Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kilic, Mehmet Turgut, Ismail Yasar, Theodorus Boulgarides, Mehmet Kubasik, Halit Yozgat, Oury Jalloh, Burak Bektas.
Dies sind nur wenige derer, die in Deutschland Opfer rassistischer Straftaten wurden.
Seit 1990 zählt die Amadeu Antonio Stiftung 193 Todesopfer rechter Gewalt, wobei die Dunkelziffer weitaus höher liegen dürfte. Bis heute gibt es in keinem der Fälle eine zufriedenstellende Aufklärung seitens der Justiz und Strafverfolgungsbehörden. Dies liegt unter anderem daran, dass Rassismus als Tatmotiv nicht (früh) erkannt und benannt wird.
Genau dieses staatliche Defizit war Anlass und Ausgangspunkt der Podiumsdiskussion
,,Schlussstrich oder Neuanfang? – Was muss die Justiz aus dem NSU-Prozess lernen?’’ der Humboldt Law Clinic Grund- und Menschenrechte und der Refugee Law Clinic Berlin e.V. Eingeladen waren die Expert*innen Sanchita Basu, Anna Luczak, Ines Karl und Wolfgang Rosenbusch, welche ihre jeweiligen Perspektiven einbrachten.
Was hat die Veranstaltung gezeigt? Wo liegen strukturelle Probleme?
Die Veranstaltung zeigte deutlich, dass zwar strafrechtliche oder strafprozessuale Vorschriften zureichend sind, doch das größte Problem darin liegt, dass rassistische Tatmotive meist nicht erkannt und stark verschleiert werden. Dies betonte auch Prof. Eifert, Dekan der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, als er in seinem Eröffnungsbeitrag davon sprach, wie menschenverachtend Rassismus sei und wie gut er sich dennoch verstecken und entsprechend verbreiten könne. Es sei die Pflicht des Staates, Menschen vor rassistisch motivierten Straftaten zu schützen. Dies erfordere die effektive, umgehende und gründliche Untersuchung von Gewaltdelikten, bei denen der Verdacht eines diskriminierenden Motivs bestehe.
Die Realität sieht anders aus:
Die offensichtliche Zurückhaltung deutscher Staatsanwält*innen und Gerichte, Straftaten als rassistisch einzustufen, führt zu fehlender justizieller Aufklärung. Diese steht gleichzeitig im Widerspruch zu Verpflichtungen, die dem deutschen Staat durch internationale sowie europäische Menschenrechtsstandards hinsichtlich Diskriminierung und rassistisch motivierten Straftaten auferlegt werden.
Gerade im Hinblick auf den NSU-Prozess lässt sich überdies erkennen, dass aufgrund fehlender Rassismussensibilität kein angemessener Umgang mit den Angehörigen von Betroffenen gepflegt wurde. Sie wurden in doppelter Hinsicht belastet: Sie wurden sowohl Opfer einer rassistisch motivierten Straftat als auch der Strafverfolgungsbehörden. Diese stellten die Betroffenen unter Generalverdacht und erklärten sie sogar bisweilen selbst zu Täter*innen.
Auch Anna Luzcak, die Nebenklagevertreterin der Familie Kubasik im NSU-Prozess, bestätigte dies. Ihren Aussagen zufolge blieben viele Fragen der Angehörigen im Verfahren unbeantwortet:
Wieso mein Vater? Wie wurden die Mordopfer ausgewählt? Was wusste der Staat zu welchem Zeitpunkt? Hätten die Taten verhindert werden können?
Die Beantwortung von derlei über die Tat im engeren Sinne hinausgehenden Fragen ist laut Wolfgang Rosenbusch, Vorsitzender Richter am Landgericht Hannover, nicht Zweck eines Strafprozesses.
Auf diese Art bleibt jedoch der Wunsch der Angehörigen nach umfassenderer Aufklärung unerhört.
Wie kann die Justiz ihrer grund- und menschenrechtlichen Verpflichtung zur Aufklärung solcher Taten besser nachkommen? Welche konkreten Lösungsansätze gibt es?
Die Justiz sollte sich offen zeigen!
Bei Strafzumessungen sollten rassistische und fremdenfeindliche Beweggründe berücksichtigt und in Urteilen benannt werden. Dies bedeutet einerseits eine Genugtuung für die Betroffenen und andererseits sendet es ein klares Signal an die Täter*innen und die gesamte Gesellschaft, dass rassistische Gewalt nicht toleriert wird.
Damit es allerdings überhaupt erst zu einer Anerkennung von Rassismus in Urteilen kommen kann, ist es notwendig, Fortbildungsprogramme zu entwickeln, damit Richter*innen und Staatsanwält*innen auf den starken Anstieg fremdenfeindlich und hassmotivierter Straftaten angemessen reagieren können.
Ein weiterer wichtiger Schritt könnte z.B. die Gründung einer Anlaufstelle für Betroffene mutmaßlich rassistischer oder antisemitischer Taten sein, analog zur bereits existierenden LGBTI Anlaufstelle der Berliner Staatsanwaltschaft. Solch ein Projekt würde das Vertrauen von Betroffenen solcher Straftaten in die Justiz stärken.
Nach Sanchita Basu, Geschäftsführerin bei ReachOut, wäre ein ständiger Dialog zwischen Beratungsstellen/ NGOs, Anwält*innen und der Justiz essentiell, damit die Justiz ihrer grund- und menschenrechtlichen Verpflichtung zur Aufklärung solcher Taten besser nachkommen kann und eine dahingehende Sensibilität gestärkt werden kann.
Schlussstrich oder Neuanfang?
Einen Schlussstrich darf und wird es nicht geben!
Im Gegenteil stehen wir erst am Anfang einer Verständigung darüber, wo die – gerade auch institutionellen – Probleme genau liegen und wie sie anzugehen sind.