen und die Deutungshoheit der gesellschaftlichen Debatte sind Abtreibungsgegner*innen in der Lage, den sicheren und freien Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen einzuschränken. Dies sollte Sorge bereiten, denn eine Situation ähnlich wie in den Vereinigten Staaten von Amerika, bei denen es in einigen Teilen des Landes faktisch unmöglich ist, eine Abtreibung in Anspruch zu nehmen, sollte unbedingt verhindert werden.