Geschieden, Ostdeutsch, Arm – Altersarmut bei Frauen

Die Gefahr für Frauen unter Altersarmut zu leiden steigt voraussichtlich auch in diesem Jahr – trotz Rentenerhöhungen. Schon heute leben zahlreiche Frauen über 65 unter der Armutsgrenze, besonders betroffen sind geschiedene Frauen aus der ehemaligen DDR. Das hat seine Gründe auch im Einigungsvertrag von 1990. Bis Ende 2015 sollte das UN-CEDAW den Fall prüfen, eine Entscheidung liegt noch nicht vor.

Seit Oktober vergangenen Jahres ist klar, dass die bundesdeutschen Rentenbezüge 2016 um bis zu 5 Prozent steigen werden. Zwar wird die Entscheidung darüber offiziell erst im Frühjahr 2016 gefällt, aber Hochrechnungen von Rentenkassen und Regierungen lassen diese optimistische Prognose bereits jetzt zu. Fast zeitgleich wurde eine Studie der Bertelsmann-Stiftung veröffentlicht, nach der Menschen die heute zwischen 50 und 64 sind, unter einer größeren Altersarmut leiden werden, als die zur Zeit über 65-Jährigen. Bemerkenswert ist dabei: gefährdeter als alle anderen sind Frauen in den neuen Bundesländern.

Nichtsdestoweniger ist Altersarmut schon heute Realität und davon besonders betroffen sind geschiedene Frauen aus der ehemaligen DDR – jede zweite lebt laut der Studie unterhalb der Armutsgrenze, weitere dreißig Prozent an der Grenze zur Armut (vgl. hier). Einige dieser Frauen haben sich im Betroffenenverband Verein der in der DDR geschiedenen Frauen e.V. organisiert und lassen ihren Fall nun vom UN-CEDAW (Committee on the Elimination of Discrimination against Women) prüfen, denn der Grund für ihre Armut ist im Einigungsvertrag von 1990 zu suchen.  Das UN-CEDAW ist ein Expert_innenausschuss, der seit 1982 die Einhaltung des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau in den Unterzeichnerstaaten überwacht.

In der DDR oblag die Kinderbetreuung, ebenso wie in der BRD, traditionsgemäß vor allem den Müttern, bzw. Frauen, während Männer in der Regel weiter ihrer Lohnarbeit nachgingen.

Die durch die Kinderbetreuung in Bezug auf Rentenpunkte, verlorenen Jahre der betroffenen Frauen wurden in der BRD (im Falle einer Scheidung von dem erwerbstätigen Ehemann) beim Eintritt in das Rentenalter zum Teil durch Ausgleichszahlungen kompensiert. In der DDR gab es diesen Versorgungsausgleich jedoch nicht. Verheiratete Frauen zahlten dort während der Jahre der Kinderbetreuung und des dadurch bedingten Erwerbsausfalls regelmäßig einen symbolischen Beitrag in die Rentenkassen ein – in der Regel 3 Mark monatlich (vgl. hier). Dieser spielte später für die Rentenberechnung keine Rolle, denn diese erfolgte anhand der letzten 20 Jahre vor dem Eintritt in die Rente, ein Zeitraum, indem die meisten Frauen dann wieder erwerbstätig waren. Im Gegensatz zur BRD gab es deshalb keine vorgesehenen Ausgleichszahlungen von Männern an ihre Ex-Frauen im Falle einer Scheidung.

Im Zuge der Angleichung des Rentenrechts nach der Wiedervereinigung genossen die Renten der Männer Bestandsschutz – für die geschiedenen Frauen hingegen wurde der Weg gewählt, die symbolischen Zahlungen von 3 Mark wie normales Einkommen anzurechnen. In der Folge sank das Rentenniveau dieser Frauen drastisch ab. Gleichzeitig fiel die in der DDR vorgeschriebene Mindestrente weg, sodass sich für viele Frauen ein derart geringes Renteneinkommen ergibt, dass sie – in manchen Fällen trotz 40 Jahre lang geleisteter Erwerbsarbeit – unterhalb der Armutsgrenze leben müssen. In der Konsequenz sind diese Frauen häufig gezwungen bis ins hohe Alter hinein erwerbstätig zu bleiben, sofern sie dazu in der Lage sind, und dies oftmals im Niedriglohnsektor trotz vorhandener höherer Qualifikationen.

Zwar wurden Politiker_innen und Jurist_innen schon zu Beginn des Einigungsprozesses auf die Tatsache hingewiesen, dass das Rentensystem in der DDR keinen Versorgungsausgleich wie in der BRD vorsah, und auch auf die Notwendigkeit, eine entsprechende Regelung zu schaffen, um die befürchtete Absenkung der Rente von Frauen zu verhindern. Mit dem Argument, dass die Renten der Ehemänner, wie oben erwähnt, Bestandsschutz genießen würden, wurde dann jedoch davon abgesehen, einen Ausgleich zu schaffen. Denn ein Ausgleich wäre, wie in der BRD bereits üblich, zu Lasten der Renten der Ex-Ehemänner gegangen. Deren Renten blieben durch den Bestandsschutz jedoch unberührt.

Nachdem der Interessenverband vor zahlreichen Familien- und Sozialgerichten, aber auch dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt hatte und mehrmals abgewiesen wurde, hofft er nun, dass der UN-Überprüfungsausschuss des Frauenrechtabkommens CEDAW ein Untersuchungsverfahren gegen Deutschland durchführt, dass eine „direkte, systematische und gravierende Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und Herkunft“ feststellt. Eine Entscheidung des UN-CEDAW wurde bis Ende 2015 erwartet.

Die Zahl derjenigen Frauen die von einem positiven Bescheid profitieren würden, ist inzwischen gering. Trotzdem könnte eine solche Anlass sein, über die steigende Gefahr der Altersarmut, insbesondere bei Frauen, zu sprechen.

Frauen verrichten immer noch den überwältigenden Teil der unbezahlten Care-Arbeit (vgl. hier), dazu zählt Kinder- und Altenpflege ebenso wie zahlreiche ehrenamtliche Tätigkeiten (vgl. hier). Sie leben häufiger in Situationen der finanziellen Abhängigkeit von ihren Ehemännern, kriegen im Schnitt weniger Lohn für gleiche Arbeit und sind darüber hinaus öfter im Niedriglohnsektor beschäftigt als Männer – all das sind Ursachen für Altersarmut.

Die Auseinandersetzung über ein progressives Rentensystem muss diese Fragen adressieren, denn in manchen Bundesländern wird bald ein Viertel aller Rentner_innen in Armut leben, Frauen dabei mit weitaus höherer Wahrscheinlichkeit als Männer.

Eine Rente muss der Mindestanforderung genügen, den Menschen ein würdiges Auskommen im Alter zu sichern – das schließt die Möglichkeit der gesellschaftlichen und politischen Partizipation ebenso ein wie Mobilität und eine sichere Krankenversorgung.

Lasst uns die Entscheidung des UN-CEDAW zum Anlass nehmen, in eine Debatte einzutreten über vergeschlechtlichte Arbeitsteilung, den Wert von Sorgearbeit und die Situation älterer Frauen im deutschen Rentensystem.

Quellen:

http://www.zeit.de/kultur/2015-10/ddr-frauen-renten-altersarmut-uno-10nach8
http://www.verein-ddr-geschiedener-frauen.de/mediapool/83/831287/data/B_ker_-_Artikel.pdf
http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/rentenpolitik/188847/rentenrecht-nach-1990?p=all
https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2015/oktober/altersarmut-steigt-in-deutschland-weiter-an/
http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/rentenpolitik/153080/auswirkungen-der-rentenreformen
http://www.gwi-boell.de/de/2012/12/03/vom-gender-pay-gap-zum-gender-pension-gap
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/statistisches-bundesamt-frauen-arbeiten-oft-unbezahlt-a-1034241.html
http://www.verein-ddr-geschiedener-frauen.de

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