Ein Bericht über die aktuelle Feminismusbewegung in Deutschland und Polen und den 44. Feministischen Juristinnen*tag
Feminismus catcht. In diesem Jahr musste die Anmeldung zum 44. Feministischen Juristinnen*tag (FJT) schon nach drei Tagen geschlossen werden.
Die mittlerweile schon traditionsreiche Tagung fand dieses Jahr in Frankfurt an der Oder statt. Die Frauenbewegung ist nur 100 Meter weiter, jenseits der Grenze im polnischen Słubice, gerade hochaktuell. So war dieser 44. FJT nicht nur einer mit innerdeutschen Themen, sondern auch einer, der den Blick der Teilnehmerinnen* nach Polen lenkte.
350 Frauen* sitzen bei der Eröffnungsveranstaltung des FJT im großen Hörsaal der Europa- Universität Viadrina. Gegründet wurde der FJT 1978. Damals waren es noch 50 Frauen, die sich zum „Jurafrauentreffen“ zusammenfanden. Seit 40 Jahren wächst die Tagung kontinuierlich.
Der Zugang zur Rechtswissenschaft war Frauen lange verwehrt und dann lange Zeit massiv erschwert. Erst seit 1900 wurden Frauen allmählich zum Studium zugelassen, allerdings erst 1912 zum Examen. Noch bis in die 1920er Jahre galten Frauen als ungeeignet für den Richterberuf. Dann, im Nationalsozialismus, wurden Frauen wieder aus der Jurisprudenz verdrängt, sie passten nicht in das Bild der „Männlichkeit des Staates“.
Beeinflusst von der Frauenbewegung, hatten in den 70er Jahren die ersten Frauen feministische Kanzleien gegründet. Sie waren es auch, die den FJT schufen als Ort der Vernetzung und der Weiterentwicklung rechtspolitischer Positionen für Frauen.
Verortung: Zwischen Deutschland und Polen
Es ist eine schmale Brücke über die Oder, die das deutsche Frankfurt (Oder) mit dem polnischen Słubice verbindet. Die Grenze ist nicht spürbar und nicht sichtbar. Doch die rechtliche Situation von Frauen in Polen ist eine andere, und seit die konservative PiS-Partei regiert, ist ihre Stellung in der Gesellschaft und im Recht umkämpft, zerrieben zwischen den Ultrakonservativen, dem Einfluss der Kirche und den jungen, freiheitlich und selbstbestimmt orientierten Bürger*innen des Landes.
Die polnische Regierung macht seit Jahren konsequent Politik gegen Frauen. Polen hat schon jetzt eines der strengsten Abtreibungsgesetze Europas. Und die Regierung versucht es seit 2011 noch zu verschärfen. Frauen werden in Polen häufiger auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert, der Zugang zum Gesundheitssystem steht ihnen nicht in gleicher Weise offen wie den Männern, das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ wurde zwar ratifiziert, aber die darin vorgesehenen Maßnahmen wurden nie eingeführt.
Bei der Eröffnungsveranstaltung im polnischen Słubice sprach die Kriminologin und Professorin an der Universität Warschau Monika Płatek mit Eva Kocher, Dekanin der Juristischen Fakultät der Viadrina, über die Entwicklungen in der polnischen Frauenbewegung.
Was es für Płatek bedeute, eine feministische Anwältin zu sein?
„Eine feministische Anwältin ist eine Anwältin, die erkennt, dass die Aussage, die wir zu Beginn des Studiums hören, Recht sei neutral und behandle alle gleich, vollkommener Bullshit ist. Daher ist es so wichtig, dass feministische Frauen und Männer Recht gestalten. Wir müssen realisieren, dass die Menschen, die Recht schaffen, auch wenn sie das Beste wollen, neutral und objektiv sein wollen, es nie sein werden.“
Daher sei der kritische Blick der feministischen Rechtswissenschaft so wichtig.
Zwar wurde die Verpflichtung des polnischen Staates, die reproduktiven Rechte der Frauen zu schützen, in der Verfassung implementiert. Doch in der Praxis haben Frauen kaum Zugang zu Aufklärung, Bildung und Verhütungsmitteln. Es seien die Frauen, die den Preis zahlen, wenn sie ungewollt schwanger werden, so Płatek.
(Exkurs: Reproduktive Gesundheit und Rechte meint die freie Entscheidung, ob man sich fortpflanzen möchte. Das schließt die Freiheit ein, ein Kind zu bekommen – zum Beispiel durch künstliche Befruchtung. Es schließt aber auch die Freiheit ein, kein Kind zu bekommen. Auf internationaler Ebene gibt es recht einheitliche Forderungen von den Fachausschüssen (treaty bodies) diverser Menschenrechtsverträge zu den konkreten Garantiepflichten der Staaten (CEDAW-Ausschuss, Parliamentary Assembly). Dazu gehören ein voller Zugang zu Verhütungsmitteln und umfassende Informationen über diese, das Recht auf reproduktive Gesundheitsversorgung, Sexualerziehung an Schulen und allgemeine Aufklärung und Zugang zu sicherer und legaler Abtreibung.)
Doch Płatek möchte nicht nur über Abtreibung sprechen, stellt sie klar. Denn Abtreibung sei nur ein Element der reproduktiven Rechte.
Die Haltung, die hinter der Aberkennung der reproduktiven Rechte stehe, sei, dass eine Frau eine Person sei, deren Körper dazu diene, Mutter zu sein. Eine Haltung, die der Frau Vernunft und Einsicht abspreche, wichtige Entscheidungen selbst zu treffen. Es sei an der Zeit, so Płatek, zu untersuchen, wer die Entscheidungen treffe und warum nicht den Frauen selbst die Entscheidungshoheit über ihren Körper zugesprochen werde.
Gleichzeitig erlebe Polen auch einen feministischen Aufschwung, berichtet Płatek, Frauen im ganzen Land gehen wieder auf die Straße, um für ihre Rechte einzutreten. „Dank“ der Regierung habe es also auch ein großes Empowerment gegeben. Frauen in Polen haben ihre Stärke erkannt.
Abtreibung – in Deutschland und Polen
Auch in Deutschland sind einige Themen der Frauenbewegung, wie die Debatte um den § 218 StGB und den § 219a StGB (Straftatbestand Schwangerschaftsabbruch und Werbung für den Schwangerschaftsabbruch), aktuell und immer wieder Anlass für Debatten um die reproduktive Selbstbestimmung der Frau.
Auf dem FJT widmete sich eine Arbeitsgruppe dem Thema Abtreibung in Deutschland und Polen.
Eine Verpflichtung, seinen Körper für das Leben eines anderen zur Verfügung zu stellen, gibt es im deutschen Recht nicht. Selbst wenn nur das eigene Blut geeignet wäre, das Leben eines anderen zu retten, wäre man nicht verpflichtet, es zu spenden. Niemand kann zur Spende von Körperteilen oder Körperflüssigkeiten gezwungen werden. Doch eine Frau macht sich vor dem deutschen Recht zunächst strafbar, wenn sie ihren Körper nicht für die Entwicklung eines anderen Menschen bereitstellt. Denn ein Schwangerschaftsabbruch ist grundsätzlich für alle Beteiligten strafbar (sowohl für die Frau als auch die Ärzt*innen). Ausnahmsweise straffrei ist der Schwangerschaftsabbruch, wenn die Voraussetzungen des § 218a StGB erfüllt sind.
Es mangelt auch an grundlegenden Informationen für Frauen, die sich in der Konfliktlage befinden, über einen Abbruch der Schwangerschaft nachdenken zu müssen. Dies ist dem § 219a StGB geschuldet, der regelmäßig schon erfüllt ist, wenn Ärzt*innen öffentlich darüber informieren, dass sie und wie sie einen solchen Eingriff vornehmen. Ein breites Bündnis hatte erst Ende April 2018 die Aufhebung des § 219a gefordert.
Frauen aus Polen fahren, wenn sie abtreiben wollen, oftmals nach Deutschland, Frauen aus Deutschland in die Niederlande. Ein gutes Licht wirft dies weder auf Polen noch auf Deutschland.
Was sonst geschah. Aktuelle Entwicklungen der Feministischen Rechtswissenschaft
Über die aktuellen Entwicklungen der Feministischen Rechtswissenschaft sprach auf dem FJT Ulrike Lembke, Professorin für Gender und Recht an der FernUniversität Hagen. Die feministische Forschung habe sich in den vergangenen Jahrzehnten großenteils von der Frauenperspektive auf die Genderperspektive verlagert. An der Kategorie Geschlecht anknüpfend wird Macht ausgeübt und Ungleichheit reproduziert. Es gehe daher bei der feministischen Rechtswissenschaft vor allem um die Reflexion von Machtverhältnissen.
Frauen schneiden beispielsweise trotz besserer Abiturnoten im Examen schlechter ab, insbesondere in mündlichen Prüfungen.
Doch die Diskussion ende oftmals bei der Annahme, dass Frauen sich einfach nicht so gut präsentieren würden. Die Prüfung als Herrschaftsverhältnis, in das Machtstrukturen Eingang finden, werde nicht hinterfragt.
Doch Ulrike Lembke berichtete auch von den Errungenschaften der vergangenen Jahre.
Und das waren einige: Die Entscheidung des Bundeverfassungsgerichtes zur Dritten Option, die Stärkung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch den Ausbau von Kitaplätzen und das neue Mutterschutzgesetz.
Fazit
Ob Veranstaltungen zu hate speech, Content-Regulierung und Datenschutz oder zu Gewichtsdiskriminierung, homophoben Straftaten und Rassismus in der Justiz – Geschlecht war beim FJT nur eines der untersuchten Verhältnisse.
Die Diversität der Vorträge bei diesem FJT macht deutlich: Feministische Rechtswissenschaft bedeutet heute nicht mehr allein den Kampf für die Gleichstellung der Frau, sondern vor allem die umfassende Reflexion bestehender Herrschaftsverhältnisse.
Es braucht den Austausch unter Frauen* im Recht, um neue Perspektiven zu diskutieren, Möglichkeiten und Ziele festzustecken. In Zeiten von #MeToo, Zeiten, in denen am „Black Friday“ in Polen tausende Stimmen für Frauenrechte auf der Straße zu hören sind, in Zeiten, in denen eine wachsende Offenheit für Feminismus auf neuen Konservatismus und rechten Populismus stößt, braucht es Orte, an denen Vernetzung geschaffen wird und jungen wie erfahrenen Juristinnen* Kraft gegeben wird, Gleichheit einzufordern und sich zu solidarisieren.
Der FJT war ein Fest des Austausches, der Lehre und der Inspiration.