Über die (Un-)Verständlichkeit des Neins.

Die Debatte um das Sexualstrafrecht wird seit den Ereignissen in Köln hitzig geführt. Leider wird sie dabei häufig zur Legitimierung von Abschiebungen und Rassismus instrumentalisiert. Ein guter Zeitpunkt, um den Fokus wieder auf die Opfer und deren rechtlichen Schutz zu legen.Hierzu lud die Amnesty International Gruppe der Humboldt-Universität zu Berlin zu einer rechtsvergleichenden Podiumsdiskussion mit Rechtsanwältin Christina Clemm und Prof. Stuart Green von der Rutgers School of Law (U. S. A.) ein. Bereits am Abend zuvor hatte Prof. Stuart Green an der Humboldt-Universität einen Gastvortrag zum Thema „“Yes Means Yes“ and the Evolving Definition of Rape in American Law“, gehalten, organisiert vom Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung von Prof. Dr. Tatjana Hörnle.

Der status quo

Studien zeigen, dass jede 7. Frau in Deutschland schon einmal eine strafrechtlich relevante Form von sexueller Gewalt erlebt hat – man beachte hier schon, dass der Gesetzgeber nur wenige Formen von sexueller Gewalt oder sexuell motivierter Übergriffe überhaupt für strafrechtlich relevant hält. Die aktuelle Gesetzeslage weist darüber hinaus erhebliche Strafbarkeitslücken auf.

Dazu kommt, dass nur 5 % der begangenen Übergriffe überhaupt angezeigt werden. Die Verurteilungsquote bei diesen Fällen liegt bei 13%. Faktisch bedeutet dies, dass sexuelle Übergriffe in Deutschland in der überwiegenden Anzahl der Fälle nicht strafrechtlich geahndet werden. Seit der Unterzeichnung der Istanbul-Konvention ist der deutsche Gesetzgeber nun aber verpflichtet Änderungen vorzunehmen. Doch, wie könnten diese Änderungen aussehen?

Yes-means-Yes – ein Rechtsvergleich

Wirft man einen Blick in die Vereinigten Staaten von Amerika, können die verschiedenen Ansätze verglichen werden. Das Strafrecht ist in den U. S. A. Ländersache, sodass auch das Sexualstrafrecht in jedem der 50 Bundesstaaten variabel gestaltet werden kann und gestaltet wurde.

In einigen Staaten ähnelt das Sexualstrafrecht demjenigen des common law des Vereinigten Königreiches, welches auch mit der aktuellen Gesetzeslage in Deutschland vergleichbar ist. Erforderlich für eine Verurteilung ist demnach, dass der_die Täter_in das Opfer mit Gewalt, Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder unter Ausnutzung seiner schutzlosen Lage nötigt. Üblicher ist das No-means-No-Modell. Hierbei wird die Idee des übereinstimmenden Geschlechtsverkehrs in den Vordergrund gestellt. Die Vergewaltigung wird nicht nur als Gewaltakt, sondern vor allem als Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung angesehen. Hiernach ist der Sex nicht einverständlich, wenn der_die Betroffene Nein sagt oder dies implizit mit dem Körper zeigt. Dieses Modell wird seit Langem auch in der deutschen Debatte von der Expertenkommission gefordert, die vom Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) mit dem Ziel eingerichtet wurde, Reformempfehlungen für den Gesetzgeber zu erarbeiten.

Einige US-Bundesstaaten sind sogar einen Schritt weiter gegangen und haben das Yes-means-Yes-Modell eingeführt. Für einvernehmlichen Sex ist es demnach erforderlich, dass das Opfer dem Geschlechtsverkehr zustimmt. Das kann entweder ausdrücklich oder konkludent durch z.B. Nicken erfolgen. Eine prozessuale Besonderheit liegt dabei darin, dass es zu einer „Beweislastumkehr“ kommt. Der_die Täter_in bzw. dessen Verteidiger_in muss im Prozess beweisen, dass dieses Einverständnis vorlag.

Zum Vergleich: in Deutschland gilt die Unschuldsvermutung bis die Staatsanwaltschaft und das Gericht das Gegenteil beweisen. Hierbei sind sowohl die entlastenden als auch belastenden Umstände zu würdigen. Da die Unschuldsvermutung Verfassungsrang hat, könnten die Beschuldigtenrechte nicht durch eine „Beweislastumkehr“ umgangen werden.

An US-amerikanischen Hochschulen setzt sich seit einigen Jahren das Yes-means-Yes-Modell durch. Die Universitäten versuchen damit, sich einer Party-Kultur entgegenzusetzen, in der es in den vergangenen Jahren zu massiven sexuellen Übergriffen vor allem von Männern gegenüber Frauen gekommen war.

Das Gesetz wird allerdings eben nicht in einem Straf-, sondern lediglich in einem hochschulrechtlichen Disziplinarverfahren durchgesetzt. Mögliche Konsequenzen für den_die Täter_in reichen von einfachen Disziplinarmaßnahmen bis hin zur Exmatrikulation. Es folgen keine strafrechtlichen Sanktionen.

Kritisiert wird daran, dass dem_der Täter_in keine dem Strafverfahren vergleichbaren Rechte zustehen. Prof. Stuart Green berichtete über einen Fall, in dem eine Klage wegen fehlender Beschuldigtenrechte vorgebracht wurde. Folge: das vermeintliche Opfer verließ die Universität.

Gesellschaftlicher Wandel

Das Yes-means-Yes-Modell zwingt zum Nachdenken darüber, wann sexuelle Kontakte überhaupt als einvernehmlich bezeichnet werden können. Stimmt eine betrunkene Person zu, wenn sie sich auf einer Party sozial dazu verpflichtet fühlt? Die Hoffnung bei der Einführung des Gesetzes an den
Hochschulen war es, einen gesellschaftlichen Wandel zu erreichen. Es sollte vor allem [auch] generalpräventive Wirkung entfalten. Denn Yes-means-Yes ist zweifelsfrei die einzig moralisch vertretbare Art und Weise, in der zwischenmenschliche Interaktion erfolgen sollte. Nur muss das moralisch Vertretbare auch straf- oder disziplinarrechtlich durchgesetzt werden?

In Deutschland wird das Yes-means-Yes-Modell nicht in Betracht gezogen. Derzeit befindet sich stattdessen der zunächst abgelehnte Referentenentwurf wieder in der Ressortabstimmung. Bei der Änderung handelt es sich nur um eine Erweiterung des § 179, bei der u. a. der sogenannte Überraschungsangriff unter Strafe gestellt werden soll. Eine kleine Lösung ohne Paradigmenwechsel, bei der nur die offensichtlichen Rechtslücken geschlossen werden. Kein Ja-heißt-Ja, kein Nein-heißt-Nein, sondern nur eine abgespeckte Version, die diesmal wahrscheinlich schnell verabschiedet wird. Ob die Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung dabei das zentrale Ziel ist, bleibt zu bezweifeln. Die Debatte um eine umfassende Reform läge dann auch zunächst einmal auf Eis.

Deshalb bleibt zu hoffen, dass zumindest in der Gesellschaft ein grundlegender struktureller Wandel angestoßen wird. Wir müssen zum einen das antiquierte Frauenbild hinter uns lassen. Es ist aber zum anderen auch endlich an der Zeit, dass Männer sich positionieren. Wollen wir tatsächlich weiterhin über den angeblich triebgesteuerten Mann diskutieren, für den das Nein nicht verständlich genug war? Denn letztendlich heißt nur Ja auch wirklich Ja!

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