Tat grausam, Strafe simpel: Wir brauchen wirksamere Gesetze gegen Rassismus

Die Zahl der Migrant*innen in Deutschland ist 2017 im Vergleich zu 2016 um 100.000 Menschen gesunken. Zugleich stellen Rechtspopulist*innen die Einwanderung von Menschen, die bessere Lebensbedingungen suchen, als nationale Gefahr dar. In diesem Klima werden rassistische Straftaten begangen und krimineller Hass verbreitet. Daher muss auch das Recht ein klares Zeichen gegen Rassismus und Rechtsextremismus setzen.  Fraglich ist, ob der Gesetzgeber durch die Einführung von § 46 II 2 StGB seine Pflicht zur strengeren Sanktionierung von Rassismus erfüllt hat.

Hass in Zahlen

Rassistische Gewalt ist kein neues Thema in Deutschland. Sie kommt aber durch unterschiedliche Formen zum Ausdruck. Es gibt ein breites Spektrum an Angriffen auf Asylunterkünfte: von Steinwürfen bis hin zu Brandanschlägen. Rassistische Taten finden aber auch jenseits dessen statt, zum Beispiel als Körperverletzungen gegen Asylsuchende, meist auf der Straße am helllichten Tag. Im ersten Halbjahr wurden schon mehr als 700 Angriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingsheime dokumentiert. Unter denen erweisen sich die rassistisch motivierten Brandstiftungen gegen Unterkünfte als besonders schwerwiegend. Es wird nicht nur das Leben von Einzelpersonen gefährdet, sondern auch versucht, den Lebensraum von Flüchtlingen mit dem Ziel zu zerstören, deren Aufenthalt in Deutschland zu beenden. Solche Taten übermitteln eine klare Nichtakzeptanz und wirken als terrorisierende Drohung für weitere Flüchtlinge. Die Täter*innen wollen eine Hassbotschaft an alle Menschen der Gruppe senden, zu denen das Opfer aus Tätersicht gehört.

Rassistische Vorfälle dokumentiert das Bundeskriminalamt (BKA). Initiativen, wie die Amadeu Antonio Stiftung (AAS), zählen solche Vorfälle anhand von Regierungsangaben und Medienberichten und ermöglichen so einen Vergleich mit den Angaben vom BKA. Nach Vergleich beider Gesamtzahlen für das Jahr 2017 fällt auf, dass die Differenz zwischen der Zählung des BKA und der AAS groß ist. Das ist darauf zurück zu führen, dass die Polizei nur solche Fälle erfasst, die ihr bekannt geworden sind und die nach Einschätzung des BKA zweifelsfrei rassistisch motiviert sind. Bei unklaren Motiven oder mehreren Beweggründen dokumentiert das BKA das nicht. Die Statistik des BKA bildet daher die Realität nicht vollständig ab.

Im Jahr 2016 gab es nach Angaben des BKA 998 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, 2017 hingegen nur 264. Darunter waren im Jahr 2016 74 registrierte Brandanschläge, im Jahr 2017 jedoch nur 16. Nach der AAS lag die Zahl der Angriffe wesentlich höher: im Jahr 2016 bei 1578 und im darauffolgenden Jahr bei 1387.

Tat grausam, Strafe simpel

Die genannten Taten sind bereits unabhängig von rassistischer Gesinnung gesetzlich strafbar. Angriffe auf Asylunterkünfte können den Tatbestand von Sachbeschädigung gem § 303 StGB bis hin zur besonders schweren Brandstiftung gem § 306a ff. StGB erfüllen. Darüber hinaus kommt es bei rassistischen Taten zu weiteren Tatbeständen: z.B. Beleidigung (§ 185 StGB), Körperverletzung (§ 223 StGB), Totschlag (§ 212) usw. Ein gesetzgeberisches Tätigwerden ist dann entbehrlich, wenn die bestehenden strafrechtlichen Normen eine ausreichende Sanktionierung gewährleisten. Das wäre jedoch nur dann Fall, wenn die Norm alle wesentlichen Merkmale dieser Straftaten widerspiegelte. Das heißt aber auch, dass die rassistischen Motive der Tat erkannt werden und Einfluss auf die Strafe nehmen sollten.

Nach der Rechtsprechung des EGMR (z.B. Abdu gg.Bulgarien) ist ein Außerachtlassen einer rassistischen Gesinnung bei der Ermittlung und Sanktionierung eine Verletzung des Diskriminierungsverbotes von Art 3 EMRK, der eine unmenschliche oder erniedrigende Strafe verbietet und für den Fall, dass jemand Opfer einer rassistischen Straftat wird, eine effektive behördliche Untersuchung verlangt. Die Ermittlungsbehörden sind folglich verpflichtet, jedwede vernünftigen Schritte zur Beantwortung der Frage einzuleiten, ob gewaltsame Handlungen ihre Wurzel in rassistischen Anschauungen haben.

Das Grundgesetz verbietet nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG eine Diskriminierung aufgrund der Rasse, Abstammung oder Herkunft. Daraus ergibt sich, dass bei rassistische Motiven keine Schlechterstellung als bei anderen Motiven erfolgen darf. Eine Berücksichtigung rassistischer Motiven ist daher verfassungsrechtlich und menschenrechtlich geboten.

§ 46 Abs. 2 StGB reicht nicht aus

Die spezielle Normierung schärferer Strafen bei Vorliegen rassistischer Motive, verdeutlicht, dass diese Verpflichtungen ernstgenommen werden und solche Straftaten von der Gesellschaft abgelehnt und als verwerflich verurteilt werden. Nach § 46 Abs. 2 S. 2 StGB soll das Gericht Beweggründe und Ziele des Täters, besonders rassistische, fremdendeindliche oder sonstige menschenverachtende Motive bei der Strafzumessung berücksichtigen und gegeneinander abwägen. Die Vorschrift wurde nicht zuletzt aufgrund der Empfehlungen des 1. NSU-Bundestagsuntersuchungsausschusses verabschiedet.

Problematisch ist, dass die Berücksichtigung rassistischen Motiven erst auf Strafzumessungsebene stattfindet. Erforderlich für die Bekämpfung von Rassismus ist nicht nur die Sanktionierung, sondern auch die Aufdeckung und die effektive Ermittlung von rassistischen Motiven.

Wir brauchen neue Qualifikationstatbestände

Die aufmerksame Ermittlung rassistischer Motive kann besser durch Einführung eines entsprechenden Straftatbestands erfolgen. Die Berücksichtigung rassistischer Beweggründen auf tatbestandlicher Ebene sensibilisiert jede Person aufgrund der drohenden Strafverfolgung und verpflichtet jeden Handelnden, die Motive angemessen zu gewichten.

Im Rahmen einer Reform aller Tatbestände, die in der Regel bei rassistischen Angriffen verwirklicht werden, könnten rassistische Motive besonders berücksichtigt werden. Dies könnte durch Einführung von Qualifikationstatbeständen unter dem jeweiligen Grunddelikt geschehen. Ein eigenständiger Absatz signalisiert, dass rassistische Motive Tatbestandsmerkmale der Qualifikation sind, die entsprechend intensiv geprüft werden müssen. Die Strafe im schweren Fall ist entsprechend zu verschärfen.

Beispielsweise könnte der Absatz so formuliert werden: „Wer (Grunddelikt) aus rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonstigen diskriminierenden Motiven begeht, wird mit Freiheitsstraft (von – bis) bestraft .“

Durch eine solche Strafschärfung wird jede Person auf die Seriosität der Lage und die erforderliche Berücksichtigung von Rassismus aufmerksam gemacht. Auf diese Weise kann der Gesetzgeber dem Gesetz erlauben, seine gestaltende Funktion zu erfüllen: die Gesellschaft nach den demokratischen Werten zu richten und die zwischenmenschlichen Beziehungen auf Grund- und Menschenrechten aufzubauen.

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