Am vergangenen Freitag wurde vom deutschen Bundestag ein Gesetzentwurf angenommen, der nach jahrelangen Bemühungen unterschiedlichster Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft und auch dank wiederholter Anstöße durch das Bundesverfassungsgericht endlich die Ehe für „alle” öffnen sollte.
Nachdem fast eine Woche nach der Abstimmung die anfängliche Euphorie verarbeitet werden konnte, soll an dieser Stelle reflektiert werden, ob die „Ehe für alle“ wahrhaftig eine Ehe für alle ist.
Zunächst werden die Rechtsfolgen des beschlossenen Gesetzes und dessen verfassungsrechtliche Vereinbarkeit dargestellt, um dann unter Betrachtung anderer Rechtssysteme zu analysieren, welche Gruppen von Menschen durch diese Norm in Deutschland weiterhin ausgeschlossen sind. Am Ende wird ein Ausblick auf mögliche zukünftige Entwicklungen gegeben und die tatsächliche Relevanz der Institution Ehe diskutiert.
Was sind die Konsequenzen dieser Entscheidung?
Die Bemühungen, die Ehe nicht nur für Paare verschiedenen Geschlechts, sondern auch für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen, hatten auf verfassungsrechtlicher Ebene mit der sogenannten Aktion Standesamt im Jahre 1993 begonnen und wurde durch die beschlossene Veränderung des § 1353 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) hin zu „die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen” am 30. Juni beendet.
Darüber hinaus sieht der angenommene Gesetzentwurf vor, dass nach dem neuen § 20 a Lebenspartnerschaftsgesetz Menschen, die seit 2001 eine Lebenspartnerschaft eingegangen waren, diese mit einer entsprechenden Erklärung in eine Ehe umwandeln können. Ab Inkrafttreten des Gesetzes wird es jedoch unmöglich sein weitere Lebenspartnerschaften einzugehen. Das System der eingetragenen Lebenspartnerschaft wird somit abgeschafft.
Die Frage nach der verfassungsrechtlichen Vereinbarkeit der gleichgeschlechtlichen Ehe mit Artikel 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) bleibt bei diesem Gesetzentwurf jedoch noch offen.
Die Ehe ist über Artikel 6 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützt. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen festgehalten, dass die Ehe die Vereinigung eines Mannes mit einer Frau zu einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft ist, der Wortlaut der Norm lässt jedoch auch eine andere Auslegung zu.
Natürlich darf das Grundgesetz als Kerngerüst unseres Rechtssystems nicht fließend jeder kurzweiligen politischen Stimmungslage angepasst werden. Diese Grundannahme hat jedoch nicht zur Folge, dass das Grundgesetz nur historisch im Sinne der Verfassungsgeber auszulegen ist. Es muss vielmehr auch die jeweilige Gesellschaft und der Wandel der Zeit berücksichtigt werden, d. h. eine Gesellschaft, die schon einige Jahre konstant eine Öffnung will und eine Ehe eindeutig nicht exklusiv als ein Bündnis von Mann und Frau versteht. Diese Auslegung ist vor allem dann maßgeblich, da sie von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes im Jahr 1949, als Homosexualität unter Strafe stand, noch nicht antizipiert werden konnte.
Auch wenn laut einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte das Recht auf Eingehung einer gleichgeschlechtlichen Ehe kein Menschenrecht ist und es somit den Mitgliedstaaten überlassen bleibt, ob sie die Ehe exklusiv zwischen Mann und Frau definieren und damit eine Gleichstellung verweigern oder z. B. Einschränkungen im Adoptionsrecht vornehmen, ist es eine Thematik, bei der anders als jahrelang im Bundestag in der Gesellschaft längst eine stark etablierte Mehrheit zugunsten einer Öffnung besteht.
Ehe für (fast) alle?
Doch bezieht der neue § 1353 Abs. 1 BGB tatsächlich auch „alle” ein und wie schneidet das deutsche Gesetz im internationalen Vergleich ab?
Die Bundesrepublik Deutschland ist mit dieser Entscheidung das 23. Land, das die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zumindest in Teilbereichen des nationalen Territoriums öffnet. Im Gegensatz dazu sind gleichgeschlechtliche Beziehungen in 71 Ländern weiterhin gesetzlich verboten, wobei die tatsächliche strafrechtliche Verfolgung nicht immer stattfindet. In 19 Staaten ist darüber hinaus sogenannte „homosexuelle Propaganda” verboten.
Im Vergleich zu diesen Ländern mag der beschlossene Gesetzentwurf fortschrittlich wirken und eine inklusive Gesellschaft vermuten lassen; er ermöglicht es gleichgeschlechtlichen und verschiedengeschlechtlichen Paaren eine Ehe einzugehen, d. h. eine Verbindung zweier Frauen, zweier Männer oder eines Mannes und einer Frau.
Nicht vergessen werden dürfen jedoch Menschen, die sich nicht in diesem binären Verständnis von Geschlecht wiederfinden.
Bislang kann gemäß § 22 Abs. 3 Personenstandsgesetz bei einem Kind, das sich bei seiner Geburt keinem Geschlecht zuordnen lässt, der entsprechende Eintrag im Geburtsregister frei bleiben – das Kind hat demnach rechtlich kein zugeordnetes Geschlecht.
Ohne eingetragenes Geschlecht kann ein solches Kind, sobald es erwachsen wird, weder unter „verschiedengeschlechtlich” noch unter „gleichgeschlechtlich” subsumiert werden. Vielmehr sind Menschen, die bei ihrer Geburt keinem Geschlecht zugeordnet werden konnten, bei dem beschlossenen Gesetz nicht einbezogen. Eine Lösung hierfür wäre der absolute Verzicht auf die Anknüpfung an Geschlecht gewesen bzw. die vom Ethikrat bereits 2012 vorgeschlagene Einführung eines dritten Geschlechts.
Ferner gibt es in Ländern wie Brasilien und Kolumbien sogar Tendenzen, die Ehe auch polyamoren Beziehungen zugänglich zu machen, um auch ihnen eine rechtliche Absicherung ihrer Lebensform zu bieten. Bisher beschränkt sich dies auf eine Registrierung in Form einer notariellen Beurkundung.
Wie hierbei die Grenzen zur Polygamie sicher gesteckt werden können, die in anderen Gesellschaften aufgrund der ausgedrückten patriarchalen Unterdrückungsverhältnisse aktiv bekämpft wird, ist fraglich.
Das Bundesverfassungsgericht stellte bereits fest, dass das Grundgesetz anderen Partnerschaften als der Ehe nur allgemeinen, nicht aber besonderen institutionellen Schutz gewähren soll. Somit erscheint es im Rahmen dieser Auffassung nur konsequent, dass auch das neue Gesetz ein monogames Verständnis als Strukturprinzip der Ehe widerspiegelt.
Ist die Ehe überhaupt noch notwendig?
In einer Diskussion, in der viele Konservative den Zugang zur Institution der Ehe für noch mehr Menschen ablehnen und eine Allianz von Sozialdemokraten, Grünen und Linken sie verteidigt, muss auch die Frage aufgeworfen werden, ob die Ehe als solche ohnehin nicht längst überholt ist. In Staaten wie Frankreich längst eingeführt wurde der sog. pacte civil de solidarité (PACS), eine eingetragene Lebenspartnerschaft für hetero- und homosexuelle Paare, die im Gegensatz zur Ehe weniger Rechte und Pflichten gewährt, leichter wieder aufgelöst werden kann und sogar beliebter als die Ehe selbst ist.
Gerade aufgrund dieser Vorteile erscheint es ein Verlust, dass ein daran angelehntes Modell wie die eingetragene Lebenspartnerschaft jetzt jedoch zum Auslaufmodell deklariert wird, während in Frankreich der PACS als Alternative zur Ehe beibehalten worden ist. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht auf die Gefährdung der staatlichen Schutzpflicht aus Artikel 6 Abs. 1 GG bei Schaffung eines Konkurrenzinstituts zur Ehe aufgrund einer potenziellen Austauschbarkeit hinweist, wäre die „eingetragene Lebenspartnerschaft für alle“ keine Konkurrenz zur Institution Ehe, da sie in Anlehnung an das französische Institut weniger Rechtsfolgen entfalten würde und das Bundesverfassungsgericht selbst ausdrücklich darauf hinweist, dass die eingetragene Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare gerade keine Ehe ist.
Ferner stellte das Bundesverfassungsgericht früher zwar schon fest: „Sie können eine Ehe mit einer Person des anderen Geschlechts eingehen, nicht jedoch mit einer ihres eigenen Geschlechts. Sie können eine Lebenspartnerschaft mit einer Person ihres eigenen Geschlechts gründen, nicht aber mit einer des anderen.“ Aufgrund des bewiesenen Wandels der Gesellschaft steht dies einer Beibehaltung der eingetragenen Lebenspartnerschaft und ihrer Erweiterung auf verschiedengeschlechtliche Partnerschaften ebenso wenig entgegen wie der gleichgeschlechtlichen Ehe.
In Anbetracht dessen wäre es nach der Öffnung der „Ehe für (fast) alle“ nun eine Überlegung wert, das System der eingetragenen Lebenspartnerschaft nicht nur weiterhin aufrecht zu erhalten, sondern auch für verschiedengeschlechtliche Paare und Menschen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen, zu öffnen.
Dennoch ist der historische Schritt des Bundestages ohne Zweifel zu begrüßen, endlich zumindest auch mit Nachbarstaaten wie den Niederlanden gleichzuziehen, die bereits 2001 die Ehe öffneten. Auch wenn (noch) nicht endgültig von einer Ehe für alle gesprochen werden kann, ist jeder Schritt in eine inklusivere Gesellschaft willkommen zu heißen, dem auch in Zukunft hoffentlich noch weitere Schritte folgen werden.