Die Istanbul-Konvention ist neben des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) das bisher umfangreichste internationale Abkommen gegen Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt. Österreich war 2011 eines der ersten Länder, das das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ unterzeichnet und 2014 in Kraft gesetzt hat. Nun ist am 27. September der erste GREVIO (Group of experts on action against violence against women and domestic violence)-Bericht über die Umsetzung der Konvention im deutschen Nachbarland erschienen. Die Bewertungen fallen generell positiv aus, doch einige große Baustellen bleiben und leider ist die Zukunft der Umsetzung der Konvention alles andere als gesichert.
Staaten, die die Istanbul-Konvention ratifiziert haben, sind vertraglich dazu verpflichtet, deren Inhalte in das nationale Recht zu übertragen oder die nationale Gesetzgebung der Konvention entsprechend zu ändern. Das GREVIO-Komitee und ein Ausschuss der Vertragsparteien überprüfen wiederum diese Implementierung. Der genaue Prüfungsprozess ist in Art. 67 und 68 der Konvention und auf der Konventionswebsite zu finden. Für viele Frauenunterstützungseinrichtungen in ganz Europa ist die Istanbul-Konvention ein Hoffnungsträger wie kein anderer. Zum einen wurde in die Konvention eine breite Definition von Gewalt aufgenommen, die körperliche, sexuelle, psychische oder wirtschaftliche Schäden oder eine Androhung dieser miteinbezieht sowie Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung definiert. Zum anderen wird ausdrücklich anerkannt, dass es sich bei Gewalt gegen Frauen um ein strukturelles Problem handelt, das auf einer gesellschaftspolitischen Ebene angesprochen und präventiv behandelt werden muss – und zwar mittels einer genderspezifischen Herangehensweise. Das Potential für positive Veränderungen ist also groß, doch wird Österreich diesen Ansprüchen gerecht? Und wie sieht das eigentlich in Deutschland so aus?
Viel Gutes – aber auch noch jede Menge Arbeit
Das GREVIO-Komitee lobt in seinem Bericht das langjährige Engagement der österreichischen Politikschaffenden und hebt hervor, dass die vorhandenen Programme, wie z.B. die Frauenhelpline und die Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie sowie in Zukunft geplante Maßnahmen vielversprechend sind. Positiv bemerkt wird, dass durch das Strafrecht eine umfangreiche Sanktionierung der in der Konvention genannten Formen von Gewalt gegen Frauen ermöglicht wurde. Mit einer spezifischen Form von Gewalt tun sich die österreichischen Gesetzgeber_innen jedoch nach wie vor schwer – der psychischen Gewalt. Diese als Form strafbaren Verhaltens festzuhalten ist 2015 in Großbritannien gelungen, ein Einzelfall in Europa.
Nicht nur im Strafrecht gibt es noch Nachholbedarf. Vor allem im Bereich Zugänglichkeit zeigt das Komitee, dass der österreichischen Regierung noch einiges an Arbeit bevorsteht. Frauen mit BeHinderungen sowie Frauen mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus haben es besonders schwer, Zugang zu Hilfsangeboten zu bekommen. So ist es nach wie vor problematisch, dass das Aufenthaltsrecht von Frauen an ihre (potentiell gewalttätigen) Ehemänner gebunden wird. Zudem mangelt es an behindertengerechten Frauenhäusern und Beratungsstellen. Doch die Zahlen zeigen, dass z.B. gerade Gewalt an Frauen mit BeHinderungen besonderer Aufmerksamkeit bedarf.
Der Umgang mit Asyl suchenden Frauen ist ein weiterer Kritikpunkt des Berichts. Es ist umstritten, ob Frauen unter den Schutz des Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention fallen, der unter anderem regelt, dass Vertragsparteien Menschen, die einer bedrohten sozialen Gruppe (z.B. Frauen) angehören, nicht aus- oder zurückweisen dürfen. Dennoch sollte es ihnen ermöglicht werden frauenspezifische Fluchtgründe, die eine Entscheidung über ihr Asylverfahren beeinflussen könnten, offenzulegen. Hierzu gehören Gespräche mit gleichgeschlechtlichen Beamtinnen, geschult_en Dolmetscher_innnen und umfangreiche Informationen über ihre Menschen- und Frauenrechte. Wie das GREVIO-Komitee anmerkt, werden in Österreich häufig weder die Bedingungen für ein vertrauensvolles Gespräch noch eine gute Informationslage gewährleistet.
Auch die Beratung von Frauen, die von Gewalt wie Zwangsheirat oder Genitalbeschneidung betroffen sind, wird kritisiert. Hier bemängelte das Komitee die bislang zu geringe Anzahl an Beratungsmöglichkeiten und fordert eine verbesserte Zusammenarbeit mit den in Österreich lebenden Betroffenen.
Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück?
Angesichts des jahrzehntelangen Engagements von Frauenrechtsorganisationen und motivierten Politiker_innen ist die Situation in Österreich besser als in vielen anderen europäischen Ländern. Rezente politische Entwicklungen könnten viele erreichte Ziele der vergangenen Jahre wieder zunichtemachen. Wie in vielen anderen Ländern ist es auch in Österreich zu einem Rechtsruck gekommen, der dazu führen könnte, dass es wenn auch keine Rückschritte, dann zumindest kaum noch Fortschritt in der Arbeit gegen Gewalt an Frauen geben wird. Dies ist vor allem im Hinblick auf einen wichtigen Kommentar des GREVIO-Komitees relevant: Es bedarf der Sicherstellung einer gesicherten und dauerhaften sowie verstärkten Finanzierung von Frauenunterstützungseinrichtungen. Eine vermehrte Finanzierung frauenpolitischer Interessen ist in der nahen Zukunft jedoch genauso unwahrscheinlich wie eine Verbesserung der Lage Asyl suchender Frauen.
Und was ist eigentlich mit Deutschland?
Auch in Deutschland sitzt nun eine rechtspopulistische Partei im Bundestag. Immerhin ist die AfD bis auf weiteres in der Opposition, doch leichter wird es dadurch nicht, Frauenrechte voranzutreiben.
In der letzten Legislaturperiode sind allerdings zwei Höhepunkte im Bereich der Bekämpfung von Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt zu vermerken. Die Reform des Paragraphen 177 des Strafgesetzbuches, sowie die Ratifizierung der Istanbul-Konvention am 12. Oktober 2017. Doch Deutschland hat, ähnlich wie Österreich, noch einen weiten Weg vor sich, bis alle in der Konvention gestellten Vorgaben erfüllt sind. Eine Bewertung seitens des GREVIO-Komitees liegt noch nicht vor, doch der 2016 erschienene CEDAW-Alternativbericht malt kein schönes Bild: Wie auch in Österreich mangelt es in Deutschland an verlässlicher Finanzierung der Frauenuntersützungseinrichtungen, da diese auf freiwilliger Basis von den jeweiligen Bundesländern entschieden wird. Unterschiedliche Bundesländer haben somit sehr unterschiedliche Versorgungssituationen. In Brandenburg zum Beispiel gibt es derzeit nur zwei Frauenberatungsstellen und lediglich sieben Frauenhäuser. Diese Situation kann dazu führen, dass Frauenhäuser teilweise Beratungen nach sexuellen Gewalterlebnissen durchführen müssen, jedoch keine Ressourcen für eine angemessene Ausbildung des Personals haben. Auch in die Polizeiausbildung sollte das Thema Eingang finden, so schien beispielsweise längere Zeit Unklarheit darüber zu herrschen, wie lange Polizist_innen Täter_innen häuslicher Gewalt ihrer Wohnung verweisen dürfen. Artikel 16 der Istanbul-Konvention fordert eine Zusammenarbeit und Förderung von Täter_innenarbeit, die Brandenburgische Regierung stellt bislang jedoch noch keine finanziellen Mittel dafür bereit. Stattdessen scheinen Täter_innen häuslicher Gewalt häufig in die Berliner Programme geschickt zu werden.[1] Der Blick auf die Themen Barrierefreiheit und Behandlung von Asyl suchenden Frauen offenbart kein besseres Bild als in Österreich – in beiden Ländern bleibt noch so manches zu tun, auch wenn schon vieles erreicht wurde.
[1] Verwendete Informationen basieren auf qualitativen Interviews der Autorin.