Am Mittwoch, dem 21. März, dem internationalen Tag gegen Rassismus, fand im Abgeordnetenhaus des Landes Berlin die 22. Sitzung des Ausschusses für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Geschäftsordnung, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung statt. Schwerpunkt der Sitzung war die Frage rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalttaten in Berlin im Jahr 2017. Angehört wurden Frau Mina Ahadi, Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime, Frau Becker, die die NGO ReachOut vorstellte, und der Rechtsanwalt Herr Gelbhardt. Frau Ahadi sprach über den Umgang der Politik sowie der deutschen Gesellschaft mit dem Islam, Herr Gelbhardt über Antisemitismus.
Frau Ahadi zeigte sich besorgt: der Islam werde von großen Teilen der Politik verharmlost.
Sie forderte, dass Kritik am Islam möglich sein müsse und nicht automatisch als Islamophobie oder “rechts” eingestuft werden dürfe. Eine offene Auseinandersetzung sei nötig. Auch solle die Politik jeden Kontakt zu islamischen Instituten abbrechen. Religiöse Einflüsse auf die Gesellschaft allgemein müssten unterbunden werden. Ein säkularer Staat ist für sie die einzige Lösung zur Verhinderung von Fanatismus.
Vor allem von Menschenrechtler*innen und Feministinnen erwartet sie mehr Einsatz gegen den Kopftuchzwang. Das Kopftuch sei das Symbol einer patriarchalischen Kultur, das als politisches Instrument Religion auch ins Privatleben einbeziehe.
Auch Herr Gelbhardt, der sich auf Antisemitismus in Presse, Medien und Strafrecht spezialisiert hat, ging in seiner Stellungnahme insbesondere auf die Bedrohung durch den Islam ein. Anfangs betonte er, dass es sich in den folgenden Ausführungen um eine rein subjektive Wahrnehmung handeln werde, und fuhr dann fort, dass sich die Atmosphäre für Juden und Jüdinnen in den vergangenen Jahren zum Negativen verändert habe. Das habe zur Folge, dass immer mehr Juden und Jüdinnen Berlin verlassen würden. Dieses Phänomen der Auswanderung trete in Europa nur dort auf, wo viele Muslime und Muslima leben, bspw. in Belgien. Zwar gebe es einen Rückgang der Angriffe auf Juden und Jüdinnen, diese Statistik umfasse allerdings nur die festgestellten Angriffe. Das Anzeigeverhalten sei dabei ein Problem. Ihm schien es, als sei die Berliner Polizei hilflos und würde bestimmte Bezirke – vornehmlich arabisch und muslimisch geprägte – überhaupt nicht mehr überwachen.
Obwohl er immer wieder den Islam als Ursache benannte, kam er zu dem Schluss, dass kein Generalverdacht des Antisemitismus gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen – also arabischen – entstehen dürfe. Gleichzeitig solle aber auch keine generelle Exkulpation stattfinden. Straftäter*innen sollten ohne Rücksicht auf ihre sozialen Hintergründe strafrechtlich verfolgt werden.
Er schloss mit einer Mahnung, dass, sollte sich die Situation nicht ändern, Malmö sonst womöglich Berlin erreichen werde (mit dem Verlassen der Juden und Jüdinnen Malmös ging eine faktische Auflösung einer jahrhundertealten jüdischen Gemeinde einher).
Doch wie steht es – jenseits der Fragen politischer Bewertung – eigentlich um die Fakten? Dazu konnte die Vertreterin von ReachOut genauer Auskunft erteilen.
ReachOut ist eine Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Berlin. Die Mitarbeiter*innen beraten Betroffene unabhängig von ihrem Alter, ihrer Herkunft oder ihrem Geschlecht. Mittelpunkt der Arbeit von ReachOut ist die Beratung, Begleitung und Unterstützung von Opfern und deren Angehörigen. Daneben leistet das Projekt eine umfangreiche Bildungsarbeit. ReachOut koordiniert auch bezirkliche Register zur Erfassung rechtsextremer Vorfälle. Die Ergebnisse veröffentlicht der Verein seit 2003 jährlich.
Im Jahr 2017 erfasste ReachOut 267 Angriffe, bei denen es sich primär um Körperverletzungsdelikte handelte. Rassistische Vorfälle insgesamt (darunter fällt bspw. auch Propaganda auf Demonstrationen) waren es 2800, also 7,6 pro Tag. Die meisten Vorfälle wurden in den Bezirken Mitte, Wedding und Neukölln gemeldet, die wenigsten in Spandau.
Zahlen der Berliner Polizei
Zum Vergleich: Im Jahr 2017 zählte der Phänomenbereich PMK der Berliner Polizei 117 Angriffe, davon 94 Körperverletzungen. Zugeordnet werden dem PMK Fälle, wenn in Würdigung der Tat und/oder Umstände Anhaltspunkte darauf hindeuten, dass sie einer rechten Orientierung zuzuordnen sind. Insbesondere geht es also um Taten mit Bezug zum völkischen Nationalsozialismus, Rassismus oder Sozialdarwinismus.
Auf Nachfrage, wieso die Statistiken der Polizei andere Zahlen angäben, erklärte Frau Becker, die Polizei sei einerseits bekannter als die NGO und bekomme mehr Anzeigen. Andererseits nehme ReachOut nicht nur Straftaten, sondern auch kleinere Vorfälle aus dem Alltag in seine Statistiken auf. Ziel dabei sei es, die Sicht der Zivilgesellschaft darzustellen.
Frau Becker betonte, dass Antisemitismus oft verharmlost wird und genauer betrachtet werden sollte. Dabei besteht, so Frau Ahadi, sogar eine doppelte Bedrohung: Rechtspopulisten und Islamisten verträten ähnliche fundamentalistische Werte, auch bestehe eine Gruppenfokussierung, statt dass Einzelne ernst genommen würden.
Lösungsansätze
Die Staatsanwaltschaft Berlin bereitet aktuell die Implementierung eines weiteren bundeseinheitlichen Erhebungsbogens vor, mit dem Motive der Hasskriminalität (vor allem antisemitische) erfasst werden sollen.
Zu beobachten wäre, welche weiteren Konsequenzen der Berliner Senat aus der Zahl der rechten und rassistischen Gewaltvorfälle in Berlin zieht. Der Senator Dirk Behrendt betonte die Bedeutung der Zivilgesellschaft. Es sei durchaus möglich, dass der leichte Rückgang der Angriffe mit der konsequenten Ächtung von Gewalt und Rassismus zu tun habe. Der Berliner Senat selbst werde seine Anstrengungen zur Entwicklung einer demokratischen Stadtkultur, die Rassismus, Antisemitismus und Gewalt ächtet, intensivieren. Als konkretes Beispiel nannte Behrendt die Deradikalisierung rechtsextrem orientierter Jugendlicher und Erwachsener. Auch die Opferberatung wolle er weiter fördern. Damit fasste er die Wünsche des Redners und der Rednerinnen zusammen.