Das internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung (International Convention on the Elimination of all Forms of Racial Discrimination, abgekürzt „ICERD“) wurde vor 50 Jahren von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet: Ein Jubiläum, das Anlass für einen Rück- und Ausblick bietet.
Mit seinem Beitritt 1969 hat sich Deutschland – neben mittlerweile 176 anderen Staaten – verpflichtet, rassistische Diskriminierung zu verhindern und zu bekämpfen.
Über die Einhaltung dieser Verpflichtung wacht der Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung (Committee on the Elimination of Racial Discrimination, abgekürzt „CERD“). Er nutzt dafür verschiedene Mechanismen: das Staatenberichtsverfahren, das Staatenbeschwerdeverfahren und das Individualbeschwerdeverfahren.
Darüberhinaus gibt CERD regelmäßig sogenannte Allgemeine Empfehlungen (General Recommendations, abgekürzt „GR“) heraus. Mit ihnen garantiert der Ausschuss, dass das Übereinkommen, auch wenn es vor einem halben Jahrhundert verfasst wurde, mit den gesellschaftlichen Entwicklungen Schritt hält und auch aktuelle Herausforderungen der Rassismusbekämpfung bewältigen kann. Beispielsweise weist der Ausschuss auf die geschlechtsspezifischen Ausprägungen von Rassismus hin (GR Nr. 25) und benennt Empfehlungen zur Bekämpfung von Rassismus gegen Sinti und Roma (GR Nr. 27).
Das Individualbeschwerdeverfahren
Bislang sind 54 Individualverfahren an den Ausschuss gelangt. In 15 Fällen wurde eine Verletzung von ICERD festgestellt. Deutschland unterwarf sich der Jurisdiktion von CERD in Bezug auf Individualbeschwerden erst im Jahre 2001. Seitdem wurden zwei Beschwerden gegen die Bundesrepublik erhoben.
Die Beschwerde des Zentralrats der Sinti und Roma im Jahr 2006 blieb ohne Erfolg, bei der des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg e.V. (TBB) wurde hingegen eine Vertragsverletzung festgestellt. Der TBB griff in dieser Individualbeschwerde die Einstellung des Strafverfahrens wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB) und Beleidigung (§ 185 StGB) gegen Thilo Sarrazin an. Die Staatsanwaltschaft Berlin verneinte einen hinreichenden Tatverdacht mit der Begründung, die Äußerungen Sarrazins seien durch sein Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. CERD entschied hingegen, dass Deutschland die Verpflichtung, seine Bevölkerung vor rassistischen Äußerungen zu schützen, verletzt habe. Bereits zuvor hatte CERD Deutschland mehrfach auf sein verkürztes Rassismusverständnis hingewiesen. Auch wenn die Meinungen über die sarrazinischen Aussagen in der juristischen Fachwelt auseinander gehen, ist die Entscheidung ein großer Erfolg: Erkennt doch zumindest ein internationales Gremium deren rassistischen Gehalt an.
Das Staatenberichtsverfahren 2015
Mit weiteren Vertragsverletzungen Deutschlands beschäftigte sich CERD im 2015 durchgeführten Staatenberichtsverfahren. Auf Grundlage der Staatenberichte überprüft CERD alle vier Jahre, ob und wie Deutschland seine Verpflichtungen aus der Konvention umgesetzt hat und wo weiterer Handlungsbedarf besteht.
Der Bericht der Bundesregierung stieß bei vielen Organisationen auf Enttäuschung, da er vor allem den Anschein erweckt, dass in Deutschland kein Handlungsbedarf bestehe: „Die Absage an jede denkbare Form von Rassismus und Extremismus ist ein fundamentales Prinzip bei allen legislativen, justiziellen und administrativen Maßnahmen. Unter Beachtung dieses Prinzips werden die Artikel 1 bis 7 des Übereinkommens konsequent beachtet und umgesetzt.“(S.2.)
Dem widersprechen zahlreiche Organisationen und Einzelpersonen in insgesamt sieben Parallelberichten, die CERD bei der Beurteilung der Situation in Deutschland berücksichtigte. Die unterschiedlichen Sichtweisen werden unter anderem beim Versagen der Sicherheitsbehörden bei der Ermittlung der Morde und Anschläge des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) deutlich.
Der Staatenbericht sieht nicht Rassismus, sondern die mangelnde Koordinierung zwischen Polizei- und Verfassungsschutzbehörden als entscheidende Ursache für das Scheitern der Ermittlungen an. Vor der Selbstenttarnung des NSU sei nicht erkennbar gewesen, dass es sich um rechtsextremistische Taten gehandelt habe.
Der Parallelbericht eines Zusammenschlusses von Anwält_innen der Nebenklage im NSU-Prozess, NGOs und Einzelpersonen, den auch die HLCMR unterstützte, nimmt eine Verletzung der Artikel 2, 4, 5, 6 und 7 ICERD an. Die Parallelberichterstatter_innen werfen den Ermittlungsbehörden vor, überwiegend und ohne Anlass die Opfer selbst und ihre Familien verdächtigt und systematisch die Anzeichen für das rassistische Motiv der Morde ignoriert zu haben. Den vorhandenen Hinweisen auf „deutsch aussehende“ Täter, deren Beschreibungen auf Mundlos und Bönhardt hinwiesen, sei nicht oder nur oberflächlich nachgegangen. So erklärte im Januar 2007 das Landeskriminalamt Baden-Württemberg, dass die Täter der Mordserie nicht aus Deutschland kommen könnten, da „die Tötung von Menschen in unserem Kulturraum mit einem hohem Tabu belegt ist“. Auch die Tatsache, dass das Federal Bureau of Investigation der Vereinigten Staaten im Juni 2007 auf Grundlage derselben Ermittlungsdaten zu der Erkenntnis kam, das Motiv der Täter sei eine Feindseligkeit gegen Menschen türkischer Herkunft, blieb folgenlos.
In den Abschließenden Bemerkungen lobt CERD Deutschland für bereits vorgenommene Maßnahmen, wie etwa die Änderung des § 46 Abs. 2 StGB. In Bezug auf die Aufarbeitung des NSU-Komplexes reagierte CERD allerdings bestürzt. Insbesondere sei der Ausschuss besorgt darüber, dass der Vertragsstaat weiterhin seine systemischen Mängel bei der Feststellung rassistischer Beweggründe für derartige Handlungen, hinter denen sich institutioneller Rassismus verbergen könnte, und beim Umgang mit diesen Beweggründen nicht anerkenne.
Auch rügte CERD die Bundesrepublik dafür, dass an einer gesetzlichen Definition des Begriffs der rassistischen Diskriminierung fehle. Zudem sei es notwendig, in der Gesellschaft Bewusstsein für rassistische Diskriminierung und deren Auswirkung auf die Opfer zu schaffen.
Grund zum Feiern!?
Infolge der Schlussbemerkungen von CERD sowie der Berichte der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz und des Menschenrechtskommissar des Europarates, die Deutschland ebenfalls aufforderten, das behördliche Versagen im Fall NSU zu hinterfragen, nahm am 17. November 2015 ein zweiter NSU-Untersuchungsausschuss seine Arbeit auf. Er soll weitere Reformvorschläge in Bezug auf Struktur und Organisation der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden und der effektiven Rassismusbekämpfung aussprechen.
Es zeigt sich, dass ICERD wichtige Anstöße für mehr Gleichberechtigung geben kann und es sich lohnt, seine Mechanismen zu nutzen. Auch wenn der Weg noch weit ist, sind bereits erste Schritte gegangen. Wir können gespannt sein auf weitere 50 Jahre ICERD!