Tausende von Kindern kommen jedes Jahr mit Justiz- und Verwaltungsverfahren in Berührung. Insbesondere in familienrechtlichen Verfahren treffen Richter*innen Entscheidungen, die erhebliche Auswirkungen auf das weitere Leben von Kindern haben. In der Praxis zeigt sich leider, dass Rechte von Kindern häufig nicht gewahrt und Kinder bei den Entscheidungen, die sie selbst betreffen, außen vor gelassen werden. Die kindgerechte Ausgestaltung eines Rechtssystems, in dem Kinder ernst genommen und respektiert werden, ist jedoch von essentieller Bedeutung für einen Rechtsstaat, der für alle Menschen da sein will.
Kinderrechte werden in gerichtlichen Verfahren unzureichend geschützt
Das Deutsche Kinderhilfswerk (dkhw) veranstaltete im September 2018 eine Fachtagung zum Thema „Kindgerechte Justiz – Zugang zum Recht“, bei der Expert*innen unter anderem die Reformbedürftigkeit der Ausbildung von Richter*innen thematisierten. Es wurde aufgezeigt, dass Richter*innen zu diesem Thema nicht hinreichend ausgebildet werden. Dies ist jedoch unabdingbar, um die Qualität richterlicher Aufgabenwahrnehmung zu gewährleisten, insbesondere weil Richter*innen in familiengerichtlichen Verfahren Befragungen mit Kindern durchführen und weitreichende Entscheidungen treffen, die das Kind in ihrer weiteren Zukunft betreffen.
Im März diesen Jahres erkannte nun auch die Politik die Notwendigkeit einer Reform hinsichtlich der Ausbildung von Richter*innen zum Thema kindgerechte Justiz an. Am 20. März 2019 reichte die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Antrag „Fortbildung von Richterinnen und Richtern sowie Qualitätssicherung im familiengerichtlichen Verfahren” im deutschen Bundestag ein. In diesem fordern die Bundestagsabgeordneten die Bundesregierung zur Verbesserung der Qualität des familiengerichtlichen Verfahrens auf, um die Rechte der Kinder in gerichtlichen Verfahren zu gewährleisten.
Verbesserungsvorschläge von Bündnis 90/die Grünen
Zunächst fordern die Bundestagsabgeordneten die Bundesregierung auf, einen Entwurf für eine Änderung des Deutschen Richtergesetzes (DRiG) vorzulegen, der Fortbildungen für Richter*innen verpflichtend werden lässt. Derzeit sind Richter*innen, ganz im Gegensatz zu den meisten anderen Beamten*innen, nicht ausdrücklich an eine regelmäßige Weiterbildung gebunden. Begründet wird dies mit der richterlichen Unabhängigkeit, die in Art. 97 Grundgesetz (GG) verankert ist und nach traditioneller Auffassung auch den Fortbildungsbereich umfasst. Nach einer etwas engeren Auslegung des Unabhängigkeitsgrundsatzes könnte allerdings auch z.B. eine freie Wahl der Art und Ausgestaltung ihrer Weiterbildung durch die Richter*innen selbst ihrer Unabhängigkeit gerecht werden.
Der Antrag der Grünen beinhaltet darüber hinaus den Vorschlag einer Gesetzesänderung des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG), das zukünftig höhere Eingangsvoraussetzungen für Familienrichter*innen und eine Dreierbesetzung der Gerichtsbank zumindest in Kindesschutzverfahren festlegen soll. Aktuell brauchen Richter*innen mindestens ein Jahr Berufserfahrung, um an einem Familiengericht arbeiten zu können. Die Gesetzesänderung soll bewirken, dass darüber hinaus angehende Familienrichter*innen auch Kenntnisse und Erfahrungen im Familienrecht und interdisziplinären Bereichen wie Pädagogik und Psychologie nachweisen müssen, um einen angemessenen Umgang mit Kindern vor Gericht in altersgerechter und kontextbezogener Weise zu ermöglichen. Eine Aufstellung von drei Richter*innen in einem Verfahren eröffnet darüber hinaus einen Diskurs, in dem die Rechtsprechenden voneinander lernen, Erfahrungen austauschen und sich gegenseitig kontrollieren könnten.
Außerdem möchte die Fraktion auch eine Änderung des Familienverfahrensgesetzes (FamFG) bewirken. Zu diesen Änderungen zählt vor allem eine Besserstellung des Kindes im Gerichtsverfahren. Anhörungen von Kindern sollen in einem angepassten und angenehmen Rahmen für Kinder stattfinden und ab einem Kindesalter von drei Jahren verpflichtend sein. Bisher sind Anhörungen von Kindern unter 14 Jahren zwar als obligatorisch vorgesehen, werden jedoch in der Praxis kaum durchgeführt. Als weiteres neues Recht der Kinder soll es ihnen ermöglicht werden, den für sie von dem*der Rechtsprechenden ausgewählten Verfahrensbeistand ablehnen zu können, um ihnen zu mehr Selbstbestimmtheit im Prozess zu verhelfen.
Neben den nötigen Gesetzesänderungen schlagen die Grünen auch eine Zusammenarbeit des Bundes mit den Ländern zur Einrichtung sogenannter Ombudschaften vor. Diese sollen Familien und Kinder unterstützen, unabhängig über die rechtliche Lage und Einzelansprüche aufklären und Kontakt mit den zuständigen Ämtern und Gerichten vermitteln. Sie stärken Kinder und Familien in ihrer rechtlichen Position und können damit helfen, strukturelle Machthierarchien und -asymmetrien auszugleichen und eine gerechte Einigung in Streitfragen zu erreichen.
Potential des Antrags und weitere Handlungsmöglichkeiten
Der neue Antrag bezieht sich auf Probleme und Missstände im Bereich der kindgerechten Justiz, die vor allem auf der Fachtagung des dkhw im letzten Jahr herausgestellt wurden. Es zeigte sich insbesondere, dass die Stellung des Kindes im Gerichtssaal immer noch viel zu sehr von der*dem einzelnen Richter*in abhängig ist und kaum eigenständig gesetzlich festgelegt ist. Gerade das Problem der mangelnden Fortbildung der Richter*innen ist von großer politischer Relevanz und wurde auch Anfang diesen Julis in einem vom dkhw und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend organisierten Expert*innengespräch genauer beleuchtet.
Die vorgeschlagenen Änderungen würden die Stellung von Kindern im Gerichtssaal enorm verbessern und nicht nur sie schützen, sondern auch die Richter*innen bei der oft schwierigen Entscheidungsfindung durch bessere Kenntnisse und mehr Erfahrung unterstützen. Viele der Ideen wurden schon länger in Wissenschaft und Praxis gefordert und bekommen jetzt durch den Antrag der Grünen auch politisches Gehör. Es ist jedoch auch wichtig, dass noch mehr über das Thema gesprochen und publiziert wird, um die Öffentlichkeit damit zu erreichen und die Gesellschaft zu motivieren, für ihre Kinder einzutreten. Dafür braucht es auch gerade noch mehr Unterstützung der politischen Parteien. Bisher wurde der Antrag der Grünen noch nicht bearbeitet. Es wird sich also noch zeigen inwiefern die Bundesregierung den Empfehlungen zur Verbesserung der Qualität des familiengerichtlichen Verfahrens nachkommen wird. Mit dem Antrag setzen die Grünen jedoch einen ersten Schritt in die richtige Richtung, um die Rechte von Kindern in Zukunft besser sicherzustellen.