Hasskriminalität im Kontext von Flucht & Migration – Umgang mit rassistischer Gewalt am Beispiel der Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte und des NSU-Komplexes

Aus der Eingangsrede von Safiye Şahin zur Podiumsdiskussion am 17. Mai 2018: ,,Schlussstrich oder Neuanfang? – Was muss die Justiz aus dem NSU-Prozess lernen?’’ der Humboldt Law Clinic Grund- und Menschenrechte und der Refugee Law Clinic Berlin e.V.

Wenn wir uns die Anfänge des NSU anschauen, müssen wir eine historische Brücke in die 90er Jahre schlagen – zu jener Zeit, als sich der NSU und seine Unterstützer sozialisiert haben… eine Zeit, in der –  ähnlich wie heute – Menschen aus Krisen- und Kriegsgebieten, dem ehemaligen Jugoslawien damals, Zuflucht in Deutschland suchten.

Dieser Zuzug blieb jedoch nicht folgenlos. Es folgten Brandanschläge auf Geflüchtetenunterkünfte in Rostock-Lichtenhagen und Häuser von Menschen türkischer Herkunft in Solingen und Mölln, wo mehrere Menschen zu Tode kamen. Nach Zeugenaussagen plante die Kameradschaft Jena, der auch Mitglieder des NSU und seiner Unterstützer angehörten, damals auch Anschläge auf Asylunterkünfte in Jena.

Welche Konsequenzen folgten aus den Ausschreitungen?

Die Politik reagierte auf die aufgeheizte Stimmung Anfang der 90er Jahre schnell: Mit der faktischen Abschaffung des Rechts auf politisches Asyl im Grundgesetz.

Und heute?

Die Geschichte wiederholt sich: Wie in den 90er Jahren haben wir heute wieder eine Situation, in der Deutschland für über eine Million Menschen zum Zufluchtsort geworden ist. Damit einher ging wieder ein drastischer Anstieg von Angriffen auf Geflüchtetenunterkünfte. Wenn wir die BKA-Statistiken von 2014 und 2016 vergleichen, sehen wir, dass sich die Taten verfünffacht haben: Während 2014 noch 199 Angriffe zu verzeichnen waren, lag die Zahl 2016 bei knapp 1000. Die Dunkelziffer dürfte weit höher ausfallen, weil viele – aus Angst ihren Aufenthaltsstatus oder das laufende Asylverfahren zu gefährden – keine Anzeige erstatten. Auch bestätigen die Zahlen unabhängiger Stellen, dass die offiziellen Angaben der Ermittlungsbehörden die tatsächliche Dimension rassistischer Gewalt gegen Asylsuchende nicht angemessen wiedergeben.

Betreffend die Strafverfolgung dieser Taten sind die Ergebnisse ebenfalls ernüchternd: Laut Recherchen der Amadeu Antonio Stiftung wurde nur jede vierte Gewalttat gegen Asylsuchende aus den Jahren 2013 und 2014 von den Strafverfolgungsbehörden aufgeklärt. In nur zwei Prozent der Fälle erhielten die ermittelten Täter dann auch wirklich eine Strafe. Eine Ahndung scheitert vielfach auch daran, dass Opfer und Zeugen in der Zwischenzeit abgeschoben wurden. Genau das ermutigt aber die rechten Gewalttäter, weil sie sich vor Verfolgung sicher fühlen können und damit die Hemmschwelle für solche Taten gering bleibt. Die Erfüllung humanitärer Pflichten aus internationalen Abkommen hört aber nicht mit der Aufnahme von Schutzsuchenden auf, sondern beinhaltet auch die grund- und menschenrechtliche Verpflichtung zum innerstaatlichen Schutz körperlicher Unversehrtheit. Damit der demokratische Rechtsstaat dieser Aufgabe nachkommen kann, wäre ein richtiges Signal:

EIN BLEIBERECHT FÜR DIE OPFER RECHTER GEWALT

Brandenburg, Berlin und Thüringen haben hier zwar schon einen Anfang gemacht, wichtig wären aber Nachbesserungen u.a. dahingehend,  das sogenannte „Bleiberecht“ nicht  auf sechs Monate zu beschränken, weil Ermittlungs- und Strafverfahren in der Regel längere Zeit in Anspruch nehmen.

Wenn wir uns die Ermittlungen im NSU-Komplex anschauen, sehen wir auch hier strukturelle Probleme:

Bis zur Selbstenttarnung 2011 wurde den Taten seitens der Sicherheitsbehörden kein rassistisches Motiv zugeschrieben, vielmehr wurde immer nur einseitig ermittelt, indem die Opfer zu Schuldigen erklärt wurden, die in Mafiageschäfte verwickelt seien – vielleicht liege auch ein Fall von Blutrache oder Ehrenmord vor. Dies alles, obwohl mehrere Opferangehörige im Rahmen der Ermittlungen den Verdacht äußerten, dass die Taten rassistisch motiviert sein könnten. An fast allen Tatorten gab es außerdem Zeugen, die die mutmaßlichen Täter vom Äußeren her als eher „deutsch/europäisch“- aussehend beschrieben. Diese Hinweise wurden übergangen und den Betroffenen mitunter sogar ausgeredet. Die Hinterbliebenen gerieten somit in das Fadenkreuz einer jahrelang völlig falsch orientierten Strafverfolgung, der auch Medien und die Mehrheitsgesellschaft folgten, sodass dem Mord der Liebsten der Rufmord der Familien folgte.

Wenn Geflüchtetenheime brennen oder eine Kugel die Stirn eines Menschen durchbohrt, dann haben wir die höchste Stufe des Rassismus erreicht. Doch wann wird dem Hass so viel Selbstbewusstsein gegeben?

Gerade das Schweigen und die Ignoranz gegenüber dem Rechtsextremismus gaben dem NSU Mut. Auch nach dem Auffliegen war der erforderliche Aufschrei in der Gesellschaft nicht da – es gab leider keine wirkliche Identifizierung mit den Opfern.

Muss man denn betroffen sein, um zu verstehen?

Der überwiegende Teil der Mehrheitsgesellschaft fühlt sich vom NSU-Terror schlicht nicht betroffen, wissen sie doch, dass sie nicht Zielscheibe von rassistischen Übergriffen werden können. Nachdem es aber mit der AfD als drittstärkster Kraft im Parlament zu einer tektonischen Verschiebung der politischen Rechten gekommen ist, wird es immer wichtiger, den aktuellen Entwicklungen Widerstand zu leisten, indem keine Trennlinien zwischen „ihr und wir“ geschaffen werden, sondern umgekehrt der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt wird, auf der Grundlage der gemeinsamen Werteordnung unseres Grundgesetzes, dem sowohl die neu Zugezogenen als auch die Einheimischen verpflichtet sind – und das muss sich nicht nur die Politik auf die Fahne schreiben, sondern das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir uns alle gemeinsam als Zivilgesellschaft stellen müssen.

Denn: Die Demokratie ist erst stark mit ihren Minderheiten und nicht ohne sie.

In eigener Sache…
Auf dem rechten Auge blind – die Justiz erkennt Rassismus nicht