Dritte Option – ein Beispiel für strategic litigation in Deutschland

Auf der Tagung der Humboldt Law Clinics zu Strategic Litigation am 24.06.2016 diskutierten internationale und deutsche Expert*innen über die Vorteile und Risiken strategischer Verfahrensführung anhand unterschiedlicher Beispiele. Ein praktisches Beispiel für eine strategische Verfahrensführung in Deutschland ist das aktuell beim BGH anhängige Verfahren für eine Dritte Option beim Geschlechtseintrag.

Veroeffentlichung_Stand120615Im Jahr 2013 gründete sich die Kampagne Dritte Option. Das Ziel: die juristische und politische Begleitung eines personenstandsrechtlichen Individualverfahrens, mit dem die Möglichkeit eines weiteren Geschlechtseintrages – jenseits von „männlich“ und „weiblich“ – erstritten werden soll.

Ebenfalls im Jahr 2013 wurde der § 22 Abs. 3 PStG neu in das Deutsche Personenstandsgesetz eingeführt. Dieser regelt, dass eine Geburt auch ohne eine Geschlechtsangabe in das Geburtenregister einzutragen sei, wenn ein Kind weder eindeutig dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann.

Kritisiert wird an dieser Regelung, dass es Menschen gibt, die sich weder als „männlich“ noch „weiblich“ verstehen, aber ein Offenlassen des Geschlechtseintrages für sich ablehnen, weil damit wieder keine Anerkennung der selbstempfundenen Geschlechtsidentität gegeben ist. „Kein Eintrag“ ist eine Lücke und eben gerade keine positive Rechtsposition, auf die man sich stützen kann, um z.B. Antidiskriminierungsrechte geltend machen zu können.

Antrag auf personenstandsrechtliche Eintragung als inter/divers

Vor diesem Hintergrund reichte die antragstellende Person mit Unterstützung der Kampagne im Sommer 2014 einen Antrag auf Streichung des bisherigen Geschlechtseintrages und Eintragung als „inter/divers“ beim zuständigen Standesamt ein.

Das Standesamt und das Amtsgericht Hannover lehnten den Antrag ab mit der kurzen Begründung, dass eine solche Eintragung gesetzlich nicht vorgesehen sei. Das OLG Celle wies die darauf folgende Beschwerde zurück. Die Entscheidung des OLG Celle ist ein klares: Ja, aber…
JA, ein rein binäres Geschlechtersystem bestehend aus “männlich” und “weiblich” wäre verfassungswidrig, da es gegen das grundgesetzlich geschützte Persönlichkeitsrecht von Menschen verstoßen würde, die weder eine männliche noch eine weibliche geschlechtliche Identität haben.
ABER, die mittlerweile in § 22 Abs. 3 PStG geregelte Möglichkeit den Eintrag offen zu lassen wäre ausreichend.

Das OLG Celle stellte darüber hinaus klar, dass auch Erwachsene sich auf § 22 Abs. 3 PStG beziehen können. Es war vorher unklar, ob die Regelung nur für Neugeborene gelten sollte oder, ob auch nachträglich die Möglichkeit der Streichung des falschen Geschlechtseintrags eröffnet werden sollte. Die Entscheidung des OLG Celle ist insofern bereits ein Erfolg, da sich Erwachsene, die die Streichung des Geschlechtseintrages beantragen möchten, nun direkt darauf beziehen können.

Momentan ist das Verfahren beim BGH anhängig. Sollte die Entscheidung negativ sein, wäre der nächste Schritt eine Verfassungsbeschwerde.

Über den Individualanspruch hinaus…

Doch es geht in diesem Verfahren um noch mehr, als um den Individualanspruch der antragstellenden Person. Ziel ist es auch, das Verfahren und im Idealfall auch dessen Ergebnis für weitergehende politische Arbeit zu nutzen, um gesellschaftliche und rechtliche Veränderungen voran zu bringen.

Deshalb sprach die Kampagnengruppe vor der Beantragung beim Standesamt mit verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen über Sinnhaftigkeit und Ausrichtung des Verfahrens. Diskutiert wurde zum Beispiel, ob es klug sei, eine dritte Option zu schaffen, statt gleich zu fordern, die problematischen Geschlechtskategorien ganz abzuschaffen. Es gab Bedenken, ob eine „Dritte Option“ einfach eine neue Zwangskategorie schaffen würde, zusätzlich zu den bisher bestehenden binären Kategorien. Und es gab die Sorge, dass dann keine Möglichkeit mehr bestehen könnte, sich trotz medizinisch diagnostizierter Intergeschlechtlichkeit als „Frau“ oder „Mann“ eintragen lassen zu können. Schließlich gab es Einwände, ob nicht andere Themen, wie der Kampf gegen die Operationen von Kindern, ohne deren Einwilligung, wichtiger seien.

Die Kampagnengruppe entschied sich für das Verfahren, da die Möglichkeit sich als „inter/divers“ eintragen lassen zu können, als ein notwendiger Zwischenschritt erachtet wird. Zum einen, weil Menschen die es betrifft jetzt eine Lösung brauchen und nicht irgendwann. Zum anderen, weil sich an eine „Dritte Option“ weitere Ansprüche knüpfen lassen. Die langfristige Hoffnung ist es, mit der Erweiterung der Möglichkeiten irgendwann den Zwang zu überwinden, sich überhaupt in eine Geschlechterkategorie einsortieren lassen zu müssen.

Um das Anliegen auf verschiedenen Ebenen voran zu treiben, organisiert die Kampagnengruppe Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungen über das Verfahren und allgemein über Intersexualität. Zusätzlich findet Vernetzungsarbeit statt, Personen die konkrete Fragen haben oder auch Anträge stellen wollen, werden unterstützt, es wird Geld zur Finanzierung des Verfahrens und der politischen Arbeit drumherum gesammelt, etc.

Wann, wenn nicht jetzt?

Die auch bei der Tagung Strategic Litigation angesprochene Frage, ob es ein richtiges oder falsches Timing für ein solches Verfahren gäbe, kann nicht pauschal beantwortet werden. Im Falle des Verfahrens für eine Dritte Option ist der Zeitpunkt jedoch günstig.

Das BMFSFJ hat momentan zwei Gutachten in Auftrag gegeben, in denen Regelungsmodelle zur Anerkennung und zum Schutz von Geschlechtsidentität entwickelt werden sollen. Dabei wird u.a. die streitgegenständliche Norm des § 22 Abs. 3 PStG evaluiert.

In Malta und Dänemark gibt es neue gesetzliche Regelungen zur Anerkennung von Geschlechtsidentitäten und es werden vergleichbare Verfahren in Österreich und Frankreich geführt.

Die Notwendigkeit einer auch rechtlichen Anerkennung anderer Geschlechtsidentitäten als „männlich“ und „weiblich“ lässt sich mittlerweile weder gesellschaftlich noch politisch, noch rechtlich leugnen. Dies sah vor ein paar Jahren noch ganz anders aus.

Eins ist klar: Die aktuelle Situation ist Ergebnis langer und kontinuierlicher Arbeit von Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen und Jurist*innen zu den Themenkomplexen Geschlechtsidentitäten und Recht sowie Inter*- und Trans*- Rechten. Durch mehrere Klageverfahren wurden im Laufe der Jahre viele Regelungen des deutschen Transsexuellengesetz gekippt. Vor allem auch dadurch mussten sich die gesetzgebenden Stellen, die Verwaltung und die Rechtsprechung, immer wieder mit diesem Thema auseinandersetzen.

Dadurch ist die Frage des Umgangs mit Geschlechtsidentitäten ein Bereich geworden, in dem es sich anbietet auch mittels juristischer Verfahren, die über den Einzelnormen stehende gesellschaftliche Struktur – die binäre Geschlechterordnung – anzugehen.

Ethics in Reporting: Setting Global Standards to End Child Marriage
Hoffnung und Bedenken - NGOs positionieren sich zu neuer Resolution zu sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität des UN-Menschenrechtsrats