Das Erfolgshonorar als Booster für den Grundrechtsschutz? – Effektive Durchsetzung von Antidiskriminierungsrechten

Nach einer Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) hat fast jede dritte Person ab 14 Jahren in Deutschland innerhalb der letzten 24 Monate eine Diskriminierung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) erlitten. Doch nur in einem kleinen Teil der Fälle werden die Rechte aus dem AGG tatsächlich durchgesetzt. Denn die Rechtsdurchsetzung nach einer Diskriminierung bedeutet für die betroffene Person ein hohes Kostenrisiko. Es darf aber kein Luxus sein, sich für die eigenen Rechte einzusetzen. Deshalb braucht es dringend innovative Ansätze. Nach dem Vorbild bisheriger Legal Tech Dienstleistungen könnte der Zugang zum Recht auch im Bereich des Antidiskriminierungsrechts durch die Vereinbarung von Erfolgshonoraren verbessert werden.

Erfolgshonorar

Bei einem Erfolgshonorar richtet sich die Höhe des Honorars ausschließlich nach der Höhe der durchgesetzten Entschädigung. Lange Zeit war die Vereinbarung eines Erfolgshonorars für Rechtsanwält*innen wegen der strengen Regeln des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) grundsätzlich nicht möglich. Das hat sich aber durch das Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt geändert. Seit dem 01.10.2021 ist es dem Rechtsbeistand erlaubt, für Geldforderungen bis zu 2.000 Euro ein Erfolgshonorar im Sinne von § 49b Abs. 2 BRAO zu vereinbaren. 

Zuvor machten insbesondere Legal-Tech-Unternehmen von der Möglichkeit der Vereinbarung von Erfolgshonoraren Gebrauch. Diese Art der Rechtsdienstleistung, die mit digitalen Formaten arbeitet, wird verwendet, um etwa Forderungen aus Fahrgastrechten geltend zu machen, Mietminderungen durchzusetzen oder Hartz-4-Bescheide zu überprüfen. Es ist ihnen im Rahmen der Forderungsdurchsetzung erlaubt, rechtliche Schritte einzuleiten und notfalls auch Klage zu erheben. Im Fall der Niederlage tragen die Betroffenen aufgrund der Kostenübernahme der Legal Tech Dienstleistungen weder die Gerichtskosten noch müssen sie Rechtsberatungsgebühren zahlen. Es gibt damit zu keinem Zeitpunkt ein Kostenrisiko für Betroffene. 

Während sich die Rechtsdurchsetzungslücke in den von Legal Tech Dienstleistungen abgedeckten Bereichen im Verbraucherschutz langsam schließt, bleibt sie bei Verstößen gegen das AGG weiterhin unverändert groß, obwohl dem Großteil der möglichen AGG-Verfahren nunmehr der Weg über die Vereinbarung eines Erfolgshonorars eröffnet ist.

Entschädigungsansprüche nach dem AGG  

In Deutschland sind Rechtsansprüche zwischen Privaten nach einer erlittenen Diskriminierung im AGG verankert. Durch das Gesetz sollen Benachteiligungen aus Gründen der rassistischen Diskriminierung, der zugeschriebenen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verhindert oder beseitigt werden, § 1 AGG. Anwendung findet das AGG nach seinem § 19 grundsätzlich auf die Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse im Bereich Wohnen und Arbeiten sowie bei Alltagsgeschäften, wie etwa Restaurant-, Diskothek- und Friseurbesuchen. Der in § 21 AGG garantierte Entschädigungsanspruch stellt in Absatz 2 die besondere Schwere einer verbotenen Benachteiligung fest: Trotz fehlendem Vermögensschaden lässt sich die Ungleichbehandlung in Geld messen und ist entsprechend zu entschädigen. Das Gleiche stellt § 15 Abs. 2 AGG auch für Beschäftigungsverhältnisse klar. 

Erhebliche Lücken in der Rechtsdurchsetzung

Obwohl also die Gesetzgebung bereits klargestellt hat, dass Diskriminierungen angemessen zu entschädigen sind, bleibt die Anzahl der tatsächlich gezahlten Entschädigungen weit hinter der Anzahl der Diskriminierungsfälle zurück. Hohe Gerichts- und Rechtsdienstleistungskosten, die schwer einzuschätzenden Erfolgsaussichten, erhebliche Beweisprobleme und eine drohende Reviktimisierung halten viele Betroffene von der Mobilisierung ihrer Rechte ab.

Natürlich sind Verfahren nach dem AGG insbesondere aufgrund von Beweisschwierigkeiten aufwändiger als die Geltendmachung von Fahrgastrechten oder die Überprüfung von Bußgeldbescheiden. Die Frage, ob die Vereinbarung von Erfolgshonoraren im Bereich der Antidiskriminierungsrechte funktionieren kann, hängt daher unter anderem von der Höhe der Entschädigungsforderungen und den Möglichkeiten ab, Sachverhalte algorithmisch zu erfassen und rechtlich zu bearbeiten.

Höhe der Entschädigungsforderungen ist nicht endgültig festgelegt 

Die Gesetzgebung hat es den Gerichten überlassen, die Höhe einer angemessenen Entschädigung zu bestimmen. Lediglich für den Fall, dass die benachteiligte Person auch ohne Diskriminierung nicht eingestellt worden wäre, ist nach § 15 Abs. 3 AGG die Entschädigungsforderung bei drei entgangenen Monatsgehältern zu kappen. 

Am 28.05.2020 stellte das BAG in einem Urteil einen Regelwert für eine verbotene Benachteiligung bei der Einstellungsentscheidung fest. Demnach soll in solchen Fällen ein Betrag in Höhe von 1,5 Bruttomonatsentgelten als angemessen gelten, sofern dem*der Arbeitgebenden kein höherer Grad an Verschulden zur Last zu legen ist. Ob sich dieser Wert bei den Gerichten etabliert, bleibt abzuwarten.

Da es noch immer selten zu Klagen nach dem AGG kommt, fehlt es an einer ausdifferenzierten Rechtsprechung. Besonders bei Ansprüchen aus verbotener Benachteiligung nach § 21 AGG bei Alltagsgeschäften und im Wohnungsmarkt variiert die Höhe der Entschädigungen stark.

Von 30.000 Euro zu 1.000 Euro zwischen 2014 und 2017

2014 noch musste ein Vermieter zwei langjährig bei ihm mietende Personen in Berlin mit insgesamt 30.000 Euro entschädigen, nachdem er ihnen anlasslos zu verstehen gegeben hatte, dass sie aufgrund ihrer Herkunft nicht in sein Wohnkonzept passen würden. Aber auch schon vor Inkrafttreten des AGG am 18. August 2006 erhielten diskriminierte Personen teilweise hohe Entschädigungen (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 05.06.2014: 25.000,00 €; LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 26.11.2008: 20.000,00 €; Urt. v. 31.01.2008: 12.000,00 €). 

Diese Praxis hat sich in den letzten Jahren allerdings grundlegend geändert: Entschädigungsansprüche fallen wieder deutlich geringer aus. So hat beispielsweise 2016 ein betroffenes Paar 2.500 Euro erhalten, nachdem es das Gericht als bewiesen ansah, dass sie eine Wohnung aufgrund rassistischer Diskriminierung nicht bekommen haben. 2017 musste ein Clubbetreiber den Kläger mit 1.000 Euro entschädigen, nachdem er ihm den Clubbesuch aufgrund seiner ethnischen Herkunft verweigert hat. Im selben Jahr hat eine Person 2.500 Euro zugesprochen bekommen, nachdem sie wegen ihrer Herkunft nicht in ein Fitnessstudio aufgenommen wurde.

Ob sich also die Vereinbarung eines Erfolgshonorars hier eignet, die Rechtsdurchsetzungsprobleme zu überwinden, ist schwer zu sagen, wenn die Höhe der Entschädigungsansprüche unklar bleibt. Doch Entschädigungsforderungen können im Einzelfall auch deutlich höher ausfallen. So hat das europäische Parlament schon in der EU-Richtlinie 2004/113/EG im Jahr 2004 gefordert: „Die Mitgliedstaaten sollten für die Verletzung der aus dieser Richtline erwachsenden Verpflichtungen wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen vorsehen.“ Zwar hat das Abgeordnetenhaus Berlin in seiner Vorlage zur Beschlussfassung des Landesantidiskriminierungsgesetzes Berlin (LADG) auf die bisher in AGG-Verfahren zugesprochene Höhe von 300 bis 1000 Euro verwiesen. Es hat aber auch bestätigt, dass Entschädigungsforderungen bei besonders schwerwiegenden Diskriminierungen auch deutlich über 1.000 Euro hinaus gehen können

Bei dargelegter besonderer Schwere können diese Entschädigungsforderungen daher im Einzelfall erheblich über den Forderungen liegen, die momentan von Legal Tech Dienstleistungen durchgesetzt werden. Dadurch können insbesondere die Anforderungen an die Erfolgsaussichten und den Rechtsdurchsetzungsaufwand des konkreten Diskriminierungsfalles entsprechend angepasst werden.  Die Vereinbarung eines Erfolgshonorars für die Durchsetzung von Antidiskriminierungsrechten hat also ein nicht zu unterschätzendes Potenzial. 

Erfolgshonorar – ein wichtiges Instrument in der Durchsetzung von Antidiskriminierungsrechten

Zwar gibt es noch keine Legal Tech Angebote, die bei Verstößen gegen das AGG rechtliche Schritte einleiten. Allerdings entsteht mit dem ersten Chatbot gegen Diskriminierung – dem meta-bot – eine digitale Beratungsstelle, die Betroffenen mit einem unkomplizierten und anonymen Frage-Antwort-System konkrete Handlungsmöglichkeiten präsentiert. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass der weiterführende rechtliche Umgang mit Diskriminierung einige Schwierigkeiten mit sich bringt. Für eine umfangreiche Sachverhaltserfassung und rechtliche Bearbeitung benötigt die Programmierung der Bots und Algorithmen eine strenge Kontrolle, um eine von ihnen ausgehende Diskriminierung zu verhindern. Bis digitale Plattformen diese Anforderungen erfüllen können, müssen Betroffene, die ihre Rechte gerichtlich durchsetzen wollen, weiterhin den traditionellen Weg der Rechtsberatung gehen. 

Zeitnahe Lockerung der Regelungen des Erfolgshonorars im Hinblick auf den Grundrechtsschutz gefordert 

Gerade im Bereich des Grundrechtsschutzes und bei der Durchsetzung von Antidiskriminierungsrechten ist das Kostenrisiko eine bedeutende zusätzliche Hemmschwelle für Betroffene. Das RVG und die BRAO müssen daher hinsichtlich des Erfolgshonorars weiter angepasst werden, auch für Streitwerte von über 2.000 Euro.

Je höher dabei die Grenze der Forderungshöhe liegt, die sich über die Vereinbarung eines Erfolgshonorars durchsetzen lässt, desto eher würde sich die Durchsetzung auch aus Sicht der Rechtsdienstleistenden finanziell lohnen. Einer erfolgreichen Entwicklung entsprechender Modelle für eine effektive Durchsetzung von Antidiskriminierungsrechten wäre damit der Weg geebnet. 

Die Mitglieder der Koalitionsfraktionen sind daher an ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag zu erinnern, die Regelungen bezüglich der Erfolgshonorare weiter zu lockern. Hierdurch könnte der Rechtsdurchsetzung und damit dem Zugang zum Recht neue Kraft verliehen werden.

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