Keine Einstellung von Bagatelldelikten – rassistische Diskriminierung von Asylbewerber_innen im Strafverfahren

Diskriminierung in unserer Gesellschaft ist nicht neu. Auch die unterschiedliche Behandlung von nicht-deutschen oder nicht-deutsch aussehenden Menschen durch die Polizei ist bekannt. Nun scheinen sich auch die Fälle der unverhältnismäßigen Verurteilung von Asylbewerbern wegen Bagatelldelikten zu häufen.Ein Mann marokkanischer Herkunft wurde 2015 wegen Ladendiebstahls vom Amtsgericht Dresden verurteilt. Dabei wurde ihm die Möglichkeit zur Einstellung des Verfahrens nach § 153a Strafprozessordnung (StPO) nicht einmal nahegelegt. Der Asylbewerber, der seit circa zwei Jahren in Deutschland lebt, hatte Waren im Wert von 34,85 € entwendet. Die Polizei gab den Fall an die Staatsanwaltschaft weiter, diese verwehrt ihm eine Bewährung sowie die Zahlung eines Geldbetrages nach § 153a StPO. Die Begründung: “Der Beschuldigte ist Ausländer”.

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Quelle: Twitter @mark_feilitzsch

Was sagt § 153a StPO?

§ 153a StPO ist vor allem bei Bagatelldelikten im Verkehrsstrafrecht und bei Eigentumsdelikten, wie Ladendiebstahl von großer Bedeutung. Mit Zustimmung des jeweiligen Gerichts, des Beschuldigten und je nach Schwere des Falles wird oftmals von einer Anklage abgesehen und das Verfahren eingestellt. Die_der Beschuldigte muss eine andere Leistung erbringen, um ihre_seine Tat wiedergutzumachen. § 153a StPO sieht zum Beispiel Leistungen in Geldbeträgen für gemeinnützige Einrichtungen oder die Staatskasse, einen Täter-Opfer-Ausgleich oder einen sozialen Trainingskurs vor. Voraussetzung ist, dass diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. Von Vorteil ist das für alle Beteiligten. Mit dieser Norm können Verfahren von der Staatsanwaltschaft schneller und effizienter abgeschlossen werden, jährlich gibt es mehrere hunderttausend Fälle.

Sonderbehandlung für Asylbewerber_innen?

Auch hier lag keine schwere Straftat vor, das öffentliche Interesse eher gering: Also ein klarer Fall für § 153a StPO?

Nein. Ein Angebot auf Einstellung des Verfahrens wurde nicht unterbreitet. Laut der Polizeidirektion und der Staatsanwaltschaft ist der Vermerk „Der Beschuldigte ist Ausländer“ auf dem Deckblatt formal richtig. Der Ausländer spreche kein Deutsch und hätte einen Dolmetscher abgelehnt, so lautete die Begründung für den Vermerk.

Überzeugend ist das nicht. Der Vermerk lautet nicht, “keine Kenntnisse der deutschen Sprache”, sondern schlicht “Der Beschuldigte ist Ausländer”. Eigentlich sollte allgemein bekannt sein, dass auch Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit die deutsche Sprache beherrschen können. Hier geht es offensichtlich um etwas anderes. Dass sich strafverfahrensrechtliche Erwägungen mit rassistischen Vorurteilen gegenüber nicht-deutschen Menschen vermengen, ist nichts Neues. Das sagt auch der Anwalt des Beklagten. Ein weiterer medial diskutierter Vorfall belegt dies.

Das Kölner Amtsgericht verurteilte einen 19-jährigen Asylbewerber, der aus dem Irak stammt, zu einer Freiheitsstrafe von einem halben Jahr ohne Bewährung, weil er aus einer Drogerie Socken für 1,99 € stahl.

Dass ein junger 19-Jähriger wegen eines Diebstahls von Socken im Wert von 1,99 € eine Haftstrafe von einem halben Jahr wahrnehmen muss, klingt verhältnismäßig ungerechtfertigt. Bei einem solch geringen Wert besteht keine schwere Straftat. Stattdessen geht die Kölner Richterin vor allem auf die Hintergründe des Asylsuchenden ein. Ihm wird vorgehalten, dass er kein wirklicher Asylbewerber sei und ihm die Ernsthaftigkeit fehle, da er bereits drei Anträge seit 2012 stellte. Vielmehr nutze er die humanitäre Verantwortung Deutschlands aus, um Straftaten zu begehen.

Die Entscheidung des Kölner Gerichts stützt sich somit nicht auf die eigentliche Tathandlung, sondern darauf, dass der Asylsuchende weiterhin Straftaten begehen und sich nicht an das Gesetz halten wird. Auch wird der § 153a StPO in keinem Wort erwähnt.

Hier wird deutlich, dass nicht-deutsche Menschen von Staatsanwaltschaften und Gerichten benachteiligt werden. Eine solche Ungleichbehandlung stellt Diskriminierung dar, die in der Art keinesfalls gerechtfertigt werden kann. Das Anknüpfen an die vermeintliche oder tatsächliche Staatsangehörigkeit oder den Aufenthaltsstatus kann eine Diskriminierung sein, wenn es sich eigentlich um eine rassistische Zuschreibung handelt und die tatsächliche Staatsangehörigkeit gar keine Rolle spielt. In diesem Sinne haben auch der Antirassismusausschuss der UN zu Anti-Rassismus-Konvention (ICERD) und das Bundesverfassungsgericht zum Gleichheitsgebot aus Artikel 3 Grundgesetz entschieden.

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