Sollte es ein Kopftuchverbot für Richterinnen geben?

Der folgende Beitrag beleuchtet das aktuell diskutierte Kopftuchverbot für Richterinnen im Hinblick auf das Spannungsfeld zwischen der Neutralität der Justiz, Religionsfreiheit und institutioneller Diskriminierung.

Bund deutscher Verwaltungsrichter*innen befürwortet Kopftuchverbot

Anfang August sprach sich der Bund deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen (BDVR) in einer Stellungnahme für ein Verbot von Kopftüchern für Richterinnen aus. Die Begründung: Es könne „das Vertrauen in die Unparteilichkeit der Justiz verletzen“. Dies treffe besonders in Fällen zu, „in denen die Prozessparteien andere religiöse Überzeugungen als den Islam haben“. In der Stellungnahme bezieht sich der BDVR auf ein Urteil des Augsburger Verwaltungsgerichts vom letzten Juni. Das bayrische Landesjustizministerium hatte einer Rechtsreferendarin aufgrund ihres Kopftuchs das Ausüben einiger richterlicher oder staatsanwaltschaftlicher Aufgaben, darunter auch die Vernehmung von Zeug*innen untersagt. Dagegen klagte die 25-jährige Muslima, eine der leistungsstärksten ihres Jahrgangs, mit Erfolg. Das Gericht entschied, dass eine Rechtsreferendarin bei ihrer Arbeit ein Kopftuch tragen darf, ohne dafür ihr Tätigkeitsfeld eng begrenzende Auflagen in Kauf nehmen zu müssen. In Bayern gibt es kein Gesetz, dass es erlaubt, zugunsten justizieller Neutralität das Recht auf freie Religionsausübung einzuschränken.

Die aktuelle Diskussion des BDVR um ein Kopftuchverbot für Richter*innen ist als Reaktion auf das Augsburger Urteil zu verstehen. Sie verweist auf das Spannungsfeld zwischen dem Neutralitätsgebot der Justiz auf der einen Seite, und dem in Art. 4 Grundgesetz festgelegten Recht auf freie Religionsausübung auf der anderen Seite. Auch antidiskriminierungsrechtliche Aspekte spielen in diesem Fall eine Rolle, wie ich am Fall von institutioneller rassistischer Diskriminierung erläutern werde.

Institutionelle rassistische Diskriminierung

Institutionelle rassistische Diskriminierung wird von den Rassismusforscher*innen Juliane Karakayali und Vassilis Tsianos unter Rückgriff auf eine Definition des britischen Soziologen Robert Miles wie folgt definiert:

„Mit institutionellem Rassismus werden Diskurse, Politiken und Praktiken von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen bezeichnet, die systematisch Ausgrenzung und Diskriminierung produzieren, ohne sich explizit und vorsätzlich rassistischer Begründungs- und Deutungsmuster zu bedienen.“

Übertragen auf den hier behandelten Fall bedeutet das, dass ein vermeintlich neutrales, nicht auf den ersten Blick hin als diskriminierend erkennbares Gesetz ‒ hier also Neutralitätsgesetze der Länder oder entsprechende Vorhaben ‒ vor allem eine marginalisierte gesellschaftliche Gruppe benachteiligend betrifft und von der gleichberechtigten Teilhabe am deutschen Rechtsstaat auf Seiten der Justiz ausgrenzt, nämlich die derjenigen Muslimas, welche Kopftuch tragen und dieses auch nicht ablegen möchten. Auch Liebscher/Remus/Bartel[1] haben darauf hingewiesen, dass es sich dabei um einen Fall institutioneller rassistischer Diskriminierung handelt.

Wie neutral kann Justiz sein?

Angesichts des Verbots rassistischer und religionsspezifischer Diskriminierung in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG fragt sich: Welchen Nutzen und welche Wirkung haben die vermeintlich „gut gemeinten“ Neutralitätsgesetze?

Ist es generell möglich, dass Richter*innen neutral beziehungsweise objektiv handeln und urteilen? Vieles spricht dafür, dass dies nicht möglich ist, denn selbst hochqualifiziertes Staatspersonal wie Richter*innen sind nicht immer und vollständig in der Lage, ihren eigenen sozialen Hintergrund oder ihre politischen und religiösen Einstellungen abzulegen, auch wenn dies in ihrer Außendarstellung (richterliche Robe, Verzicht auf religiöse Symbole etc.) vermittelt werden soll. Zudem ist das Recht, nach dem sie richten, immer auch ein Ausdruck der jeweiligen gesellschaftlichen Machtverhältnisse, Normalitäts- und Wertvorstellungen; seine vermeintliche Neutralität dient auch zur Legitimation und Reproduktion dieser Verhältnisse.

Kurz: Ob Richter*innen nun ein Kopftuch tragen oder nicht: In beiden Fällen ist ihre Amtswahrnehmung auch geprägt von persönlichen Wertvorstellungen und Sozialisation. Warum sollte dann auf augenscheinlich „neutrales“ Äußeres, also das Ablegen religiöser Symbole, bestanden werden, um Unparteilichkeit zu gewährleisten?

Hinzu kommt, dass auch Richter*innen ohne Kopftuch oder andere religiöse Symbole manipulativ wirken können, wenn sie dies denn möchten. Um solche Fälle zu vermeiden, werden sie jahrelang in den deutschen Gesetzen und ihrer Auslegung, an die sie selbstverständlich gebunden sind, ausgebildet. Im Zweifelsfall gibt es auch noch die Dienstaufsicht, welche die Intersubjektivität ihres richterlichen Handelns überprüfen und gegebenenfalls Disziplinarmaßnahmen einleiten könnte. Es sollte also nicht an dem Tragen eines Kopftuches oder anderer religiöser Symbole allein festgemacht werden, ob ein Mensch dazu in befähigt ist, als Richter*in im Sinne der deutschen Gesetze unparteilich zu urteilen oder nicht. Ein Kopftuchverbot für Richter*innen könnte dazu noch junge Menschen davon abhalten, ihre beruflichen Wünsche zu verfolgen und sich an unserer Gesellschaft als gleichberechtigte Mitglieder zu beteiligen.

Positive Wirkungen einer Richterin mit Kopftuch

Der BDVR ist besorgt, dass Teilnehmer*innen eines Gerichtsprozesses „besonders in Fällen, in denen die Prozessparteien andere religiöse Überzeugungen als den Islam haben“, die Unparteilichkeit einer Richterin mit Kopftuch in Frage stellen könnten. Hier sollte auch von Seiten der Prozessteilnehmenden klar unterschieden werden zwischen der persönlichen Identität der Richterin, wozu unter anderem das Kopftuch zählt und ihrem offiziellen Agieren im Richter*innenamt. In unserer pluralistischen Gesellschaft sind wir tagtäglich mit anderen Religionen, Lebensentwürfen, politischen Einstellungen etc. konfrontiert, was sich zunehmend in der Zusammensetzung der Justiz wiederspiegelt. Da müssen wir auch Richter*innen aushalten können, welche nach außen erkennbar eine andere persönliche Identität haben als wir selbst, solange diese in Übereinstimmung mit geltendem Recht richten.

Ein Kopftuchverbot für Richterinnen wäre nicht nur unter den genannten Überlegungen problematisch, sondern würde auch eine bestimmte soziale Gruppe von der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft ausschließen und somit institutionell diskriminierend wirken.

Richterinnen mit Kopftuch repräsentieren die Realität, in der wir schon längst leben: die Heterogenität unserer postmigrantischen Gesellschaft. Richter*innen mit vielfältigen Lebensentwürfen und mit unterschiedlichen (Diskriminierungs-)Erfahrungen können auch dazu beitragen, Diskriminierungen sensibel und kompetent zu erkennen, zu verurteilen und somit insgesamt zu bekämpfen.

[1] Zugang zu dem verlinkten Text ist über Rechner der Berliner Universitäten oder Universitätsbibliotheken, sowie über die dazugehörigen VPN-Clients möglich.

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