Heidenspaß statt Höllenqual – der Feiertagschutz vor dem Bundesverfassungsgericht

Für säkulare Freistaatler*innen war die Vorschrift einfach lästig – die Rede ist von Art. 5 Halbsatz 2 Bayerisches Feiertagsgesetz (FTG). Denn zum gesetzlichen Feiertag Karfreitag hat es im Freistaat still zu sein. Ohne Ausnahme. Doch mit welcher Begründung?

An einem Karfreitag in Bayern

Während bayerische Nachteulen alle Jahre wieder die verpasste Gelegenheit zum Gelage beweinten, sah der Bund für Geistesfreiheit in der Vorschrift sehr viel mehr – eine ungerechtfertigte Beschränkung seines Grundrechts auf Versammlungsfreiheit und der Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses. Um dies bestätigt zu bekommen, nahm er einen beschwerlichen Weg auf sich: Am Karfreitag des Jahres 2007 lud er zur Veranstaltung „Heidenspaß statt Höllenqual“ – einer Tanzveranstaltung samt Rockband. Nachdem die Veranstaltung wie zu erwarten untersagt und der Fall nach und nach durch alle Instanzen gereicht wurde, lag er schlussendlich dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts zur Entscheidung vor. Und tatsächlich – das Gericht erklärte am 27. Oktober 2016 das ergangene Verbot für nichtig und Art. 5 Halbsatz 2 FTG für verfassungswidrig.

Feiertagsschutz

Aber einen Schritt zurück, worum geht es überhaupt? Das Stillegebot des Karfreitags ist von der Verfassung grundsätzlich so nicht angeordnet. Es findet seine (potenzielle) Berechtigung in einem Rechtsgebiet, dass sich Staatskirchenrecht nennt. Hierzu gehören neben Art. 4 Grundgesetz (GG), der die individuelle und kollektive Religionsfreiheit gewährt und Art. 7 Abs. 3 GG, welcher den Religionsunterricht anordnet, auch die durch Art. 140 GG ins Grundgesetz inkorporierten Weimarer Kirchenartikel Art. 136 ff WRV. Einer dieser Artikel ist Art. 139 WRV: Der Gesetzgeber ist angehalten, Sonntage, sowie althergebrachte religiöse (christliche) Feiertage gesetzlich zu schützen und auszugestalten.

Nun stellte der Bund für Geistesfreiheit in seiner Klagebegründung eine provokante Frage, die Anlass dieses Beitrags sein soll: Wie wahrt der Staat in der gesetzlichen Ausgestaltung christlicher Feiertage seine zu Recht hochzuhaltende verfassungsrechtliche Neutralität? Konkreter, in welchem Kontext hat die in Art. 139 WRV zum Ziel gesetzte „seelische Erhebung“ zu stehen? Denn dass der Feiertagsschutz primär christliche Prägung erfährt, ist nicht zu leugnen. In Art. 139 WRV heißt es wörtlich: staatlich anerkannte Feiertage bleiben   geschützt. Bleiben können aber nun mal nur diese, die 1948/49 schon einmal da waren – eben vornehmlich Feste aus dem christlich abendländischen Kulturkreis.

Der Karfreitagsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts

Kein Problem, meint das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss: „Seelische Erhebung“ sei vor allem säkular zu verstehen. Selbstverständlich diene die Karfreitagsregelung auch der gläubigen Bevölkerung in der Begehung ihres Festes. Allerdings stünden die weltlichen Bedürfnisse aller im Vordergrund. Der Karfreitag sei ein Tag der Arbeitsruhe, ein Tag, der unter anderem der Wahrnehmung von Persönlichkeitsgrundrechten und des Grundrechts auf Familie diene. Der Staat schreibe niemandem eine innere Haltung vor, sondern schaffe lediglich einen Rahmen, den jede/r nach Gutdünken nutzen könne. Wird zur Begründung des Stillegebots die Wahrung des ernsten Charakters betont, so verweise dies (ganz verfassungskonform) mitnichten auf den Tod von Jesus Christus, sondern ausschließlich auf den verfolgten Zweck der seelischen Erhebung (Ob es hierfür eines paternalistisch anmutenden Stillegebotes bedarf, oder aber die Entscheidung für oder gegen eine seelische Erhebung auch in Räumen mit Schankbetrieb eine höchstpersönliche sein sollte, sei vorerst dahingestellt). Zum Ergebnis des Beschlusses: Das Bundesverfassungsgericht bestätigte der untersagten Veranstaltung „Heidenspaß statt Höllenqual“ den eingeforderten Schutz der Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG. Da der legitime Zweck der seelischen Erhebung einen derartigen Eingriff in diese Grundrechtspositionen nicht mehr zu rechtfertigen vermöge, sei das Verbot unverhältnismäßig und Art. 5 HS 2 FTG verfassungswidrig, da er keine entsprechenden Ausnahmen vorsehe.

Ein tiefer Griff in die Zauberkiste – das Ladenschlussurteil des Gerichts

Spannend ist allerdings, dass das Bundesverfassungsgericht sich zur hier aufgeworfenen Frage in einem etwas anderen Kontext schon einmal äußern musste: 2009 klagten die evangelische Kirche Berlin Brandenburg und das Erzbistum Berlin gegen die Regelung der Ladenöffnungsmöglichkeiten an den Adventsonntagen im Land Berlin. Bezüglich der Ausgangfrage ist diese Konstellation natürlich interessant. Denn hier geht es dezidiert um den Ausgestaltungsauftrag aus Art. 139 WRV in seiner wie auch immer gearteten Verbindung zur (christlichen) Religion. Die Gemeinsamkeiten: Auch das Ladenschlussurteil betont an mehreren Stellen die säkulare Bedeutung des Feiertagsschutzes. Er biete die Möglichkeit zur synchronen Taktung des sozialen Lebens, zur Ruhe und Zerstreuung. Auch auf die Konnexgarantie des Art. 139 WRV zu mehreren Grundrechten wird eingegangen. Insbesondere sei selbstverständlich das Gebot zur verfassungsrechtlichen Neutralität gewahrt. Nun aber berufen sich die beiden Kirchen in ihrer Beschwerde auf ihre in Art. 4 GG normierte Religionsfreiheit. Das macht Sinn, denn die Ausgestaltungspflicht aus Art. 139 WRV lässt sich im Wege der Verfassungsbeschwerde schwer beanstanden, da es sich bei den inkorporierten Kirchenartikeln nicht um Grundrechte handelt. Jetzt nimmt das Gericht ein Manöver vor, was vor dem zuvor erläuterten Hintergrund verwundert: Um eine Beschwerdebefugnis der beiden Kirchen zu konstruieren, führte es aus, Art. 139 WRV ziele aufgrund seiner historischen Verankerung funktional auf die Ausübung der Religionsfreiheit. Es sei nur sinnig, hierin eine Konkretisierung der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG zu sehen. Hieraus ließe sich schließen, dass die zwingende Ausgestaltung religiöser (christlicher) Feiertage nun grundrechtlichen Status genieße und somit ein einklagbares Recht einer/s Jeder/n von uns wäre.

Ausblick

Und die verfassungsrechtliche Neutralität? Sie wäre dahin. Wenn hauptsächlich christliche Feiertage von Art. 139 WRV erfasst sind und ausschließlich Art. 139 WRV einklagbaren Grundrechtsschutz genösse, läge eine offensichtliche Ungleichbehandlung der Religionsgemeinschaften vor. Nun mussten sich die Richter/innen des Karfreitagsbeschlusses zu dieser merkwürdig anmutenden Konstruktion nicht positionieren, da der Konflikt in diesem Fall im Spannungsverhältnis zu einer Weltanschauungsgemeinschaft lag. Es wurde zwar vielfach Bezug genommen, jedoch ausschließlich zur Betonung säkularer Aspekte. Nun bleibt gespannt abzuwarten, wie das Gericht einen ähnlich anmutenden Fall in Zukunft entscheidet. Denn das ein solcher kommen wird, ist nach der vollzogenen Öffnung des Art. 139 WRV wohl sehr wahrscheinlich.

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