Einmal relevant – immer relevant? Die Praxis behördlicher Datenspeicherung ist undurchsichtig und bedenklich

Die Einstufung als polizeirechtlich „relevante Person“ durch Polizeibehörden geschieht oft aus undurchschaubaren Gründen und wird kaum überprüft. Gleichzeitig hat sie gravierende Folgen für die Betroffenen. Die Umweltaktivistin Cecile Lecomte erfuhr eher zufällig von ihrer polizeilichen „Relevanz“. Nun unterstützt die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) ihre Klage auf Auskunft über die Überwachungsmaßnahmen.

Relevant geklettert

Cécile Lecomte, auch bekannt als „Eichhörnchen“, klettert hinauf, wo sie politische Zeichen setzen kann. Sie besetzt Bäume und Bagger gegen den Braunkohleabbau, stoppt Urantransporte durch Abseilaktionen über Bahngleisen und bringt Demobanner in luftige Höhen. Sie lebt in Lüneburg und setzt sich mit ihren gewaltfreien Aktionen gegen Atomkraft, Kohlekraft und Gentechnik ein.

2015 stellte Lecomte anlässlich eines anderen Klageverfahrens einen Datenauskunftsantrag an das Landeskriminalamt Niedersachsen (LKA) und erfuhr so von ihrer Einstufung als „relevante Person“. Mit diesem Begriff konnte sie zunächst wenig anfangen und stellte Nachfragen an das LKA. Antworten auf ihre Frage nach dem Grund der Einstufung erhielt sie nicht. Ein gutes Jahr später wurde mit der Löschung ihres Eintrags reagiert. In dem entsprechenden Schreiben gibt das LKA an, dass nach einer Überprüfung durch die Polizeidirektion „die Voraussetzungen für eine Einstufung als relevante Person nicht mehr gegeben“ seien.

Schon die Speicherung von persönlichen Daten in einer Polizeidatenbank stellt einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ( Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes) dar, also in das Recht der/des Einzelnen, selbst über Erhebung, Speicherung, und Verwendung ihrer/seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Eingriffe in dieses Recht sind möglich, bedürfen aber einer gesetzlichen Grundlage. Die Einstufung als „relevante Person“ geht über die einfache Datenspeicherung noch deutlich hinaus. Sie bietet den Behörden Anlass für die Einleitung polizeirechtlicher Maßnahmen, darunter zum Beispiel verschiedene Arten der verdeckten Überwachung, kann also schwere Eingriffe in Persönlichkeitsrechte mit sich bringen und weitreichende Folgen für die Betroffenen haben.

Wer oder was ist „relevant“?

Die Einstufung als „relevante Person“ beruht nicht auf einer gesetzlichen Definition, sondern wird auf polizeilicher Ebene definiert. Nach Angaben des Bundeskriminalamts wird eine Person dann als relevant eingestuft, wenn sie „innerhalb des extremistischen/terroristischen Spektrums die Rolle einer (a) Führungsperson, (b) eines Unterstützers/Logistikers, (c) eines Akteurs einnimmt und objektive Hinweise vorliegen, die die Prognose zulassen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung […] fördert, unterstützt, begeht oder sich daran beteiligt.“

Das LKA Niedersachsen hätte zur Begründung des Eintrags von Lecomte einzig auf vier wegen Geringfügigkeit eingestellte Verfahren zurückgreifen können, berichtet sie auf ihrem Blog. Dabei ging es um Vorwürfe wie das Nicht-Anmelden von Versammlungen und das Wegklettern vor Vollstreckungsbeamt_innen. Weit entfernt also von den in der Definition des BKA erwähnten „Straftaten von erheblicher Bedeutung“, mit denen Verbrechen wie Mord, Raub oder Erpressung gemeint sind, und die nach überwiegender Ansicht dazu geeignet sein müssen, das „Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung“ empfindlich zu beeinträchtigen. Es ist also nicht nachvollziehbar, wie die Eintragung der Umweltaktivistin nach der polizeilichen Definition überhaupt einmal gerechtfertigt war.

Die Einschätzung der Behörden ist frei von jeder Rückkopplung an den Ausgang gerichtlicher Verfahren.  Das macht es schwer, eine behördliche Einstufung einer Person als „relevant“ auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und gegebenenfalls korrigieren zu lassen. Für die Entscheidung, eine Person als „relevant“ einzustufen, reichen polizeilich erstellte Prognosen aus, auch wenn diese später nicht durch Gerichte bestätigt werden können. Laut Bundesregierung beruht die Entscheidung „allein auf polizeilichen Kenntnissen“ und setzt „nicht zwingend eine Urteilsfindung im Rahmen einer gerichtlichen Hauptverfahrens“ voraus.

Dass die Verfahren gegen Lecomte wegen Geringfügigkeit eingestellt wurden, hatte also keinen Einfluss auf die Bewertung ihrer Person durch die Polizeibehörden. An Informationen über die entscheidenden polizeilichen Kenntnisse ist aber kaum heranzukommen. Lecomte schildert in einem Videobeitrag, wie die Behörden sich als Reaktion auf ihre Anfragen zunächst gegenseitig die Zuständigkeit zugeschoben haben, um letztlich darauf zu verweisen, dass diese Information aufgrund der hohen Sensibilität nicht herausgegeben werden könnten.

Ein Fall für die strategische Prozessführung

Die Eintragung und Nichtlöschung der Daten vom Lecomte in Niedersachsen ist kein Einzelfall. Laut Rechtsanwalt Ulrich Kerner werden sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene Eintragungen aus fragwürdigen Gründen vorgenommen und die Löschfristen für Polizeidatenbanken häufig nicht beachtet. Die Daten bleiben dann gespeichert bis sich die Betroffenen selbst einschalten. Dafür müssen diese sich ihrer Betroffenheit jedoch erst einmal bewusst sein und einen entsprechenden Datenauskunftsantrag stellen. In den allermeisten Fällen wissen die als „relevant“ eingestuften Personen nichts von dieser Einordnung und können auch keinen Gebrauch von ihrem Auskunftsrecht machen, geschweige denn sich gegen Überwachungsmaßnahmen wehren.

Insofern kann von Glück gesprochen werden, dass Lecomte von ihrer polizeilichen Relevanz erfahren hat und nun vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg auf Auskunft über die gegen sie gerichtete Überwachungsmaßnahmen klagen konnte. Nach § 30 Abs. 4 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG) hätte die Polizeibehörde sie darüber informieren müssen, in welchen Zeiträumen und mit welchen Methoden personenbezogene Daten über sie erhoben wurden. Die GFF, die sie bei der Klage unterstützt betrachtet den Fall als eine seltene Möglichkeit, mehr über die ansonsten verdeckt durchgeführten Maßnahmen zu erfahren. Es werde „Zeit, in die undurchsichtige Praxis etwas Licht zu bringen“ sagt der Vorsitzende Dr. Ulf Buermeyer.

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