Wird ein Elternteil inhaftiert, ist immer auch ein Kind betroffen. Kinder inhaftierter Eltern haben gemäß der UN-Kinderrechtskonvention das Recht, Informationen über die Haft und ihre eigenen Rechte zu erhalten. Das Working Paper No. 23 analysiert anhand von UN-Qualitätsstandards, welche Anforderungen ein Informationsangebot für Kinder inhaftierter Eltern erfüllen muss. Es weist auf bestehende Lücken hin und empfiehlt unter anderem die Verankerung eines gesetzlichen Kenntnisrechts.
Mit dem Ende des Sommersemesters 2020 ist der 11. Zyklus der Humboldt Law Clinic für Grund- und Menschenrechte erfolgreich beendet wurden. Auch in diesem Zyklus haben die Teilnehmer*innen herausragende Arbeiten verfasst, die wir in unserer Working Paper Reihe veröffentlichen wollen. Da die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona Pandemie auf absehbare Zeit eine physische Veröffentlichung verhindern, haben wir uns dazu entschieden, die Working Paper dieses Jahr zunächst nur digital zu veröffentlichen. Alle zwei Wochen werden wir von nun an ein neues Working Paper, begleitet von einem kurzen Blog-Beitrag der Autor*innen, auf dem Grundundmenschenrechts-Blog veröffentlichen. Alle bis jetzt veröffentlichten Working Paper finden Sie hier.
In Deutschland sind schätzungsweise zwischen 50.000 bis über 100.000 Kinder von elterlicher Inhaftierung betroffen. Ihnen kommen die in der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) verankerten Rechte zu. Die UN-KRK hat in Deutschland gem. Art. 59 Abs. 2 GG den Rang eines Bundesgesetzes, sie bindet Rechtsprechung und vollziehende Gewalt. Die Rechtslage gemäß UN-KRK ist klar: Es ist die Pflicht des Staates, der ein Elternteil inhaftiert, dabei die Wahrung der Kinderrechte zu gewährleisten.
Dem Informationsrecht des Kindes kommt in dieser Situation eine entscheidende Bedeutung zu. Es bildet die Grundlage dafür, dass ein Kind seine Rechte im Kontext der Inhaftierung überhaupt kennt und wahrnehmen kann. So haben Kinder inhaftierter Eltern etwa ein Recht auf regelmäßigen unmittelbaren Kontakt zum Elternteil. Um dieses wahrzunehmen, müssen sie sowohl von ihrem rechtlichen Anspruch erfahren als auch individuell und kindgerecht über die bestehenden Besuchs- und Kontaktmöglichkeiten informiert werden.
Derzeit kein kinderrechtskonformes Informationsangebot
Allerdings ist das Informationsrecht von Kindern inhaftierter Eltern derzeit nicht verwirklicht. Es fehlt zum einen an Informationsangeboten, die die Breite der notwendigen Inhalte abdecken würden. Es gibt etwa kaum Materialien, die Kinder inhaftierter Eltern über ihre eigenen Rechte informieren. Zum anderen sind auch die vorhandenen Informationsangebote oft nur lokal verfügbar, für Kinder mit Beeinträchtigungen schwer zugänglich und auf Formate wie Bücher, Poster und wenige Videos beschränkt. Diese Leerstelle entsteht auch dadurch, dass sich Kinder inhaftierter Eltern in einem toten Winkel staatlicher Einrichtungen und Hilfsangebote befinden. Sowohl im Justizvollzug als auch in der Kinder- und Jugendhilfe fehlt es an konkreten Zuständigkeiten und spezialisierten Informationsressourcen für betroffene Kinder. Der Staat vernachlässigt so seine aus der UN-KRK entstehende Pflicht, Kinderrechte zu achten, zu schützen und zu gewährleisten.
Die Kriterien: Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Angemessen und Qualität
Wie genau müssen Informationen für Kinder inhaftierter Eltern aussehen? Das Working Paper nutzt einen von den UN-Fachausschüssen entwickelten Qualitätsstandard, um das Informationsrecht im Kontext elterlicher Inhaftierung aufzuschlüsseln. Das Informationsangebot muss demnach vier Kriterien erfüllen: Informationen müssen allgemein verfügbar sein, sie müssen für alle Kinder gleichermaßen zugänglich sein, sie müssen angemessen und qualitativ hochwertig sein.
Dabei muss den Kindern ein Mitspracherecht gegeben wird. Die UN-KRK gibt der Beteiligung von Kindern bei der Verwirklichung ihrer Rechte ein großes Gewicht, das in der deutschen Rechtsordnung noch nicht umgesetzt wird. Auch Informationsmaterial für Kinder inhaftierter Eltern muss daher gemeinsam mit Kindern entwickelt und evaluiert werden.
Kinder nicht im Dunkeln lassen
Die nähere Betrachtung zeigt, dass das bestehende Informationsangebot noch immer viele Kinder inhaftierter Eltern unter Umständen im Dunkeln lässt. Bis zu einer umfassenden Verwirklichung des Informationsrechts ist es noch ein weiter Weg. Eine mögliche Maßnahme für mehr Verantwortlichkeit und gesicherte Information könnte die Verankerung eines gesetzlichen Kenntnisrechts darstellen. Denn zurzeit fehlt nicht nur ein umfassendes Informationsangebot – es ist wird auch nicht sichergestellt, dass ein Kind überhaupt von der Inhaftierung seines Elternteils erfährt. Hier sollte der Staat eingreifen und eine standardisierte Inkenntnissetzung von Kindern inhaftierter Eltern gesetzlich regeln. Ein solches Kenntnisrecht wird keinesfalls dem vollen Gehalt des Informationsrechts der UN-KRK gerecht. Doch es wäre ein erster Schritt zur Verwirklichung des Informationsrechts von Kindern inhaftierter Eltern.