Zum Thema Assistenzleistungen von Menschen mit Behinderung hat sich in letzter Zeit einiges getan. Auf der einen Seite stehen das geplante Bundesteilhabegesetz und eine Reform der Pflegestufeneinteilung und -feststellung. Auf der anderen Seite steht die erfolgreiche Verfassungsbeschwerde der Kanzlei Menschen und Rechte zur 24-Stunden-Assistenz. Wo Betroffenenverbände ihr Ziel im Rahmen der Gesetzesänderung aufgrund eines mangelnden Teilhabeprozesses nicht erreichen konnten, ist die Kanzlei Menschen und Rechte diesem ein Stück auf dem Rechtsweg weit näher gekommen.
Die Einkommensabhängigkeit von Assistenzleistungen für Menschen mit Behinderung ist einer der größten Kritikpunkte von Betroffenen und Verbänden am derzeitigen Leistungssystem. Diese Kritik wird konstant vorgebracht und wurde vom UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung aufgenommen. Ziel der Behindertenverbände war es unter anderem, mit dem neuen Teilhabegesetz Assistenzleistungen von dieser Einkommensabhängigkeit abzulösen und so Betroffenen den Weg aus der erzwungenen Armut und Bedürftigkeit zu ermöglichen.
Hoffnung durch das Bundesverfassungsgericht
Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz hatte im Fall einer 24-Stunden-Assistenz im Arbeitgebermodell einen Antrag auf kostendeckende Hilfe zur Pflege abgewiesen, das Bundesverfassungsgericht wies diese Ablehnung zurück, unter Bezug auf Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes. RA Oliver Tolmein, Vertreter in diesem Verfassungsbeschwerdeverfahren, begrüßte diese Entscheidung angesichts der finanziellen Notlage, in die die Zurückweisung des Landessozialgerichts den Beschwerdeführer gebracht hatte. Die Deckungslücke, mit der der Beschwerdeführer zu kämpfen hatte, beträgt immerhin über 5000€ monatlich. Diese Entscheidung bedeutet viel für Personen, die ihre Assistenz im Arbeitgebermodell organisieren, das heißt, die sich selbst um Einstellung und Bezahlung Ihrer Assistenzpersonen kümmern. Ist hier die finanzielle Deckung der Assistenzleistung nicht gegeben, reißt das die assistenznehmenden Arbeitgeber direkt in finanzielle Notlagen. Denn nicht nur die Assistenz muss aufrecht erhalten werden, auch das Arbeitsverhältnis mit den Assistenzpersonen. So droht schnell die Privatinsolvenz, da es Menschen mit Behinderung, die Assistenzleistungen in Anspruch nehmen, nicht gestattet ist, für solche Fälle Rücklagen zu bilden.
Eine positive Entscheidung kann hier Hoffnung geben, wie auch ein Kommentar auf der Webseite der Kanzlei Menschen und Rechte zeigt: Die Mutter einer behinderten Tochter mit 24-Stunden-Assistenz schöpft durch den Beschluss des BVerfG neue Hoffnung, denn sie ist auch finanziell durch das Gerichtsverfahren am Ende ihrer Kräfte. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann für Betroffene ein wichtiger Referenzpunkt für deren weitere Kämpfe sein, es kann sich darauf in ähnlichen Fällen berufen werden und erhöht die Chancen, dass Assistenzleistungen bewilligt werden. Eine Befragung im Rahmen eines Gutachtens der Humboldt Law Clinic Grund- und Menschenrechte in Kooperation mit ISL e.V. bestätigt dieses Bild: Menschen und deren Angehörige sind durch die Organisation und Finanzierung von Pflege, und eventuelle Mehrfachbelastung durch Krankheiten nicht in der Lage (und erst recht nicht finanziell) langwierige Gerichtsprozesse durchzustehen. Umso wichtiger ist hier die Arbeit von Verbänden oder Kanzleien, wie der Kanzlei Menschen und Rechte, hier Unterstützung zu leisten.
UNBRK vs. Bundesteilhabegesetz
In den am 13.5.2015 verabschiedeten abschließenden Bemerkungen zeigte sich der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung der UN besorgt über den hohen Grad der Institutionalisierung und den Mangel an alternativen Wohnformen. Dies ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass es Menschen mit Behinderung wie im Beispiel des Klägers erheblich erschwert wird, die unabhängige Wohnform finanziell zu organisieren. Für Menschen mit Behinderung, die nicht die Möglichkeit haben, Beschwerden bis vor das Verfassungsgericht zu bringen, bleibt als einzige Alternative oft nur das Wohnheim. Der Ausschuss empfiehlt ferner, § 13 Abs. 1 Satz 3 des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs dahingehend zu novellieren, dass das selbstbestimmte Leben in der Gemeinschaft mit erhöhten sozialen Assistenzleistungen ermöglicht wird, unabhängig von der Bedürftigkeit der Einzelpersonen oder deren Einkommen.
Statt die entsprechenden Reformen durchzuführen, hat die Regierung einen Gesetzesentwurf für das neue Bundesteilhabegesetz vorgelegt, dass die Behindertenverbände erschüttert und enttäuscht, besonders nach einem groß angelegten Beteiligungsprozess. 2017 steht ebenfalls eine Reform der Pflegestufen an. Anstelle der bisherigen drei Pflegestufen stehen dann fünf Pflegegrade, die verstärkt auch psychische und kognitive Faktoren miteinbeziehen. So sollen vor allem Demenzkranke gestärkt werden. Allerdings drohen anderen Gruppen geringere Leistungen, so werden beispielsweise laut einer aktuellen Studie des Bundesgesundheitsministeriums und der Krankenkassen ca. ein Drittel aller Heimbewohner_innen mit den Pflegestufen I und II weniger Geld bekommen, was für diese Personengruppe eine noch geringere Chance mit sich bringt, vom Heim in eine alternative Wohnform zu wechseln. Nach wie vor erhalten Personen, die als unselbstständiger eingestuft werden, die höheren Leistungen. So wird indirekt eine Art der Pflege finanziell unterstützt, die nicht an der Rehabilitation und der Förderung der Eigenständigkeit orientiert ist.
Angesichts dieser wenig zufriedenstellenden Reformen ist eine Entscheidung, wie die des Bundesverfassungsgerichts ein unverzichtbares Mittel, die Rechte von Menschen mit Behinderung zu stärken und die UN-Behindertenrechtskonvention durchzusetzen.