5 Jahre JUMEN – Juristische Menschenrechtsarbeit in Deutschland

Mit der Vision, Grund- und Menschenrechte in Deutschland zu schützen und durchzusetzen, gründete sich 2016 der Verein JUMEN e.V.. Fünf Jahre später ist das interdisziplinäre Team von Jurist*innen und Expert*innen um das Vierfache gewachsen und hat seine Themen ausgeweitet. Ein Rückblick.

Weil alle Menschen Rechte haben

Der Verein JUMEN – Juristische Menschenrechtsarbeit in Deutschland e.V. wurde mit dem Ziel gegründet, die Anerkennung und praktische Umsetzung der Menschenrechte in Deutschland zu stärken und damit über den Einzelfall hinaus für eine Vielzahl von Menschen soziale Veränderungen zu bewirken. Dafür setzt sich JUMEN seither vor nationalen und internationalen Gerichten ein. Der Verein nutzt dabei sog. strategische Prozessführung, ein Instrument, das zum Zeitpunkt der Gründung JUMENs noch sehr neu in Deutschland war. Ihm liegt die Einsicht zugrunde, dass Menschenrechtsverletzungen in Deutschland in der Regel nur anhand von Einzelfällen sichtbar werden. Sie sind jedoch oft systemisch bedingt und beruhen auf strukturellen Problemen. Durch breiten öffentlichen Druck und die Nutzung von Gerichten als politische Räume will JUMEN konkrete gesellschaftliche Verbesserungen erreichen – vernetzt und im Bündnis mit Kooperationspartner*innen.

JUMEN folgt der Idee, gesellschaftliche Kräfte für eine erfolgreiche Menschenrechtsarbeit zu bündeln. Die Arbeit findet daher auf mehreren Ebenen vernetzt statt: JUMEN baut kontinuierlich Netzwerke in der Beratung für die Betroffenen, Anwaltschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft auf, um nicht nur abstrakt an Themen zu arbeiten, sondern aus der Erfahrung und dem Wissen Betroffener heraus zu handeln. Die auf diesem Weg an JUMEN herangetragenen Probleme werden zunächst rechtlich analysiert. Im Anschluss werden menschenrechtliche Argumentationen und Strategien entwickelt, um diese vor Gericht zu bringen. In Vorbereitung auf die strategische Prozessführung wird geprüft, wie ein Fall genau gelagert sein muss, um eine Rechtsverletzung gerichtlich feststellen zu können. In enger Absprache mit den betroffenen Menschen sollen die Verfahren die Chance auf Gerechtigkeit im Einzelfall bringen und darüber hinaus systemische Veränderungen durch Präzedenzurteile bewirken. Ziel der Arbeit von JUMEN ist, erreichte Standards im Bereich der Grund- und Menschenrechte zu verteidigen, langfristig eine progressive Politik zu erwirken und das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass es auch bei sozialen Missständen um Menschenrechte geht.

Der Arbeit von JUMEN liegt ein weites Verständnis von strategischer Prozessführung zugrunde. Um auf die Umsetzung von Menschenrechten hinzuwirken und auf ihre mangelnde Umsetzung aufmerksam zu machen, ist JUMEN Mitglied in mehreren Dachverbänden und Zusammenschlüssen. Dort arbeitet der Verein an der Erstellung von Alternativberichten zur Umsetzung verschiedener Menschenrechtskonventionen in Deutschland mit und erstellt Rechtsgutachten. Gleichzeitig ist es ein wichtiger Baustein von strategischer Prozessführung, Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und in Fachkreisen zu schaffen, um einerseits für die Projektthemen und juristischen Argumentationsmöglichkeiten zu sensibilisieren und aufzuklären und andererseits öffentlichen Druck aufzubauen. Dazu gehören Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ebenso wie Vorträge, Fortbildungen und die Teilnahme an Fachveranstaltungen.  

JUMENs Projekte

Der thematische Fokus liegt bei JUMEN auf Rechtsverletzungen, die bestimmte soziale Gruppen wie bspw. Geflüchtete, Frauen und Wohnungslose in Deutschland besonders stark betreffen. Durch Gesetze und staatliche Maßnahmen erfahren sie massive Ungerechtigkeiten, die in Zeiten politischer Backlashes und wachsender sozialer Ungleichheit weiter zunehmen.

2016 startete JUMEN die Arbeit in zwei Themenfeldern: der ausgesetzte Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten sowie die Auswirkung von Genderstereotypen und Vergewaltigungsmythen in Strafprozessen. Im Laufe der Zeit hat JUMEN sein Themenspektrum erweitert und arbeitet aktuell zu drei weiteren Themen: Geburtsregistrierung von Kindern Geflüchteter, Kinder in AnkER-Zentren und geschlossene Unterbringung als Maßnahme der Jugendhilfe.

Familiennachzug

Von März 2016 bis Ende Juli 2018 war der Familiennachzug zu Geflüchteten mit subsidiärem Schutzstatus für zwei Jahre pauschal ausgesetzt. Seitdem ist der Familiennachzug wieder möglich – allerdings nur eingeschränkt. Die pauschale Aussetzung des Familiennachzugs verletzt das Recht auf Familie der Betroffenen. Klagen gegen die Aussetzung gab es bis 2016 noch keine. Nach mehreren anhängigen Eilverfahren vor dem BVerfG folgte 2017 der erste große Erfolg vor dem Verwaltungsgericht Berlin in der Hauptsache. Erstmals seit der Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Geschützten verpflichtete ein Gericht Deutschland in einem solchen Fall, Visa zur Familienzusammenführung auszustellen. Das Verwaltungsgericht Berlin urteilte im Fall eines 16-jährigen syrischen Jungen, der in Deutschland subsidiären Schutz erhalten hatte und den Nachzug seiner Eltern und Geschwister begehrte. Entgegen der Auffassung des Auswärtigen Amtes sah das Gericht einen Härtefall nach § 22 AufenthG begründet. Es stellte ausdrücklich auf das Kindeswohl ab, dem im Rahmen der völkerrechtskonformen Auslegung des § 22 AufenthG und des Grundgesetzes im Lichte der UN-KRK besonderes Gewicht zukomme. Der Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen des Asylpakets II wurde bis dahin regelmäßig entgegnet, dass eine Härtefallregelung möglich sei. Diese wurde jedoch sehr restriktiv erteilt. Das Urteil erteilte dieser Anwendungspraxis eine Absage. 

JUMEN hat seit 2017 zehn Fälle in diesem Bereich vor Gericht begleitet. In sieben Fällen konnten die Familien einreisen, zwei Fälle laufen noch (einer davon vor dem BVerwG). Im März 2021 hat JUMEN gemeinsam mit Pro Asyl ein Gutachten zur Verfassungswidrigkeit der aktuellen gesetzlichen Regelung zum Familiennachzug veröffentlicht.

Gewalt gegen Frauen

Aus der Praxis wird immer wieder berichtet, dass Frauen sexualisierte Gewalt nicht zur Anzeige bringen, aus Angst vor Re-Viktimisierung und Re-Traumatisierung. Strafrechtliche Verfahren zu sexualisierter Gewalt in Deutschland sind bis heute gespickt mit Genderstereotypen und Vergewaltigungsmythen, die den gleichen Zugang zum Recht verhindern. Für einen effektiven Schutz vor Gewalt ist es wichtig, Vorurteile und Zuschreibungen aufgrund des Geschlechts aufzubrechen. Frauen müssen sich in Strafverfahren wegen sexualisierter Gewalt auf ein Justizsystem verlassen können, das vorurteilsfrei handelt. Gewaltbetroffene Frauen zu unterstützen, statt ihnen den juristischen Weg zu erschweren, ist Voraussetzung für eine geschlechtergerechte Gesellschaft. 

Zur rechtlichen Bewertung der Berichte aus der Praxis führte JUMEN zunächst in einem Projekt mit der Humboldt Law Clinic Grund- und Menschenrechte (HLCMR) eine Prozessbeobachtung in einem Strafverfahren durch. Hierbei analysierten die Studierenden der HLCMR das Aufkommen und die Auswirkungen von Genderstereotypen und Vergewaltigungsmythen in den jeweiligen Verfahren. Darauf aufbauend folgte eine Analyse der menschenrechtlichen Grundlagen. In einem dritten Schritt untersuchten Studierende der HLCMR unter Betreuung von JUMEN Fortbildungen für die Justiz als mögliches Gegenmittel. Um Deutschland weiter in die Verpflichtung zu nehmen, wird das Projekt aktuell weiterentwickelt und um das wichtige Thema Femizide ergänzt.

Geburtsregistrierung von Kindern Geflüchteter

Viele in Deutschland geborene Kinder von Geflüchteten erhalten keine Geburtsurkunde, sodass sie sich später nicht ordnungsgemäß identifizieren können und damit von bestimmten staatlichen Leistungen und Möglichkeiten ausgeschlossen werden. In einem Kooperationsprojekt mit der Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte hat JUMEN ein Gutachten zur Vorbereitung und Durchführung von strategischer Prozessführung im Interesse der betroffenen Kinder erarbeitet.

AnkER-Zentren: Kein Ort für Kinder

JUMEN arbeitet auch zur Situation von Kindern und ihren Familien in 
(Erst-)Aufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete. Denn die Rechte von Kindern werden dort massiv eingeschränkt, weshalb der Aufenthalt dort auf ein absolutes Minimum begrenzt werden sollte. Im November 2021 hat JUMEN gemeinsam mit terre des hommes ein Rechtsgutachten dazu veröffentlicht.

Geschlossene Unterbringung als Maßnahme der Jugendhilfe

In Kooperation mit der Jugendorganisation „MOMO – The Voice of disconnected youth“ und terre des hommes (tdh) arbeitet JUMEN zum Thema geschlossener Einrichtungen in der Kinder- und Jugendhilfe und dem Recht auf gewaltfreie Erziehung. 

Doing Good and Doing Well?

Das Potenzial, über strategische Prozessführung tatsächlich eine gesteigerte Anerkennung der Menschenrechte und für die betroffenen Menschen eine Verbesserung bewirken zu können, erscheint groß. Gleichzeitig erfordern die juristischen Verfahren einen langen Atem und für die Betroffenen eine erhebliche Belastung. Das Mittel strategischer Prozessführung muss an die besondere Vulnerabilität der Betroffenen der von JUMEN behandelten Problematiken angepasst werden. Zur Arbeit von JUMEN gehört deshalb eine sensible und intensive Betreuung der Mandant*innen durch die Zusammenarbeit mit Anwält*innen, Beratungsstellen und ggf. auch medizinischer oder psychologischer Behandlung. Dafür entwickelte Konzepte werden kontinuierlich angepasst und überprüft.

Dies erfordert Zeit und Geld. Ohne das geht es nicht. Insofern ist JUMEN als gemeinnütziger Verein auf Spenden und Fördermitglieder angewiesen.  

In fünf Jahren JUMEN ist viel passiert. JUMEN ist gewachsen, hatte verschiedene Büros und ist in verschiedenen Netzwerken aktiv, sah neuen Herausforderungen entgegen – genauso wie neuen Möglichkeiten und hatte immer weitere Ideen. Die Motivation ist dabei gleichgeblieben – weil alle Menschen Rechte haben.

Auf weitere fünf Jahre JUMEN – wir haben noch viel vor! 

Das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz und die Polizei – eine Zwischenbilanz
Ein neuer Start im neuen Semester