Vor einem Jahr hat das Bundesverfassungsgericht seinen Beschluss zur Dritten Option veröffentlicht. Der entsprechende Gesetzesentwurf liegt inzwischen vor und wird aktuell in Bundestag und Bundesrat diskutiert. Kritiker*innen weisen ihn als verfassungswidrig zurück und behaupten, er widerspreche dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Das Problem liegt jedoch nicht nur beim Innenministerium, das für die Gestaltung des Entwurfs verantwortlich ist, sondern auch beim Geschlechterverständnis des Bundesverfassungsgerichts.
Der Gesetzesentwurf zur Dritten Option
Es widerspricht dem Grundgesetz, intergeschlechtliche Menschen durch das Personenstandsrecht zu einem Geschlechtseintrag zu zwingen, aber nur „männlich“ und „weiblich“ als mögliche Geschlechter anzubieten, wie das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung zur Dritten Option im dritten Leitsatz zusammenfasst. Daher hat der Gesetzgeber die Wahl: Er kann die bisherigen rechtlichen Geschlechter um eine positive dritte Option ergänzen oder den Geschlechtseintrag ganz streichen. Das Bundesinnenministerium entschied sich für die erste Variante und so heißt es im Gesetzesentwurf, dass bei Menschen, die „weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden [können]“, der Personenstandsfall ohne Angabe oder als „divers“ einzutragen ist. Weiter heißt es:
„Der Anwendungsbereich der Regelung beschränkt sich auf Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung. Nach der aktuellen medizinischen Terminologie […] werden unter Varianten der Geschlechtsentwicklung Diagnosen zusammengefasst, bei denen die Geschlechtschromosomen, das Genitale oder die Gonaden inkongruent sind.“
Möchten intergeschlechtliche Menschen das ihnen bei der Geburt zugeteilte Geschlecht später korrigieren, so soll das möglich sein – allerdings nur unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung. Eine freie Selbstbestimmung des Geschlechts sieht der Entwurf nicht vor. Das wird zurecht von vielen Seiten, unter anderen Betroffenen und Mitgliedern des Bundestags, kritisiert.
Der Geschlechterbegriff des Bundesverfassungsgerichts
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Dritten Option wurde häufig als historischer Durchbruch gefeiert. Tatsächlich ist es revolutionär, dass das Gericht in seinem Beschluss die bisherige rechtliche Zweigeschlechtlichkeit aufbricht und die Existenz weiterer Geschlechter anerkennt. Das Verständnis des Gerichts von Geschlecht, das hinter dem Beschluss steht, ist jedoch völlig veraltet und überholt. Dies zeigt sich deutlich in seinen letzten beiden Entscheidungen zu Geschlecht und Personenstand.
Die erste Entscheidung ist der eben genannte Beschluss zur Dritten Option. Das Gericht spricht von „Personen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen [lassen]“. Bereits die Wortwahl legt nahe, dass es sich dabei nicht um eine Selbstbeschreibung, sondern um eine Fremdzuordnung handelt. Zwar spricht das Gericht an einigen Stellen auch von Personen, „die sich selbst dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen“, verbindet dies aber fast immer mit der Voraussetzung, dass die „Geschlechtsentwicklung gegenüber einer weiblichen oder männlichen Geschlechtsentwicklung Varianten aufweist“. Kurz: Die geschlechtliche Selbstbestimmung ist nur aufgrund einer körperlichen Voraussetzung möglich. Das Gericht erkennt zwar an, dass Geschlecht nicht binär ist, koppelt ein bestimmtes Geschlecht aber weiterhin an jeweilige bestimmte körperliche, biologische Voraussetzungen. Die intergeschlechtliche Selbstzuordnung der klagenden Person wird akzeptiert, weil ihr Körper als intergeschlechtlich gesehen wird. Es ist fraglich, ob beispielsweise die Klage einer geschlechtlich nicht-binären Person, deren Körper aber vermeintlich eindeutig weibliche oder eindeutig männliche geschlechtsspezifische Eigenschaften zugeschrieben werden, ebenfalls Erfolg gehabt hätte. Das entspricht nicht einem Verständnis von Geschlecht als Selbstaussage, sondern schreibt eine Dominanz der Fremdzuschreibung fort.
Kein Geschlecht ohne biologische Grundlage
Ein weiterer Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem letzten Jahr, der nur wenige Tage nach dem Urteil zur Dritten Option veröffentlicht wurde, verstärkt dieses Geschlechterverständnis: Die Verfassungsbeschwerde einer Transperson über die Begutachtungspflicht als Voraussetzung für die personenstandsrechtliche Änderung wurde nicht zur Entscheidung angenommen. Begründet hat das Gericht seine Ansicht unter anderem damit, dass das Bundesverfassungsgericht bereits 2011 festgestellt habe,
„dass es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wenn nach § 4 Abs. 3 TSG [Transsexuellen-Gesetz] die Voraussetzungen des Namen- und Personenstandswechsels durch zwei Gutachten voneinander unabhängiger Sachverständiger nachgewiesen werden müssen, die über einschlägige fachliche Kenntnisse und berufliche Erfahrungen auf dem Gebiet der Transsexualität verfügen.“
Die Gutachten sind nach Ansicht des Gerichts „prozessrechtliches Mittel des objektiven Nachweises der rechtlichen Voraussetzungen des Geschlechtswechsels“. Diese Argumentation des Bundesverfassungsgerichts schließt eine Selbstzuordnung des Geschlechts klar aus.
Alle Geschlechter sind vor dem Gesetz gleich?
Bei der Änderung des Personenstandsrechts bei inter- und transgeschlechtlichen Menschen geht es um Folgendes: Ein Mensch, dem bei der Geburt das falsche Geschlecht zugeordnet wurde, möchte, dass sein rechtliches Geschlecht seinem selbstbestimmten Geschlecht entspricht. In beiden Fällen geht es um das subjektiv empfundene Geschlecht und darum, das eigene Geschlecht rechtlich anerkannt zu bekommen. Rechtlich muss in beiden Fällen aber das selbstzugeordnete Geschlecht „objektiv“ nachgewiesen werden. Menschen, bei denen die (auf ihrem Körper beruhende) Fremdzuordnung des Geschlechts bei Geburt mit dem selbst empfundenen Geschlecht hingegen übereinstimmt, müssen nichts nachweisen. Ihr selbstzugeschriebenes Geschlecht wird akzeptiert. Die Selbstbestimmung des Geschlechts existiert im deutschen Recht nur, wenn das empfundene Geschlecht mit einem vermeintlich biologischen übereinstimmt. Es wird nicht anerkannt, dass das Geschlecht eines Menschen nicht durch Dritte feststellbar oder objektiv überprüfbar ist. Dahinter steht ein veraltetes Verständnis von Geschlecht, das auf Biologie beruht und nicht losgelöst vom Körper und seinen vermeintlich geschlechtsspezifischen Eigenschaften gedacht werden kann. In der Konsequenz werden bestimmte Geschlechter naturalisiert, privilegiert und normiert. Der Gesetzesentwurf zur Dritten Option unterstützt dieses Verständnis von Geschlecht. Das ist zu bedauern und zu kritisieren. Zu bedauern und zu kritisieren ist auch, dass der Gesetzesentwurf damit nicht im Widerspruch zum Bundesverfassungsgericht steht. Es ist höchste Zeit, dass Bundesverfassungsgericht und Gesetzgeber das veraltete, biologistische Verständnis von Geschlecht hinter sich lassen und sich einem Geschlechterverständnis zuwenden, das die Grundrechte aller Menschen schützt.