Felony Disenfranchisement und restriktive Wahlgesetze als Form struktureller Diskriminierung Schwarzer US-Bürger_innen

In zwei Tagen werden US-Bürger_innen darüber entscheiden, wer Barack Obama ablöst und die nächsten vier Jahre das Land als commander-in-chief regieren soll. Dies gilt zumindest für diejenigen US-Bürger_innen, die das Wahlrecht noch ihr eigen nennen können. So klar die in den USA anerkannte one person, one vote – Doktrin, nach der jede_r Bürger_in eine Stimme hat, auch formuliert sein mag, die gleichberechtigte Teilnahme an der Wahl ist auch im Jahre 2016 keine Selbstverständlichkeit. Insbesondere Diskriminierungseffekte zu Lasten Schwarzer Amerikaner_innen ist immer wieder Anlass für kontroverse Diskussionen.

Felony Disenfranchisement

Im April stellte Virginias Gouverneur Terry McAuliffe das Wahlrecht von mehr als 200.000 Menschen wieder her, die dieses auf Grund des sogenannten felony disenfranchisement verloren hatten. Der Begriff bezieht sich auf den Verlust des Wahlrechtes nach einer felony –Verurteilung. Charakteristisches Merkmal für felonies ist, dass eine Verurteilung mit mindestens einem Jahr Gefängnisstrafe einhergeht. Im deutschen Recht entspricht das am ehesten einer Verurteilung wegen eines Verbrechens im Sinne von § 12 Abs. 1 des Strafgesetzbuch. Die Auswirkungen sind gravierend: 6,1 Mio. US-Amerikaner_innen können wegen einer einmal begangenen Straftat nicht wählen. Sie haben eines ihrer grundlegenden Bürgerrechte verloren und werden es in den allermeisten Fällen nicht wieder erlangen.

Mittelbare Diskriminierung mit Geschichte

Besonders bedenklich sind die in diesem Zusammenhang auftretenden Diskriminierungseffekte, denn von der Regelung sind überproportional Afroamerikaner_innen betroffen. Eine_r von dreizehn Afroamerikaner_innen hat das Wahlrecht auf Grund von felony disenfranchisement verloren. Unter nicht Schwarzen Wähler_innen ist es eine*r von 56. Das Wahlrecht als Mittel zur Ausschließung Schwarzer Amerikaner_innen vom gesellschaftspolitischen Leben und Form der sozialen Kontrolle hat vor allem in den Südstaaten Tradition und wird zum Teil als moderne Form des „Jim Crow“ bezeichnet. Jim Crow Gesetze waren rassistische Gesetze auf Bundestaatenebene, die eine Trennung von Afroamerikaner_innen und weißen Amerikaner_innen in den Südstaaten nach Ende der Sklaverei vorsahen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ab etwa 1870 begannen einige Staaten das Konzept des felony disenfranchisement auszuweiten, um gezielt den fünfzehnten Zusatzartikel zur Verfassung, der ein Wahlrecht für Afroamerikaner_innen garantierte, zu umgehen. Dabei konzertierte man sich bewusst auf Straftaten, von denen man glaubte, sie würden vermehrt von Afroamerikaner_innen begangen werden.

Machtkampf in Virginia

Das Wahlrecht ist in den USA in gewisser Hinsicht zum Symbol für den Kampf gegen vorherrschende gesellschaftliche Machtstrukturen geworden. Insbesondere vor der Präsidentschaftswahl – so auch vor dieser – rückt das Wahlrecht und damit zusammenhängende Diskriminierungseffekte immer wieder in den Vordergrund des politischen Diskurses. Mit der kollektiven „Begnadigung“ Tausender in Virginia hat die diesjährige Debatte wohl ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Virginia ist ein sogenannter swing state. Als solcher hat dieser Staat das Potential das Ergebnis der Präsidentschaftswahl entscheidend zu beeinflussen. Entsprechend zügig wurde die Verfügung des Gouverneurs, ein Democrat, von politischen Gegner_innen angefochten. In Howell v. McAuliffe entschied Virginias höchstes Gericht, dass die Aufhebungen des Wahlrechtsverlustes verfassungswidrig waren. Bemängelt wurde die Tatsache, dass McAuliffe nicht individuell über jeden Fall entschieden hatte, sondern das Wahlrecht über eine Art Allgemeinverfügung wiederherstellte. Als Reaktion auf die Entscheidung kündigte McAuliffe an, die Wiederherstellung in jedem Fall individuell vorzunehmen. Ob dies in Virginia zu einer grundlegenden Verschiebung der Machtverhältnisse führen wird, bleibt abzuwarten.

US-Supreme Court: North Carolinas Wahlgesetze diskriminieren

Im Zeitalter von colorblindness sind felony disenfranchisement Regelungen nicht die einzige Hürde. Ein Gericht in North Carolina stellte kürzlich fest, dass North Carolinas Wahlgesetze Afroamerikaner_innen mit geradezu „chirurgischer Präzision“ diskriminieren. Im August bestätigte der Supreme Court die Entscheidung. Auf diese Weise konnte eines der restriktivsten Wahlgesetze seit Jim Crow noch rechtzeitig vor der Wahl verhindert werden. Inhaltlich sah das Gesetz die Erschwerung der Möglichkeit noch vor dem eigentlichen Wahltag (early voting) und außerhalb eines bestimmten Bezirks (out-of- precinct voting) wählen zu können vor. Beides Möglichkeiten von denen vor allem Schwarze Amerikaner_innen Gebrauch machen. Auch wurde eine bestimmte Art von Lichtbildausweis zur Identifikation bei der Wahl vorgeschrieben. Das Gericht in North Carolina sah hierin eine Form der indirekten Diskriminierung.

Nach der Wahl kein Thema mehr?

Die Diskriminierung Schwarzer Amerikaner_innen, die traditionell mit großer Mehrheit für die Democrats abstimmen, rückt regelmäßig pünktlich vor einer Präsidentschaftswahl in den Fokus. Das Thema verschwindet nach der Wahl gewöhnlich eben so schnell wieder, um vier Jahre später pünktlich zum Wahlkampf erneut auf die politische Agenda zu rücken. Anstatt konsequenter Bekämpfung systematischer Diskriminierung, lässt sich leider allzu häufig eine Instrumentalisierung des Problems ausmachen. Die Ausübung des hart erkämpften Wahlrechts Schwarzer Amerikaner_innen ist auch im Jahre 2016 noch signifikanten Hürden ausgesetzt. Donald Trump charakterisierte die Wahl im Laufe der letzten Monate immer wieder als manipuliert („rigged“) und zweifelte damit die Legitimität des Wahlergebnisses an. Es stellen sich tatsächlich Legitimationsfragen. Anders als von Trump behauptet aber weniger wegen diffuser Manipulationsvorwürfe, sondern auf Grund der Tatsache, dass enorme Teile der Bevölkerung unter Gebrauch rassistischer Kriterien effektiv von einer Wahlbeteiligung ausgeschlossen werden. Oder wie es William Barber von der NAACP (National Association for the Advancement of Colored People) in North Carolina treffend ausdrückte: „The ones claiming rigging are the ones actually doing the rigging through voter suppression“.

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