Ende 2018 startete die bislang größte, bundesweite Kampagne der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) #darüberreden. Junge Menschen sollen dazu ermutigt werden, eigene Diskriminierungserfahrungen zu teilen und sich zu vernetzen. Ob und inwieweit uns Reden hilft, bleibt abzuwarten.
Geschieht Diskriminierung, so bleibt in rund 40% der Fälle eine Reaktion darauf aus. Weil die Betroffenen nicht glauben, dass es etwas bringt, nicht wissen, was sie tun könnten oder Angst haben, dass man ihnen nicht glaubt. Das ergab eine Studie im Auftrag der ADS . Wer nicht anecken will, muss sich eben anpassen, frei nach dem Motto: „Wenn du sie lang genug ignorierst, macht es ihnen irgendwann keinen Spaß mehr.“ Aber in der Zwischenzeit häufen sich Benachteiligungen, schiefe Blicke, fiese Kommentare und körperliche Übergriffe weiter. Um sich dagegen zu verteidigen, gilt in Deutschland seit 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, es scheint in der sozialen Realität nur langsam Wirkung zu entfalten.
Um mehr Präsenz für Diskriminierungserfahrungen in der Öffentlichkeit zu schaffen, startete die Antidiskriminierungsstelle am 18.10.2018 das Hashtag #darüberreden in den sozialen Medien. Es soll dazu verwendet werden, Berichte über eigene Erfahrungen mit Diskriminierung zu veröffentlichen. Parallel dazu werden Unterrichtsmaterialien für Schulen erarbeitet und regelmäßig live-events auf Facebook und Instagram veranstaltet, in denen vielfältige junge Influencer*innen über Diskriminierung reden. Das Projekt ist auf die Dauer von zwei Monaten angelegt. Ziel ist es, Jugendliche zu sensibilisieren und das Ignorieren und Verschweigen von Diskriminierung zu stoppen.
Sucht man nach dem entsprechenden Hashtag auf Twitter oder anderen ähnlichen Plattformen, so ist die Zahl der Treffer relativ gering. Meistens handelt es sich um Posts der Antidiskriminierungsstelle selbst oder zufällige Verwendungen, die sich nicht auf die Kampagne beziehen. Man findet außerdem Werbung von anderen Organisationen und nur vereinzelt eigene Erlebnisberichte. Zwei Facebook-User*innen benutzen öffentlich den Profilbildfilter des Projekts. Im Vergleich mit anderen ähnlichen Aktionen wie der globalen #metoo oder der in Deutschland entstandenen #metwo Bewegung scheint das Ergebnis zunächst entmutigend gering. Die Aufforderung, öffentlich Stellung zu beziehen und sich mitzuteilen scheint irgendwo auf dem Weg von der ADS zu ihrer Zielgruppe im Internet verloren gegangen zu sein.
Liegt es daran, dass die Antidiskriminierungsstelle trotz neuer Webseite eigens für die Kampagne im farbenfröhlichen Design und in junger Sprache nicht ansprechend oder authentisch wirkt oder aufgrund mangelnden Einflusses über soziale Medien nicht genug junge Menschen erreicht? Fühlen wir uns vielleicht zu unsicher, um unsere Erfahrungen zu teilen? Woran liegt es, wenn sich ein Hashtag über Nacht global wie ein Lauffeuer verbreitet – oder eben auch nicht? Ob eine Aussage, ein Video oder ein Bild „viral“ wird, hängt wohl vom sozialen Einfluss der Initiierenden und Unterstützenden und der Aktualität des Themas, oft aber einfach vom Zufall ab. Fest steht jedenfalls, dass das #daüberreden diese Größenordnung (noch) nicht erreicht hat.
Als gescheitert ist die Aktion trotzdem nicht zu bezeichnen. Sie wollte Dialoge eröffnen, eine sichere Umgebung für das Teilen von persönlichen Geschichten schaffen und Betroffene vernetzen. In den Kommentaren zu Beiträgen der Antidiskriminierungsstelle mit #darüberreden sind viele Berichte über Selbsterlebtes oder Miterlebtes zu finden. Menschen setzen sich mit anderen und ihren Erfahrungen auseinander. Es entstehen neue Verbindungen und Möglichkeiten, sich mit anderen zu vernetzen, denen ähnliches passiert ist. Die ADS rief auf: „Lass’ uns darüber reden, wenn Du Diskriminierung erlebst. Nur so können wir sie beenden!“ Sie nimmt ihre Rolle und Verantwortung in diesem offenen Gespräch wahr, moderiert, und antwortet auf jeden Beitrag. Außerdem kontrolliert sie die Sprache und Umfangsformen im Forum und schließt Verfassende verletzender Beiträge von der Diskussion aus. Vor allem bietet sie immer wieder ihre (auch juristische) Hilfe und Beratung an und fordert Beitragende dazu auf, das Problem öffentlich zu machen und aktiv gegen Diskriminierung vorzugehen.
Eine weit verbreitete Aussage unter den Betroffenen ist „Ich ignorier’s einfach.“ In Übereinstimmung mit der Studie im Auftrag der ADS ist für viele der einfachste und schnellste Weg, Diskriminierung hinter sich zu lassen, sie (scheinbar) nicht zu beachten. Auch wenn Benachteiligungen persönlich verletzen, scheint es sicherer, nichts dagegen zu unternehmen. Einige erwähnen schwerwiegende Beeinträchtigungen ihrer psychischen Gesundheit als Folge von Diskriminierung und geben doch an, sich damit abgefunden zu haben und nicht weiter gegen die Täter*innen vorgehen zu wollen. Die ADS gibt sich große Mühe, diese Haltung zu verändern und nicht nur darüber zu reden, sondern auch konkrete Handlungsschritte zu ergreifen. In der öffentlich einsehbaren Sphäre scheinen diese Aufforderungen und Ermutigungen auf wenig fruchtbaren Boden zu fallen. Ob der neu eröffnete Dialog über Diskriminierung jedoch zu mehr Inanspruchnahme von Beratung und juristischer Unterstützung durch die ADS geführt hat und vielleicht zu potentiell mehr Durchsetzung von Rechten von Diskriminierten, lässt sich von außen noch nicht sagen. Eine Auswertung von Erfahrungen der Aktion soll demnächst stattfinden. Erst dann wird sich zeigen, wie viel weiter uns #darüberreden wirklich bringt. Wenn nach Schweigen Reden kommt, dann bleibt jedenfalls die Hoffnung nicht aus, dass bald auch Taten folgen.