Am 26. April 2018 wurde in Berlin eine groß angelegte Studie vorgestellt, in der etwa 20.000 Examensergebnisse aus 10 Jahren juristischer Staatsprüfung in Nordrhein-Westfalen verglichen wurden. Das Thema: Geschlechts- und Herkunftseffekte bei der Benotung juristischer Staatsexamen. Das Ergebnis: Frauen und Prüflinge mit Migrationshintergrund schneiden deutlich schlechter ab. Die Reaktion: Frauen sind anscheinend die schlechteren Juristen und „Diskriminierung hört sich immer direkt so böse an“.
Zur Studie
Bereits 2014 haben die Autoren der aktuellen Studie (Towfigh, Traxler, Glöckner) in einer Untersuchung auf systematische Notenunterschiede im ersten Staatsexamen aufmerksam gemacht. Damals noch mit einem deutlich kleineren Datensatz und dem Fazit, dass die sich aufdrängende Frage, ob Frauen im Examen diskriminiert werden, nicht mit ihren Daten zu beantworten sei. Mit der fast zehnfachen Anzahl an Datensätzen bestätigen sich nun die Ergebnisse der vorherigen Studie:
Insgesamt schneiden Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Kommilitonen um 0,3 Notenpunkte schlechter ab (das entspricht 3,6 %), bei den Prädikatsexamen zeigt sich der Unterschied noch deutlicher, Frauen erreichen diese um 5,3 Prozent seltener als Männer (Männer: 31,5%, Frauen: 26,2%). Dieser Geschlechtereffekt tritt verstärkt auf, wenn das Geschlecht als einzige Variable bei zwei sich ansonsten in den Parametern „Alter“, „Abiturnote“ und „Prüfungszeitraum“ entsprechenden Personen verändert wird, und lässt sich in den mündlichen Prüfungen noch intensiver nachweisen.
Der Einfluss der Prüfungskommission
Besonders spannend sind die Ergebnisse der mündlichen Prüfungen. Denn während die Klausuren anonym korrigiert werden und höchstens das Schriftbild bzw. der Schreibstil Rückschluss auf Geschlecht oder Herkunft zulassen, stehen sich Prüflinge und Prüfender in der mündlichen Prüfung direkt gegenüber. Und zusätzlich zu den äußerlich erkennbaren Merkmalen – aus welchen die Prüfenden bewusst oder unbewusst Rückschlüsse über den Prüfling ziehen – hat die Kommission noch weitere Informationen zur Verfügung: die Prüfungsergebnisse aus der schriftlichen Prüfung. Diese bedingen ein Phänomen, das Towfigh et al. „vornotenorientierte Notenvergabe“ nennen: die Vergabe von gewissen mündlichen Noten, damit der Prüfling im Gesamtergebnis eine bestimmte Notenschwelle erreicht. So weit so gut, hätten alle Examenskandidaten die gleiche Chance, von der Prüfungskommission über die nächste Schwelle gehoben zu werden. Allerdings dokumentiert die Studie deutliche Geschlechtsunterschiede hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, über eine der vier Notenschwellen „gehoben zu werden“, wenn die Prüfungskommission nur mit Männern besetzt ist (dann haben Frauen eine um 2,3 % geringere Wahrscheinlichkeit). Ist jedoch mindestens eine Frau in der Kommission, entfällt dieser Effekt komplett.
Ein Ergebnis von solcher Deutlichkeit, dass auch die Autoren wagen, einen Zusammenhang zwischen schlechteren Examensergebnissen und Diskriminierung herzustellen. Während sie zwar insgesamt wieder resümieren, dass sich allein aus ihren Ergebnissen kein solcher Kausalzusammenhang ableiten lässt, machen sie deutlich:
„Insbesondere die Befunde zur Zusammensetzung der Kommission sprechen jedoch klar für eine (ggf. unbewusste bzw. „indirekte“) Diskriminierung von Frauen.“
Jurist*in ohne Prädikat – na und?
Die Ergebnisse werden noch frappierender, wenn man sich die Schwelle zu einem vollbefriedigenden Examen anschaut. Hier ist die Wahrscheinlichkeit, die nächste Notenschwelle als Frau vor einer rein männlich besetzten Kommission zu erreichen, um 6% geringer als als Mann.
Nun könnte man sich natürlich fragen: Na und? Wen interessieren denn überhaupt Noten. Doch auch hier sprechen die Zahlen, erhoben vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, für sich selbst: Bereits in den ersten Jahren nach dem Studium tritt ein Gehaltsunterschied von nahezu 15% zwischen Personen mit einem Prädikatsexamen und solchen, die kein Prädikat erreichen konnten, auf. Auch der Zugang zum Richteramt oder zu hochbezahlten Jobs in Großkanzleien ist maßgeblich von den erreichten Noten und häufig vom Überschreiten der 9 Punkte-Grenze abhängig. Prof Dr. Maria Wersig (Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes e.V.) fasst das Problem treffend zusammen: „In kaum einem Fachgebiet hängt der berufliche Weg so sehr von der Abschlussnote ab wie in Jura. […] Diese Aussagekraft der Abschlussnote ist zu hinterfragen, wenn die Note von Geschlecht oder Herkunft beeinflusst ist.“
Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen
…dachte sich wohl Constantin van Lijnden, Politikredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, und fand im wöchentlichen „Einspruch“ Podcast (ab ca. -00:46:00) eine einfache Erklärung für die Ergebnisse von Towfigh et al.: Frauen seien für das Jurastudium einfach weniger begabt als ihre männlichen Kollegen. Schlechter im mündlichen Ausdruck, schwächer in der Argumentation und weniger resilient in Stresssituationen.
Man könne zwar an Diskriminierung denken, aber es stünden genau so viele andere Erklärungen zur Verfügung, wie eben die durchschnittlich geringere Begabung der Frau für die Juristerei. Das kenne man doch auch aus den Naturwissenschaften, fügt er noch hinzu. Gefragt, ob sich aus den doch ziemlich aussagekräftigen Ergebnissen bezüglich der Zusammensetzung der Prüfungskommission nicht diskriminierendes Benotungsverhalten ableiten lasse, befindet Constantin van Lijnden:
„Diskriminierung hört sich immer direkt so böse an“
Er glaube nicht, dass irgendein männlicher Prüfer auf dieser Welt dasitzt und denkt: „Ich hasse Frauen, die sollen schlechter abschneiden“. Dass aber offen gelebter Hass nicht nötig ist, um nach verinnerlichten Stereotypen zu denken, zu handeln und eben auch zu benoten, scheint er nicht verstanden zu haben. Leider! Denn um etwas an den aktuellen Zuständen zu ändern, die die Studie von Towfigh et al. aktuell und pointiert beleuchtet und die für viele Generationen von Jurastudentinnen ganz gewöhnlicher Bestandteil ihres Alltags und ihrer Ausbildung sind, muss genau das verstanden werden:
Diskriminierung kommt nicht nur als offen ausgetragener Hass zum Ausdruck, sondern diskriminierendes Verhalten entsteht oft unbewusst und wirkt subtil. Denn ein schlechtes Examensergebnis mag Zufall sein, 20.000 sind es nicht. Die Benachteiligung von Frauen hat hier System.