Was genau ist eigentlich Diskriminierung? Wie kann ich mich zur Wehr setzen, wenn ich diskriminiert werde und wo wende ich mich hin? Und wie verhalte ich mich, wenn ich Diskriminierung mitbekomme? Ein Überblick.
Worüber reden wir eigentlich?
Sexistische Übergriffe auf einer Party, am Bahnhof oder am Arbeitsplatz; rassistisch motivierte Anfeindungen und Gewaltakte gegen People of Color (PoC), Racial Profiling durch die Polizei im Zug; offene Trans*feindlichkeit und (auch rechtlich) unmittelbarer und ungeschminkter Cissexismus, beispielsweise bei binären Toiletten oder der Voraussetzung zweier psychologischer Gutachten für die Änderung des rechtlichen Geschlechtseintrags im Personenstandsregister; heterosexistische Beleidigungen und Kommentare auf Schulhöfen oder in der Kneipe; Barrieren für Menschen mit Beeinträchtigungen zu öffentlichen und privaten Räumen, die nicht mit dem Rollstuhl zugänglich sind oder defizitäre Zugänge zu Information, die weder in einfacher Sprache noch Brailleschrift oder Tonaufnahme vorhanden ist …. All das sind Einzelfälle, denn in Deutschland sind wir alle gleich, so steht es auch im Grundgesetz. Richtig?
Nein, weit gefehlt: Laut der Studie „Diskriminierung in Deutschland“ der Antidiskriminierungsstelle des Bundes von 2016, hat jede dritte Person aufgrund der zugeschriebenen Merkmale Alter, Geschlecht, Religion, aufgrund vermeintlicher sexueller Orientierung oder Beeinträchtigung oder aufgrund einer rassistischen Zuschreibung, Diskriminierung erfahren. Schon diese, viele Arten von Diskriminierung nicht erfassende Erhebung, zeigt deutlich, wie normalisiert soziale Hierarchien sind, die auf zugeschriebenen Merkmalen basieren und ganze Personengruppen facettenreich benachteiligen.
Was genau ist Diskriminierung?
Nicht schon jede benachteiligende Handlung oder jede Beleidigung ist eine Diskriminierung, denn Diskriminierung ist immer in eine hierarchisch aufgebaute soziale Struktur gebettet. Der Soziologe Albert Scherr fasst Diskriminierung abstrakt als „die Verwendung von vermeintlich eindeutigen und trennscharfen Unterscheidungen zur Herstellung, Begründung und Rechtfertigung von Ungleichbehandlung mit der Folge gesellschaftlicher Benachteiligungen.“ Dies sei damit verknüpft, „dass die faktische Benachteiligung der von Diskriminierung betroffenen Personen entsprechend nicht als ungerecht bewertet, sondern als unvermeidbares Ergebnis ihrer Andersartigkeit betrachtet wird“. Nach deutschem Recht, etwa dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) oder Art. 3 Grundgesetz (GG) ist Diskriminierung eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung aufgrund der oben genannten Kategorien.
Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Benachteiligung aufgrund der abschließend aufgeführten Merkmale dann rechtskonform ist, wenn sie einen triftigen Grund hat und verhältnismäßig ist. Einige Menschenrechtskataloge, beispielsweise Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention, rahmen Diskriminierung ähnlich, öffnen aber den Merkmals-Katalog um „einen anderen Status“ und sind somit offen für weitere Diskriminierungs-Gründe. Auch sind mittlerweile Sachverhalte, in welchen eine Diskriminierung aufgrund des spezifischen Zusammenspiels mehrerer Merkmale diskriminierend wirken, mit der Rechtsfigur der mehrdimensionalen Diskriminierung erfasst. Denn soziale Ungleichheit ist nicht eindimensional: So hat eine lesbische Frau* eine andere Lebenssituation als eine Frau* mit einer Beeinträchtigung des Sehvermögens oder als eine Trans*frau. Je mehr es gelingt, die spezifischen Lebenssituationen der betroffenen Personen anzuerkennen desto besser – doch tun sich Gerichte damit teilweise noch schwer.
Eine zweite interessante Rechtsfigur ist die sogenannte mittelbare Diskriminierung: Hier sieht eine Vorschrift oder Maßnahme neutral aus, benachteiligt aber implizit. Ein Beispiel sind verpflichtende Schulungen am Samstag. Sieht neutral aus und nennt auch keine Gruppe unmittelbar, ist aber für gläubige Jüd*innen ein Problem, denn sie dürfen am Sabbat nicht arbeiten. Diskriminiert wird diese Personengruppe also indirekt, betroffen sind sie allerdings genauso wie von unmittelbarer Diskriminierung. Aus anthropologischer Perspektive lässt sich Diskriminierung vielmehr als eine bestimmte Erfahrung der Herabwertung oder des Ausschlusses von gleichberechtigter gesellschaftlicher Partizipation fassen.
Wie setze ich mich zur Wehr und wo kann ich mich hinwenden?
Erfährt eine Person Diskriminierung, gibt es verschiedene Wege damit umzugehen. Möglich und meines Erachtens sinnvoll ist, sich zunächst an private Vereine zu wenden, die Anti-Diskriminierungs-Beratung anbieten, je nach Örtlichkeit und Art der erfahrenen Benachteiligung, beispielsweise das ADB Sachsen in Leipzig, ADA Bremen oder Basis & Woge in Hamburg. Meist kann schon bei diesen Stellen rechtliche Beratung eingeholt werden, doch oftmals ist das Problem zweitrangig: Zunächst muss die diskriminierte Person mit der ihr widerfahrenen Ungerechtigkeit umgehen, beispielsweise mithilfe psychologischer Betreuung oder dem Erlernen von Empowerment-Strategien, wie es ReachOut Berlin anbietet. Auch in öffentlichen Institutionen gibt es Stellen, wie kommunale Beauftragte. An Universitäten können sich Mitglieder, abhängig von der Art der widerfahrenen Diskriminierung an Beauftragte der Universität wenden. Allerdings besteht hier manchmal die Schwierigkeit, dass es sich z.B. um Wahlämter handelt und somit häufig die finanziellen Ressourcen fehlen.
Auch gegen Diskriminierung im Zivilrechtsverkehr können Betroffene sich wehren. So ist es möglich sich betriebsintern an die Beschwerdestelle nach AGG zu wenden. In der Praxis wird diese aber nur selten tatsächlich eingerichtet und auch an deren Unabhängigkeit kann gerade in kleinen Betrieben gezweifelt werden.
Doch auch wenn ein Prozess vor Gericht angestrebt wird, gibt es einige Hürden zu nehmen, wie Eva-Maria Andrades vom ADNB Berlin berichtet. Zunächst ist die Frist von zwei Monaten zur Geltendmachung des Anspruches vor Gericht, wie sich in der Praxis zeigt, zu kurz. Zudem fehlt es oft am Wissen, ob die faktische Benachteiligung rechtlich unter Diskriminierung fällt und was genau dagegen unternommen werden kann.
Und dann wäre da natürlich noch das Beweisproblem: Obwohl § 22 AGG eine Beweislastverschiebung bei Indizien für Diskriminierung anordnet, besteht diese Schwierigkeit. Denn in aller Regel, so Andrades, werde Diskriminierung nicht offen ausgesprochen, sodass die Wohnung oder die Stelle, um die sich beworben wurde, ohne Begründung einfach an jemand anderen vergeben wird. Auch eine Auskunftspflicht gibt es nicht, ebenso wenig wie eine etablierte gerichtliche Praxis, die Schlüsse darauf zulässt, wann genug Indizien vorgebracht wurden, um die Beweislastverschiebung zu bewirken. Wird der Prozess verloren, so tragen die Kläger*innen überdies noch die Kosten des Verfahrens. Wird der Prozess gewonnen, so gibt es wie angesprochen nicht das, was ursprünglich gewollt war, sondern Schadensersatz. Und die Entschädigungssummen, die von den Gerichten bemessen werden, sind tendenziell eher gering: In den Disko-Fällen liegt die durchschnittliche Summe zugesprochenen Schadensersatzes circa zwischen 500 € und 1000 €. Abschreckend ist das jedenfalls nicht. Ein großflächig angelegter Schutz vor Diskriminierung lässt somit (gerade von öffentlicher Seite) noch zu wünschen übrig. Nötig wären vor allem eine teilweise Reform des AGG und ein dichteres Netz an kostenlosen Beratungsstellen.
Wie kann ich guter Ally sein?
Eine Frage, die mich, als sozial in vielerlei Hinsicht privilegierte Person umtreibt, ist, wie ich ein guter „Ally“ (zu Deutsch: Verbündete*r) sein kann.
Mich beschäftigen dabei Fragen wie: Was tue ich, wenn eine Muslima neben mir im Bus von einem weißen Cis-Mann mit den Worten „Geh wieder dahin zurück wo du herkommst“ angefeindet wird? Schreite ich ein, wenn zwei Polizeibeamte auf der Fahrt von Paris nach Köln durch den knallgefüllten Wagon schlendern und gezielt die einzige Schwarze Person nach Ihren Ausweispapieren fragen und sonst niemanden? Wie soll ich mich verhalten, wenn ein betrunkener Cis-Mann einer Frau* in der U-Bahn einen „kleinen Klaps auf den Hintern“ gibt (ergo: sie sexuell belästigt) oder mein Chef meiner Kollegin mit einem Zwinkern erzählt, er hätte sie fast nicht eingestellt, denn er hätte sie eigentlich lieber zum Essen ausführen wollen.
Diese endlos weiterführbare Liste an Beispielen ist schon wegweisend: Die unterschiedliche Art und Weise wie Diskriminierung im Alltag aussieht, macht die Sache kompliziert. Erschwerend kommt hinzu, dass auch die Personen, die Diskriminierung erfahren, verschieden sind und die Dinge unterschiedlich angehen. Eine universelle Handlungsstrategie für alle Fälle gibt es nicht. Auch nicht für Fälle, die ähnlich aussehen oder am gleichen Merkmal anknüpfen.
Ally-Sein für Personen, die einem nicht persönlich bekannt sind, gestaltet sich somit jedes Mal als neuer, individueller Aushandlungsprozess. Körpersprache lesen und nachfragen, ob eine Person Unterstützung benötigt, sind hier wohl geeignete erste Schritte. Dabei sollte es nicht das Ziel sein, sich selbst zu profilieren oder der diskriminierenden Person einen Denkzettel zu verpassen. Im Vordergrund stehen ausschließlich die betroffene Person und ihre Bedürfnisse. „Whitesplaining“, „Mansplaining“ und ähnliches „Erklären“ vor und für Betroffene sind zu vermeiden. Das heißt allerdings nicht, dass nicht die Erklärung übernommen werden kann, wenn von Betroffenen hierzu aufgefordert wird, beispielsweise weil die betroffene Person es klargestellt wissen, aber nicht selbst erläutern möchte.
Mein Appell an alle, die gute Allys sein möchten: Do your Homework! Damit ist gemeint, davon abzulassen, die Betroffenen direkt zu bitten, ihre Diskriminierung zu erläutern und somit Gefahr zu laufen schmerzhafte Erfahrungen und Traumata neu aufzuwärmen. Informationen über Sexismus, Rassismus, Heterosexismus oder Cissexismus und was das für die Betroffenen bedeutet, kann und sollte im Internet über Vlogs, Blogs, Literatur und andere Medien recherchiert werden. Jede Menge zu tun gibt es jedenfalls für uns alle. Let´s take action!