Aufgrund von zwei Parallelberichten befragte der UN-Ausschuss zu den Rechten des Kindes bei seiner 71. Session in Genf die Länder Irland und Frankreich zur rechtlichen Lage intergeschlechtlicher Kinder. Von beiden Ländern gab es eine eher ausweichende Antwort.
Irland betont seine progressive Rechtslage für Transgenderpersonen, und verkennt die unterschiedlichen Lebenslagen von trans* und inter* Kindern. Dass genitalverändernde Operationen an intergeschlechtlichen Kindern, meist Säuglingen, allein von der Zustimmung der Eltern abhängen, tritt dabei in den Schatten. Solche Fälle seien, so versichert Irland, aber ohnehin rar. Und Frankreich? Genitalangleichende Operationen intergeschlechtlicher Kinder sind auch hier die Norm. Die Delegation vor dem Kinderrechte-Ausschuss verweist dennoch auf ein Urteil des Tribunal de Grande Instance de Tours. Dieses hatte vor einigen Monaten anerkannt, dass es in Frankreich ein drittes Geschlecht, das sogenannte „sexe neutre“ geben soll. Das wurde bislang aber weder durch die französische Cour de Cassation bestätigt, noch gesetzlich festgehalten. Eine Gesetzesänderung also, wie sie ungewisser nicht sein könnte. Zudem verbietet dieses gerade nicht die genitalverändernden Operationen. Insbesondere wird das Kindeswohl in besagtem Urteil gar nicht thematisiert – zitiert wird nur Art. 8 EMRK, der ein Recht auf Privat- und Familienleben verspricht.
Und wo bleiben die Kinder? Kindesrechte spielen bei dem Diskurs um die Rechtslage intergeschlechtlicher Menschen in Deutschland eine zugegebenermaßen große Rolle. Nichtsdestotrotz finden die Rechte intergeschlechtlicher Kinder in den einschlägigen Kommentierungen zur UN-Kinderrechtskonvention (KRK) kaum Erwähnung. Es stellt sich die Frage: Welche Durchsetzbarkeit, welche Wirksamkeit beanspruchen Instrumente wie die KRK überhaupt in Bezug auf die Rechtspositionen intergeschlechtlicher Kinder?
Zur Bedeutung von Kinderrechten im internationalen Recht
Prominentestes Beispiel internationalen Kinderrechtsschutzes ist die KRK. Sie datiert zurück auf 1992, wurde seither aber durch zahlreiche Protokolle ergänzt. Zuletzt 2014 durch ein drittes Fakultativprotokoll, das die Möglichkeit einer Individualbeschwerde einräumt. Sie ist an keine Altersgrenzen geknüpft und kann daher auch von den Kindern selbst wahrgenommen werden. Eine solche Möglichkeit individuellen Rechtsschutzes ist eine Besonderheit – sind sonst nur Staaten im Rahmen solcher Abkommen adressiert. Damit wird die KRK als Instrument internationalen Rechtsschutzes besonders durchsetzbar und präzise.
Aus der Perspektive nationalen Rechts beansprucht die KRK in vielen Fällen ohnehin den Rang einfachen Rechts. In einem monistischen System wie in Frankreich ist das ganz automatisch der Fall, aber auch in Deutschland ist mittlerweile allgemein anerkannt, dass die Normen der KRK self-executing sind und daher keines weiteren Rechtsanwendungsbefehles bedürfen. Außerdem entfalten sie als solche unmittelbare Drittwirkung gegenüber öffentlichen und privaten Einrichtungen. Theoretisch müsste sich also die ganze nationale Rechtsordnung unmittelbar nach dem UN-Begriff des best interest of the child richten.
Weitere Bastion des europäischen Kinderrechtsschutzes ist Art. 24 der EU-Grundrechtecharta. Wird die Wirksamkeit europäischer Grundrechte – vor allem aus deutscher Perspektive – oft belächelt (im Kopf ist dann immer die „Solange“-Rechtsprechung des BVerfG), hat der EUGH vor zwei Jahren mit seinen Urteilen „Åkerberg Fransson“ und „Melloni“ – beide vom 26. Februar 2013 – das Gegenteil bestätigt und die Geltung europäischer Grundrechte erdenklich ausgedehnt. Art. 24 der Grundrechtecharta darf als Rechtsposition daher nicht unterschätzt werden. Auch hier in Anlehnung an die UN-KRK wieder die Rede vom best interest of the child.
Auch der Europarat stellt ein Instrument zur Verfügung: Das Übereinkommen über die Ausübung von Kinderrechten von 1996 sowie mittelbar Art. 8 (Achtung des Privat- und Familienlebens) und Art. 14 (Diskriminierungsverbot) der EMRK. Direkte Erwähnung finden Kindesrechte in der EMRK dagegen nicht.
Best interst of the intersexed child
Die Instrumente zur Durchsetzung der Rechte des Kindes auf internationalem Niveau sind umfassend und bieten sogar die Möglichkeit einer unmittelbaren Berufung durch das Kind oder Dritte. Aber was beinhaltet das sogenannte best interest of the child (englische Fassung von Art. 3 KRK), das im deutschen Recht schlicht als Kindeswohl übersetzt wird.
Es handelt sich ersichtlich um einen weiten Rechtsbegriff, der den Staaten einen gewissen Umsetzungsspielraum zugesteht. Dieser findet seine Grenze wohl bei irreversiblen Maßnahmen wie Genitalverstümmelungen von Kindern. Eben solche sind gängige Praxis bei intergeschlechtlichen Kindern. Nach den Einschätzungen eines Parallelberichts zum 5. Staatenbericht Deutschlands zur UN-Antifolterkonvention (CAT) sind solche Eingriffe als Folter einzustufen. In seinen abschließenden Bemerkungen hat der UN-Antifolterrechtsausschuss dies mit ernsten Bedenken gegenüber der deutschen Praxis quittiert. Auch der Europarat teilt diese Einschätzung. Es ist aus internationalrechtlicher Perspektive daher schwer, bei den Praktiken an intergeschlechtlichen Kindern von einem best interest of the intersexed child zu sprechen.
Bei der Fülle internationalrechtlicher Garantien für Kindesrechte, bleibt doch den Staaten das letzte Wort. Obwohl Kinder in den Abkommen zu den Subjekten ihrer Rechte gemacht werden, verbleibt die Entscheidung über die geschlechtsverändernde Operation nach nationaler Rechtslage praktisch dann doch bei den Eltern. Es ist dieser private Raum elterlichen Sorgerechts vor dem die Staaten zurückschrecken – und dadurch die operative Praxis zulassen.
Dennoch gibt es gerade immer mehr Rechtswandel zugunsten von intergeschlechtlichen Menschen. In einigen Staaten wurde eine dritte Geschlechtskategorie eingeführt zur Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt. Es werden allerdings nur mäßige Erfolge in Bezug auf die Verbesserung der Rechtsstellung intergeschlechtlicher Kinder erwartet. In Deutschland etwa ist auch nach der Einführung von § 22 Abs. 3 PStG nicht davon auszugehen, dass die operative Praxis merklich abnehmen wird.
Gleichzeitig werden Forderungen nach Schadensersatzansprüchen operierter intergeschlechtlicher Menschen laut. In den meisten Ländern – wie auch in Deutschland – werden solche aber nicht zugesprochen.
Die abschließenden Bemerkungen
Die abschließenden Bemerkungen an Irland und Frankreich durch den UN-Kinderrechtsausschuss wurden ziemlich gespannt erwartet, fielen sie doch im Jahr 2014 in dem Verfahren gegen Deutschland ziemlich enttäuschend aus. Obwohl namentlich das Deutsche Institut für Menschenrechte in seinen Anmerkungen für ein Verfahren die Rechte intergeschlechtlicher Kinder nachdrücklich markiert hat, finden sie abschließend nicht einmal Erwähnung. Unter der Kategorie „harmful practices“ werden „Female Genital Mutilations“ und generell Gewalt gegen Kinder thematisiert – die ärztlichen Praktiken an intergeschlechtlichen Kindern dagegen werden nicht benannt. Das überrascht, hat 2011 doch der UN-Antifolterausschuss seine Bedenken gegenüber den Praktiken geäußert.
In den abschließenden Bemerkungen vom 29.1.2016 wird die Rechtslage intergeschlechtlicher Kinder jeweils deutlich thematisiert. In Bezug auf Irland werden drei Kernforderungen herausgearbeitet: „Unnötige“ Eingriffe seien zu unterlassen, Ärzt_innen in ihrer Ausbildung hinreichend zu sensibilisieren und bei rechtswidrigen Eingriffen den Opfern Schadensersatz zuzusprechen. Für Frankreich klingen die Forderungen ganz ähnlich – nur der Schadensersatz fehlt.
Die Rechtslage intergeschlechtlicher Kinder findet somit – im Gegensatz zu dem Verfahren von 2014 gegen Deutschland – einen expliziten Platz im Rahmen der UN-KRK. Nichtsdestotrotz: Was eine „unnötige“ Operation ist, das bleibt den Staaten überlassen. Der private Raum elterlichen Sorgerechts und ärztlicher Praxis kann damit weitestgehend unangetastet bleiben. Das ist wohl das Dilemma an einer UN-KRK: Theoretisch verspricht sie das best interest of the child und beansprucht unmittelbare Geltung – praktisch verändert eine Staatenrüge die Rechtslage aber nicht.
Immerhin zeigt die globale Entwicklung aber einen progressiven Trend in Bezug auf die Rechte intergeschlechtlicher Menschen auf. Es bleibt also abzuwarten, ob the best interest of the intersexed child einmal die unmittelbare Geltung hat, die es verspricht.