Berichte über Discos und Schwimmhallen, die Flüchtlingen mit Verweis auf sexuelle Belästigung den Zugang erschweren oder verbieten wollten, haben eine bundesweite Debatte über Rassismus im Freizeitbereich eröffnet. Neu ist das Problem nicht. Hamado Dipama besuchte im Mai 2014 25 Münchner Clubs, an 20 wurde er abgewiesen. “Du stehst da und fragst dich: Was habe ich falsch gemacht? Du fühlst Dich erniedrigt, verletzt. Es ist so demütigend und peinlich, das ist schwer zu ertragen“, berichtete er einem US-amerikanischen Magazin. Er teilt diese Erfahrungen mit vielen Menschen, die nicht ins typisch deutsche Bild passen und deshalb regelmäßig an Einlasstüren, im Bewerbungsverfahren oder bei der Wohnungssuche scheitern. In den USA und Großbritannien ist rassistische Diskriminierung im Dienstleistungssektor seit den 1960er Jahren gesetzlich verboten. In Deutschland bietet seit zehn Jahren das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eine rechtliche Handhabe.
Das zivilrechtliche Verbot rassistischer Diskriminierung im AGG
Das AGG formuliert in §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 8, 19 Abs. 2 AGG ein Verbot der Benachteiligung “aus Gründen der Rasse und ethnischen Herkunft” für sämtliche zivilrechtliche Schuldverhältnisse. Neben Verträgen mit Ärzt*innen, Fahr- oder Sprachschulen betrifft das alle Verträge über Güter und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Die Kategorien „Rasse und ethnische Herkunft“ lassen sich nicht scharf voneinander abgrenzen. Das ist auch nicht nötig, sie können als rassistische Diskriminierungen bezeichnet werden. Das macht auch die Gesetzesbegründung deutlich, wonach „nicht das Gesetz das Vorhandensein verschiedener menschlicher ,Rassen’ voraussetzt, sondern derjenige, der sich rassistisch verhält, ebendies annimmt“ (S. 31). Es kommt also auch nicht auf tatsächliche Unterschiede an, sondern auf die stigmatisierenden Zuschreibungen. Umfasst sind Anknüpfungen an das äußere Erscheinungsbild, an den Namen, die Sprache, den Akzent, die Religion oder die Kleidung, mit denen eine bestimmte biologische Abstammung oder ethnokulturelle Herkunft assoziiert wird.
Den geschilderten Fällen von Alltagsdiskriminierung kann eine manifeste rassistische Ablehnung zugrundliegen, aber auch unbewusste Ressentiments oder weitverbreitete rassistische Stereotype, wonach bestimmte Menschen qua Biologie oder Kultur frauenverachtend, triebhaft und unzivilisiert sind. Für die Ausgeschlossenen ist die Intention meistens egal, denn der Effekt bleibt derselbe: Sie werden pauschal ausgeschlossen, benachteiligt, stigmatisiert – diskriminiert. Antidiskriminierungsrecht ist deshalb folgenorientiert. Es geht dem AGG nicht um Vorsatz, rassistische Ideologie oder Hass von Türstehern oder Vermieterinnen, sondern um die ausschließenden und verletzenden Effekte, die ihre Handlungen haben. Auch „nicht böse gemeinte“ diskriminierende Handlungen haben für die davon betroffenen Menschen und für den gesellschaftlichen Diskurs um Flucht und Migration schwerwiegende Folgen. Das AGG setzt deshalb auf Folgenbeseitigung und Prävention. Im Unterschied zum Strafrecht eröffnet es den benachteiligten Personen die Möglichkeit, eine Rechtsverletzung selbst außergerichtlich oder vor Gericht geltend zu machen und Beseitigung und Unterlassung, sowie Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche zu verlangen.
Was haben Zugangsverbote für Flüchtlinge mit Rassismus im Sinne des AGG zu tun?
Auch ein Anknüpfen an die vermeintliche oder tatsächliche Staatsangehörigkeit oder den Aufenthaltsstatus kann eine unmittelbare rassistische Diskriminierung im Sinne des AGG sein, wenn es sich eigentlich um eine rassistische Zuschreibung handelt und die tatsächliche Staatsangehörigkeit gar keine Rolle spielt. In diesem Sinne haben auch der Antirassismusausschuss der UN und das BVerfG entschieden. Das ist auch der Fall, wenn Clubs, Schwimmbäder oder Vermieter*innen asylsuchende Männer pauschal abweisen oder generellen Sonderbehandlungen unterziehen. Freizeiteinrichtungen sind keine Ausländerbehörden, der Pass oder Aufenthaltstitel ihrer Gäste geht sie schlichtweg nichts an.
Ob es sich um ausländische Besucher oder solche mit deutscher Staatsangehörigkeit handelt, denen eine nicht deutsche Herkunft zugeschrieben wird und die deshalb nicht reinkommen, spielt also keine Rolle. So entschied zum Beispiel das OLG Stuttgart 2011. Das Gericht stellte auch klar, dass es sich um eine mehrdimensionale Diskriminierung i.S.v. § 4 AGG handelt, da von diesen Praktiken meist Männer betroffen sind. Gemein ist allen Fällen, dass diesen Männern kollektiv unterstellt wird, qua Natur oder Kultur hypersexuell, unkontrolliert, gefährlich und kriminell zu sein. Deutlich wird diese in der Sozialwissenschaft als rassifizierte Männlichkeit bezeichnete Konstruktion aktuell in den rassistisch aufgeladenen Debatten über sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum.
Können Ungleichbehandlungen im Freizeitbereich gerechtfertigt sein?
Nicht jede Ungleichbehandlung stellt eine diskriminierende Benachteiligung dar. Das AGG enthält verschiedene sachliche Gründe, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen. Für den arbeitsrechtlichen Teil können das zum Beispiel besondere berufliche Anforderungen sein, wie die Einstellung eines herkunftssprachlichen Sprachlehrers oder einer Migrantin in einer Beratungsstelle für Migrantinnen. Auch für den Waren- und Dienstleistungsverkehr sieht das AGG sinnvolle Ausnahmevorschriften vor. Zum Beispiel können Clubs zur Verhütung von Schäden mit Blick auf den Jugendschutz weiter Ausweispapiere ihrer Gäste auf das Lebensalter kontrollieren (§ 20 Abs. 1 Nr. 1) oder Schwimmbäder und Saunen mit Blick auf den Schutz der Intimsphäre weiter Frauenschwimm- und Saunazeiten anbieten (§ 20 Abs. 1 Nr. 2).
Für rassistische Diskriminierung enthält das Gesetz keinerlei Ausnahmevorschriften. Rassistische Zuschreibungen dürfen kein Grund sein, den Zugang zu öffentlich angebotenen Gütern und Dienstleistungen zu verwehren. Auch die Einschränkung des Diskriminierungsverbotes auf sogenannte Massengeschäfte gilt für Fälle rassistischer Diskriminierung nicht, das ergibt sich aus § 19 Abs. 2 AGG. Deshalb gilt das AGG auch bei Problemen die Migrant*innen, People of Color oder Asylsuchende bei Kontoeröffnungen oder mit Vermieter*innen, die weniger als 50 Wohnungen vermieten, haben.
Wo bleibt das Hausrecht?
Bei rassistischer Diskriminierung hört das Hausrecht auf, eine Rechtfertigung solcher pauschaler Praktiken, durch vorgeschobene oder ihrerseits diskriminierende Aussagen, wie „Ausländer haben schon mal Stress gemacht“ oder „Flüchtlinge kennen unsere Regeln nicht“ sind vom Gesetz nicht vorgesehen. Transparente, klare und nicht diskriminierende Umgangsregeln für alle Gäste einer Disco, eines Fitnessclubs oder eines Schwimmbades sind dagegen zulässig und überaus wünschenswert. „Sexuelle Belästigung wird nicht akzeptiert“ gehört genauso in eine Haus- oder Badeordnung, wie der Satz „Rassistische Diskriminierung ist bei uns unerwünscht“.
Wer eine Privatparty veranstaltet, kann sich aussuchen, wen er oder sie einlädt. Wer auf dem freien Markt operiert, darf das aus guten Gründen nicht. Auch staatliche Anbieter sind davon nicht ausgenommen, für sie formuliert zudem Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz ein klares Diskriminierungsverbot.
Susanne Baer hat darauf hingewiesen, dass Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit im internationalen Menschenrechtssystem keine Gegensätze sind, sondern eine Trias bilden. Eine stigmatisierende und benachteiligende Behandlung aufgrund individuell nicht beeinflussbarer Kollektivzuweisungen widerspricht gerade dem Ideal von Freiheit und Selbstbestimmung. Diskriminierungsschutz ist deshalb auch kein Gegner der Privatautonomie, sondern ihr wichtiger Verbündeter und nachdrücklicher Helfer.Von tatsächlicher Freiheit kann nur dann gesprochen werden, wenn alle Menschen gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Unabhängig vom Aufenthaltsstatus.
Dieser Artikel ist zuvor bei JuWissBlog erschienen.