Koloniale Kontinuität – Sexualisierte Gewalt in Südafrika

Trotz verfassungsrechtlichem Diskriminierungsverbot sind lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, inter* und queere Menschen (LSBTIQ*) geschlechtsspezifischen Verbrechen ausgesetzt. Es ist ein Beispiel dafür, dass Gesetze allein nicht ausreichen, um Machtverhältnisse zu verändern und ein Umdenken in der Gesellschaft zu bewirken. Auch eine Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Kolonialgeschichte ist notwendig.

„LSBTI in Südafrika. Von der Verfassung geschützt, im Alltag diskriminiert“ war der Titel des Vortrages, der am 23. November 2016 im Afrikahaus im Rahmen der Veranstaltungsreihe Crossings & Alliances der Hirschfeld-Eddy-Stiftung stattfand. Während die 1996 in Südafrika verabschiedete als weltweit erste Verfassung Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung explizit verbietet, sind LSBTIQ*Menschen täglich weiterhin von verbalen und physischen Diskriminierungen bis hin zu gezielten Ermordungen bedroht.

Das Diskriminierungsverbot im (post-)kolonialen Kontext Südafrikas

Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes könnte die Lücke zwischen Verfassung und Realität erklären. Nicht etwa ein gesellschaftlicher Konsens führte zur verfassungsrechtlichen Verankerung der „Gleichheitsklausel“ und zu der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe im Jahre 2006, sondern sie waren das Ergebnis erfolgreicher Lobbyarbeit von südafrikanischen LSBTIQ*-Aktivist_innen. Eine Veränderung homophober Einstellungen in der Gesellschaft blieb aus, eher wurde eine Gegenbewegung gestärkt.

Dr. Ben Khumalo-Seegelken kritisiert in seinem Vortrag, dass das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot oft ignoriert werde und auch von Politiker_innen bewusst populistisch infrage gestellt werde. Der heutige Präsident Jacob Zuma erklärte gleichgeschlechtliche Lebensweisen als unvereinbar mit traditionellen Zulu-Werten. Oftmals wird Homosexualität „westlichem“ Einfluss zugeschrieben und daher als „unafrikanisch“ bezeichnet.

Gewaltsame „Wiederherstellung“ einer heteronormativen Ordnung

Geschlechtsspezifische Gewaltverbrechen gegenüber Frauen und Mädchen als auch gegenüber LSBTIQ* sind in Südafrika im weltweiten Vergleich sehr hoch. Internationale Aufmerksamkeit haben sogenannte „korrektive Vergewaltigungen“ erhalten, bei denen Männer gezielt lesbische Frauen vergewaltigen, um eine heteronormative Ordnung wiederherzustellen. Diese Bezeichnung verschleiert jedoch die oftmals gezielte Ermordung von LSBTIQ*-Menschen. Aktivist_innen verwenden stattdessen den Begriff Hassverbrechen (hate crime) oder geschlechterbasierte Gewalt.

Auf Initiative einer Lesbenorganisation aus Kapstadt wurde das Strafmaß angehoben, wenn Menschen aufgrund ihrer LSBTIQ*-Identität geschädigt werden. Allerdings erkennen Gerichte nur selten „sexuelle Orientierung“ als Grund für das Verbrechen an wie in dem Fall der 2009 mehrfach vergewaltigten und anschließend erstochenen ehemaligen Frauenfußballnationalspielerin und lesbischen Aktivistin Eudy Simelane. Zudem kommt es nur selten zu Verurteilungen. LSBTIQ*-Aktivist_innen zufolge werde nur jede neunte Vergewaltigung überhaupt angezeigt, da die Betroffenen Angst davor hätten von der Polizei ebenfalls diskriminiert zu werden und nur wenig Vertrauen in die staatlichen Behörden vorherrsche.

Transgeschlechtliche Menschen sind nicht nur von gewalttätigen Übergriffen im Alltag betroffen, sondern auch von Gesetzen wie dem Alteration of Sex Description and Status Act (März 2004), dass als Voraussetzung für eine rechtliche Geschlechtsänderung eine operative Geschlechtsumwandlung vorschreibt.

Intersektionalitäten – race, class, gender

Als besonders gefährdet identifizieren südafrikanische LSBTIQ*-Organisationen schwarze lesbische Frauen* und transgeschlechtliche Menschen in Townships, insbesondere, wenn diese durch ihr Auftreten vorherrschende Geschlechterstereotype infrage stellen.

Die Auseinandersetzungen um die Johannesburg Pride 2012 zeigen, wie unterschiedlich die Lebensrealitäten und die damit einhergehenden Konflikte von LSBTIQ* sein können. Dort forderten Aktivist_innen eine Schweigeminute für ermordete lesbische Frauen* und transgeschlechtliche Menschen ein und warfen den Organisator_innen Rassismus vor, da die unpolitische Ausrichtung der Veranstaltung verdeutliche, dass sie ihre Privilegien als weiße LSBTIQ* nicht reflektieren würden.

Heteronormativität als koloniale Kontinuität

Erklärungsansätze für die vorherrschenden homophoben Einstellungen und Gewalttaten gegenüber LSBTIQ* sind vielschichtig. Sie verdeutlichen, wie verflochten hierarchische Strukturen und Diskriminierungen aufgrund von race, class und gender sind.

Dr. Ben Khumalo-Seegelken wies auf die Notwendigkeit hin, homophobe Handlungen sowie deren Verknüpfungen mit kolonialen Gesetzgebungen im Post-Apartheit-Südafrika aufzudecken, um Gesetze nachhaltig umzusetzen.

LSBTIQ*-Aktivismus – Veränderungen und Herausforderungen

In Südafrika organisieren sich LSBTIQ* auf lokaler, regionaler sowie auf nationaler Ebene und sind auch international vernetzt. So sind die meis­ten südafrikanischen LSBTIQ*-Organisationen Mitglieder der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA) als auch der panafrikanischen Föderation Coalition of African Lesbians (CAL). Während viele NGOs zunächst nur in den Stadtzentren aktiv waren, entstehen mittlerweile auch zunehmend LSBTIQ*-Organisationen in Townships.

Viele Aktivist_innen betrachten die über den Rechtsweg erstrittene Gleichberechtigung als ambivalent, da sich grundlegende Einstellungen nicht geändert hätten und die erlangten Rechte daher nur selten durchgesetzt würden. Deswegen ist ihr jetziges Ziel der Kampf für die Umsetzung der existie­renden Gesetzgebung und weniger das Einfordern neuer Rechtsgrundlagen.

Es reicht nicht aus lediglich Antidiskriminierungsgesetze zu schaffen. Auch Institutionen und die Gesellschaft müssen für die Bedeutung des Diskriminierungsverbotes sensibilisiert werden, um eine Bewusstseinsveränderung herbeizuführen. Nach Gramsci würde dies bedeuten Heteronormativität als Hegemonie brüchig werden zu lassen. Diese Verantwortung kann nicht alleine von Aktivist_innen, sondern muss von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis getragen werden. Eine kritische Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit ist nötig, um deren Kontinuitäten sichtbar zu machen.

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