Eine Vergewaltigung ist kein Hausfriedensbruch

Er würdigt Frauen wegen ihres Aussehens herab und wischt ihre Gewalterfahrungen beiseite. Eine Replik auf die Kolumne „Fischer im Recht“ von zwei Juristinnen.

Die Kolumne Fischer im Recht von Thomas Fischer zur anstehenden Reform des Sexualstrafrechts entsetzt uns als Frauen, Menschen und Juristinnen.Vor einigen Monaten hatte schon Renate Künast zu Fischers Positionen in der Debatte juristisch Stellung bezogen. Uns reicht es auch auf anderen Ebenen.

Polternde Worte eines „Mannes vom Fach“

Fischers Kolumne ist nicht nur eine Meinungskolumne; er schreibt als juristischer Experte. Und wie könnte man vergessen, welche Position er innehat: Immer wieder ruft Fischer in Erinnerung, dass er Richter am Bundesgerichtshof ist.Umso bedenklicher für diese staatsnahe Position: Er wählt einen Ton, der Frauen aufgrund ihres Aussehens und Verhaltens herabwürdigt und beleidigt. Wissenschaft und Fakten gegen „weibliche Hysterie“. Dieses Muster ist altbekannt und absolut zynisch in einem Kontext, in dem es um Gewalt an Frauen geht. Fischer lenkt von den realen gesellschaftlichen Missständen durch juristische Wortklaubereien ab.

Fischers Beitrag erinnert an eine Stammtischrunde. Ist sich ein Bundesrichter nicht einmal zu schade, sich darüber zu echauffieren, dass eine Frau, die er nur über ihre Brüste definieren kann, mehr verdient als er? So viel jedenfalls zu dem wissenschaftlichen Anspruch des Beitrages.

Eine Vergewaltigung ist kein Hausfriedensbruch

Und wie sieht es nun mit den juristischen Hintergründen einer Reform des Sexualstrafrechts aus? Fischer sagt dazu ziemlich wenig. Damit die Leser*innen im Bilde sind, hier eine Kurzdarstellung:Nach aktueller Rechtsprechung wird von Opfern sexueller Nötigung körperlicher Widerstand verlangt, damit der Tatbestand des Paragrafen 177 im Strafgesetzbuch erfüllt ist. Verbaler Widerstand genügt vor Gericht häufig nicht. Der Wortlaut des Paragrafen 177  fordert hingegen keinen körperlichen Widerstand. Die sexuelle Selbstbestimmung an sich ist somit vom deutschen Strafrecht nicht geschützt.

Das soll durch die bereits 2011 verabschiedete Istanbul-Konvention des Europarates geändert werden: Sie verlangt, dass jegliche nicht einvernehmliche sexuelle Handlungen strafbar sein soll. An dieser Stelle verweisen wir gerne auf die rechtlichen Ausführungen von Christina Clemm und Ulrike Lembke. Fischer dagegen sieht keinen juristischen Handlungsbedarf. Feministische Bestrebungen sind für ihn eine „unheimliche Mission“, Schutzlücken bestünden keine: Was soll denn jetzt noch alles strafbar werden? In seinem Vergleich zum Hausfriedensbruch – „Wie oft haben Sie sich schon in einem Raum aufgehalten, ohne dass der Inhaber der Hausgewalt dies wollte, ohne dies zu wissen?“ – fehlt leider die schlussendliche Transferleistung: „Wie oft haben Sie schon Sex gehabt, ohne dass ihr*e Sexualpartner*in dies wollte und sie haben es erst später oder nie erfahren?“ Zynisch? Ja, und wie. Nicht einvernehmlicher Sex ist nichts, was einfach passiert.

Fischer spielt Männer gegen Frauen aus

Anzeigen erfolgen jedenfalls viel zu selten: Nur fünf bis zehn Prozent der tatsächlich strafbaren sexuellen Übergriffe werden angezeigt. Einer der Gründe für die geringe Anzeigebereitschaft ist das allgemeine Misstrauen, das einer Anzeige entgegengebracht und immer wieder durch den Fall „Kachelmann“ belegt wird. Die Zahlen belegen allerdings etwas anderes als das, was oft behauptet wird: Der Anteil falscher Anzeigen liegt derzeit bei drei Prozent.

Außerdem bedeutet eine Falschanzeige noch lange nicht, dass eine Falschverurteilung folgt. Der Blick sollte darauf gerichtet bleiben, dass Opfer von Straftaten effektiv zu ihrem Recht kommen. Das ist bei Hausfriedensbrüchen nicht anders.

Was wir brauchen: Solidarität statt Hass

Ausführungen wie die von Fischer spielen Männer und Frauen gegeneinander aus. Frauen sind unbekannte, feindliche Wesen. Die Menschen, die sich jeden Tag praktisch mit den Auswirkungen von rechtsfreien Räumen auseinandersetzen, wie etwa die Juristin Christina Clemm, diffamiert Fischer auf unkollegiale und niveaulose Art.

Was für ein Signal sendet er dadurch an alle Opfer von Gewalt, insbesondere sexualisierter Gewalt? Und zwar durch das Sprachrohr der Onlineredaktion einer der größten Wochenzeitungen Deutschlands?

Thomas Fischer ist Richter. Seine nicht enden wollenden Anführungszeichen stellen die Erfahrung sexualisierter Gewalt grundsätzlich infrage. Infrage zu stellen sind dadurch aber auch die Umsetzung der Grundsätze rechtlichen Gehörs und richterlicher Unparteilichkeit.

Gefragt ist Solidarität statt Hass. Anstatt Gewalterfahrungen aus männlicher Perspektive höhnisch beiseite zu wischen, muss es der erste Schritt sein, mit den Frauen im eigenen Umfeld zu sprechen. Mit Freundinnen, Müttern, Schwestern, Kolleginnen, Töchtern. Fragen, welche Erfahrungen sie gemacht haben. Mit ungewollten Berührungen, Worten, Grenzüberschreitungen.

Diese Probleme sind nicht allein juristisch zu lösen. Es bedarf eines gesellschaftlichen Umdenkens, das erfordert, dass Männer beginnen, sich selbst kritisch zu hinterfragen. Das kann und muss auch von Bundesrichtern zu verlangen sein.

Im Text wurde von den Autorinnen zum besseren Verständnis eine Erklärung zum Paragrafen 177 ergänzt.

Der Beitrag ist zuerst auf ZEIT ONLINE am 28. Juni 2016 erschienen.

Pervasive Racial Profiling and Police Brutality
Ethics in Reporting: Setting Global Standards to End Child Marriage