Der Fall Lafarge: transnationale Unternehmen in Kriegsgebieten

Nachdem im Juni 2017 die Ermittlungen gegen Lafarge (nunmehr Lafarge-Holcim) – global führend in der Baustoffproduktion – auf Betreiben des ECCHR und Sherpa in Frankreich aufgenommen wurden, gab es im Dezember 2017 erste Festnahmen. Ehemalige Mitglieder der Führungsriege des Unternehmens mussten sich erstmals vor Gericht den Fragen der Richter_innen stellen. Im Raum stehen Vorwürfe der Terrorismusfinanzierung, Zwangsarbeit unter menschenunwürdigen Bedingungen, Lebensgefährdung von Mitarbeiter_innen und die Beihilfe zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Europäische Konzerne und ihre Rolle im Syrien-Konflikt

Dieses Verfahren könnte einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, den Blick auf bisher medial unterrepräsentierte Akteur_innen im vielschichtigen Syrien-Konflikt zu lenken. Mittlerweile lässt sich zwar auf eine bemerkenswerte Zahl an Verfahren vor nationalen Gerichten blicken, bei denen sich Einzeltäter_innen verantworten müssen, doch darf dabei nicht übersehen werden, dass auch bedeutende europäische Konzerne auf höchst fragliche Weise in das Geschehen in Syrien involviert sind.

Der Sachverhalt

In einer Region, die 2013 durch den IS besetzt wurde, betrieb eine Tochterfirma des Unternehmens, Lafarge Cement Syria, seit 2010 eine von weltweit 149 Zementfabriken. Lafarge unterhielt dort Kooperationen mit politisch relevanten Parteien verschiedenster Lager in der Gegend, um die Sicherheit des Betriebs zu garantieren. Schon innerhalb eines von Baker&McKenzie durchgeführten Internal Review letzten Jahres gelangte die Information über eine Summe von ca. 13 Millionen Euro an die Öffentlichkeit, die an verschiedene bewaffnete Gruppierungen in der Region geflossen sein soll. Nach Besetzung der Region durch den IS sollen auch Gelder in die Hände der Terrororganisation geflossen sein. Das von Sherpa vorgelegte Beweismaterial weist auf den Kauf von Rohstoffen wie Öl aus Händen des IS, den Verkauf von Zement an den IS und den Erwerb von Pässen, um Straßenblockaden passieren zu können, hin. So ist u.a. von professionell angefertigten und mit Stempeln des IS versehenen Papieren und weiteren Mails mit Konversationen, die diese Verknüpfungen belegen, die Rede. Der Vorwurf diesbezüglich lautet Terrorismusfinanzierung.

Als die Lage in der Region zu eskalieren drohte, konnten die kurdischen Gruppierungen vor Ort keine Sicherheit mehr garantieren und hielten Lafarge deshalb an, das Land zu verlassen. Daraufhin sollen europäische Mitarbeiter_innen der Fabrik evakuiert worden sein, während man das syrische Personal sich selbst überließ. Der Betrieb wurde nicht eingestellt. Einigen dieser Angestellten soll mit Gehaltskürzungen bei Fernbleiben gedroht worden sein, während andere auf dem Weg zur Arbeit vom IS bedroht, angegriffen und teilweise sogar entführt wurden. Lafarge soll sich nicht darum bemüht haben, Freilassungen zu erwirken oder Entführungsopfer nach ihrer Freilassung finanziell zu entschädigen. Daher der Vorwurf der Arbeit unter unwürdigen Bedingen und die Beihilfe an Entführungen, also Kriegsverbrechen. Der IS stürmte 2014 die Fabrik, wobei Zeugen nur dank eigens entwickelter Fluchtpläne entkommen konnten. Einige wenige, die nach Europa fliehen konnten, wandten sich an Sherpa und erstatteten gemeinsam Anzeige. Weitere Details haben ECCHR und Sherpa zusammengetragen.

Juristische Schritte

Frankreich könnte erstmals einen multinationalen Konzern wegen der Finanzierung terroristischer Aktivitäten (Art. 421-2-2 des französischen Strafgesetzbuchs), der Beihilfe zu Kriegsverbrechen (461-2s) und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (212-1s) vor Gericht zur Verantwortung ziehen. Das französische Recht erlaubt mithilfe des sog. Universalitätsprinzips eine Strafverfolgung von Völkerrechtsverbrechen vor nationalen Gerichten. Und auch die Möglichkeit, eine juristische Person strafrechtlich zu erfassen besteht (121-2). Damit könnte das Strafrecht einen wesentlichen Beitrag leisten, das Handeln bzw. Unterlassen des Unternehmensvorstandes in Europa mit den begangenen Kriegsverbrechen zu verknüpfen und das Profitstreben, das selbst vor Krisenherden offensichtlich nicht zurückschreckt, zu verurteilen.

Ein erster Schritt war der Beginn der Ermittlungen des Tribunal de Grande Instance in Paris im Juni 2017. Geprüft wurden allerdings nur Vorwürfe der Terrorismusfinanzierung, der Lebensgefährdung von Angestellten, der Zwangsarbeit unter unwürdigen Arbeitsbedingungen und der Ausbeutung, keines der Völkerrechtsverbrechen findet Erwähnung. Ein Weiterer sollte dann im Dezember 2017 mit dem Beginn des Ermittlungsverfahrens folgen.

Hinzu kommen Verstöße gegen EU-Sanktionen durch den Kauf von Erdöl in Syrien. Die entsprechende Klage wurde vom französischen Wirtschaftministerium bei der Staatsanwaltschaft vorgelegt und Untersuchungen im Oktober 2016 eingeleitet.

Möglichkeiten deutscher Handhabung

Sollte es in Frankreich zu einer Verurteilung kommen, kann und sollte der Blick auch auf Firmen in Deutschland fallen. Wenn Möglichkeiten bestehen, Vorarbeit an nationalen Gerichten zu leisten, sollten diese entsprechend ausgeschöpft werden. Bis ein entsprechendes Tribunal oder im Idealfall ordentliche syrische Gerichte sich der vorbereiteten Fälle annehmen können, könnten Jahre vergehen. Nur mit einem eng gewebten Netz aus Expertise verschiedenster Fachrichtungen können alle Aspekte des Konflikts erfasst werden.

Ein Fundament ist auch hier gegeben. In Deutschland gilt das Völkerstrafgesetzbuch (VStGB). Die Kernverbrechen – Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Völkermord können an deutschen Gerichten verurteilt werden. Vorschriften des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches (StGB), wie die Beihilfe, finden nach §3 VStGB Anwendung. Sollten diese nicht nachweisbar sein, bietet sich auch in Deutschland ein Rückgriff auf Terrorismustatbestände an. So ist die Finanzierung einer terroristischen Vereinigung gem. § 129a StGB unter Strafe gestellt.

Wieso eigentlich kein Völkerstrafrecht?

Interessant ist jedoch die explizite Weigerung des französischen Gerichts, die Vorwürfe beider NGOs, die ausdrücklich die Beihilfe zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit betonen, einzubeziehen. Die Verbrechen, die der IS in der Zeit der Kooperation mit Lafarge beging, seien laut Sherpa klar als eben genannte zu kategorisieren und zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen. Mit der Zahlung erheblicher Summen an den IS habe man Beihilfe an deren Untaten geleistet. Ein solcher Vorwurf wiegt um einiges schwerer als diejenigen, welche man ehemaligen CEOs des Unternehmens nun macht.

Das Völkerstrafrecht lebt unter anderem davon, juristische Meilensteine für die Zukunft zu setzen, die der Abschreckung dienen und zukünftige Straftaten verhindern sollen. Eine juristische Grundlage gäbe es (wie weiter oben aufgezeigt) und würde ein wesentlich klareres Zeichen setzen. Im Gegensatz dazu sind die nationalen Antiterror-Gesetze in erster Linie entworfen worden, um bestehende Strukturen aufzudecken und zu zerschlagen. Um dieses Ziel zu erreichen, werden allzu oft menschenrechtliche Bedenken über den Haufen geworfen, weshalb die Verwendung ausgerechnet dieser Gesetze zur Durchsetzung von Menschenrechten durchaus kritisch zu betrachten ist. Hier stehen sich zwei Instrumente mit unterschiedlichster Zielrichtung gegenüber, die nun einem gemeinsamen Zweck dienen sollen.

In der Praxis geschieht dieser Rückgriff auf Terrorismusfinanzierung laut Human Rights Watch leider häufig, da die Beweislage meist besser liegt und geringere Ansprüche als an die Erfüllung der Kernverbrechenstatbestände gestellt werden. Die öffentliche Wirkung der Verurteilung wegen Beihilfe zu Völkerrechtsverbrechen geht dabei leider verloren. Das Ausmaß der eigentlich verübten gravierenden Menschenrechtsverletzungen wird mit Verurteilungen wegen Terrorismusfinanzierung bagatellisiert, wenn aus der Not heraus einfaches Strafrecht oder zivilrechtliche Sanktionsmechanismen herangezogen werden. Dieselbe Problematik stellt sich auch im französischen Verfahren. Der Weg über die Terrorismusfinanzierung bietet auch hier den unkomplizierteren Kompromiss, droht damit aber, seine mögliche Signalwirkung einzubüßen. Bei Sherpa ist man sich bewusst, das menschenrechtlich höchst fragwürdige Instrument der Antiterror-Gesetze verwendet zu haben, um vor allem erstmal „einen Fuß in die Tür zu bekommen“. Man setze aber in den nächsten Verfahrensschritten alles daran, die Menschenrechtsverletzungen in den Vordergrund zu rücken.

Konsequenzen

Selbst wenn dies nicht gelingen sollte, hat der Lafarge-Fall schon jetzt zu neuen Entwicklungen in der französischen Rechtsprechung geführt. So ist dort ein Gesetz in Kraft getreten, mit dem die Verpflichtung zur Beachtung der Menschenrechte für Unternehmen untermauert werden soll: Firmen müssen Sorgfaltspflichtpläne entwerfen und deren Einhaltung gewährleisten. Bei Missachtungen entlang ihrer Produktionskette haften sie ansonsten den davon Betroffenen. Außerdem gab es zuletzt international neue Bemühungen, Resolution 26/9 im UN Menschenrechtsrat voranzutreiben, die eine solche Unternehmenshaftung auch international etablieren und sich an dem französischen Gesetz orientieren könnte.

Und immerhin: Schon vor Beginn des Ermittlungsverfahrens hat Lafarge selbst Anfang letzten Jahres erste Konsequenzen gezogen und infolge des oben erwähnten Internal Reviews seinen CEO Eric Olsen zum Rücktritt bewegt. Olsen betonte jedoch, nichts von den Tätigkeiten gewusst zu haben und weist jegliche Schuld von sich. Die Firma selbst geht sogar so weit, zu behaupten, die Entscheidung, eine Fabrik in einem Kriegsgebiet nach einem „Can-Do-Approach“ weiter zu betreiben, hätte die Leitung vor Ort dazu bewegt, die Gesamtsituation falsch einzuschätzen. Ob dies als Eingeständnis eigener Schuld oder Schuldzuweisung an die Leitung der syrischen Fabrik, die höchstwahrscheinlich in Erfüllung von Anweisungen handelte, zu verstehen ist, bleibt unklar.

Bruno Lafont ist einen Monat später von seiner Position als Konzernchef von Lafarge zwischen 2007 und 2015 zurückgetreten und muss sich aktuell ebenfalls vor Gericht verantworten. Zusammen mit zwei Managern der syrischen Fabrik und dem für die Sicherheit vor Ort Verantwortlichen, Jean-Claude Veillard, befand sich damit zumindest ein Teil der ehemaligen Führungsriege des Unternehmens zeitweise in Haft, wurde jedoch gegen Kaution wieder entlassen.

Das Unternehmen selbst muss schon jetzt einen erheblichen Imageschaden hinnehmen und verspricht in Zukunft, besser Rücksicht auf landesspezifische Risiken zu nehmen. Wie gut man sich daran in Zukunft erinnern wird, wenn es gilt, eine für 680 Millionen errichtete Anlage zum Wohl der Mitarbeiter_innen zu schließen, bleibt abzuwarten. Um sich in Zukunft nicht auf solche Versprechen verlassen zu müssen, sind bindende Verpflichtungen und daran gekoppelte, funktionierende Sanktionsmechanismen auf nationaler und internationaler Ebene dringend notwendig.

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