Frauenförderung oder Gleichstellung auch für Männer?

Männer haben kein Recht, Gleichstellungsbeauftragte zu wählen oder sich für dieses Amt zur Wahl zu stellen. Diese Regelung im Landesgleichstellungsgesetz bestätigte nun das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern. Zu Recht.

Die Entscheidung

Geklagt hatte ein Schweriner Beamter gegen Art. 18 Abs. 1 Satz 1 des im Juli 2016 erlassenen Gesetzes zur Gleichstellung von Frauen und Männern im öffentlichen Dienst. Danach wählen die weiblichen Beschäftigten einer jeden öffentlichen Dienststelle eine Gleichstellungsbeauftragte. Die frühere Fassung des Gesetzes – ausdrücklich als Frauenförderungsgesetz bezeichnet – wurde mit der Neufassung stärker auf die Gleichstellung beider Geschlechter ausgerichtet. Auf genau diesen Aspekt berief sich der Beschwerdeführer: Er selbst arbeitet Teilzeit und übernimmt Familienaufgaben. Dadurch sei auch er Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts ausgesetzt. Sein Ziel war es, ebenfalls als Gleichstellungsbeauftragter kandidieren zu können und Gleichstellungsbeauftragte auch wählen zu dürfen.

Das Landesverfassungsgericht (LVerfG) wies die Klage mit der Mehrheit der Richter_innen als unbegründet zurück. Die angegriffene Wahlrechtsbeschränkung, so das Gericht, ziele in verhältnismäßiger Weise darauf ab, die Situation der Frauen im öffentlichen Dienst mit Hilfe der Gleichstellungsbeauftragten so zu verbessern, dass künftig bezogen auf Führungspositionen die verfassungsrechtlich geforderte Chancengleichheit erreicht wird.

Benachteiligung von Frauen – ein strukturelles Problem

Das Landesverfassungsgericht stützt sein Urteil auf reale Zahlen: Frauen werden im öffentlichen Dienst strukturell benachteiligt. Deshalb haben sie Anspruch auf besondere Förderung. Diese Förderung bezieht sich vor allem auf Führungspositionen, in denen Frauen immer noch in deutlichem Maße unterrepräsentiert sind: In den neun Ressorts der Landesregierung MV wurden Ende 2015 nur drei Ministerinnen und drei Staatssekretärinnen eingesetzt. Der Anteil der Abteilungsleiterinnen ist seit 2011 von zwei auf neun von insgesamt 39 Stellen gestiegen. Auch in der Justiz und an den Hochschulen waren 2015 nur 33 % der Endämter mit Frauen besetzt, wie sich aus der Drucksache des Landtages und dem Urteil ergibt. Diese in der Realität vorhandene Benachteiligung von Frauen lässt sich nicht ignorieren.

Argumentation des Gerichts

Der Kläger machte geltend ebenfalls von struktureller Diskriminierung betroffen zu sein, da auch er Teilzeit arbeitet und sich Familienaufgaben widmet. Zudem sieht er seine Interessen nicht repräsentiert, wenn er selbst nicht wählen darf. Diesem Vorwurf tritt das Landesverfassungsgericht MV in seinem Urteil mit guten Argumenten entgegen. Zunächst beruft es sich auf einen weiten Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers bei der Frage, wie Frauen gefördert werden sollten. Darüber hinaus seien in dem Gesetz beide Geschlechter berücksichtigt, auch die strukturelle Diskriminierung von Männern wird für möglich erachtet. Aktuell sind jedoch, wie die oben genannten Zahlen belegen, vor allem Frauen strukturell benachteiligt. Männer, so das Gericht, könnten sich auch an weibliche Gleichstellungsbeauftragte wenden, zu deren Aufgaben neben der Förderung von Frauen in Führungspositionen auch sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz und die Vereinbarkeit von Familie bzw. Pflege und Beruf zählen. Auch das Argument, dass in anderen Bundesländern wie bspw. Thüringen alle Beschäftigten das aktive Wahlrecht haben und an der Universität Leipzig sogar ein männlicher Gleichstellungbeauftragter tätig ist, ließ das Gericht nicht gelten. Frauen seien weiterhin Hauptadressat der Aufgaben der Gleichstellungsbeauftragten, vor allem da sie „überwiegend von sexueller Belästigung und vorrangig von Familien- und Pflegeaufgaben betroffen seien“.

Gleichheitsrecht – also gleiche Rechte für alle? 

Das Urteil des Landesverfassungsgerichts ist vor allem unter dem Aspekt begrüßenswert, wie das Gericht Gleichheitsrechte interpretiert. Die kurzen Formeln, in die Gleichheitsrechte in Art. 3 Abs. 2 und 3 Grundgesetz verpackt sind („Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“, „Niemand darf wegen seines Geschlechts benachteiligt werden“) müssen ausgestaltet und ausdifferenziert werden. Wie die oben genannten Zahlen zeigen, haben wir im Alltag leider noch keine Gleichstellung erreicht.

Bereits in seiner Nachtarbeitsentscheidung hatte deshalb das BVerfG 1992 festgestellt, dass der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ nicht nur ein Differenzierungsverbot aufstellt, sondern für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter auch in der gesellschaftlichen Wirklichkeit durchsetzen will. Deshalb dürften faktische Nachteile, die typischerweise Frauen treffen, durch begünstigende Regelungen ausgeglichen werden. Die Verfassungsänderung von 1994 bestätigte das durch Anfügen des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG. In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Dritten Option legte das Gericht noch einmal nach: Art. 3 Abs. 2 und auch Abs. 3 Grundgesetz enthalten, wie Nora Markard zuletzt auf dem Verfassungsblog herausgestellt hat, einen dezidierten Gleichstellungsauftrag gegen strukturelle Diskriminierung.

Um jeder strukturellen Benachteiligung und Alltagsdiskriminierung erfolgreich entgegenzuwirken, muss in dem Grundsatz der Gleichberechtigung ein Abbau von Benachteiligung mitgedacht werden. Was ist damit gemeint? Genau genommen müssen die unterlegenen Parteien privilegiert werden, weil sie bereits grundsätzlich gesellschaftlich einer Hierarchie unterworfen sind, die es erschwert, Gleichstellung zu erlangen. Das trifft nicht nur den Bereich der Gleichstellung von Frauen und Männern, sondern generell auf jede Art von Diskriminierung zu. Es muss Partei ergriffen werden für die Unterlegenen, anders kann der Macht und der subtilen Wirkung von Diskriminierung im Alltag nicht entgegengewirkt werden.

Bedeutet das Gleichstellung ohne Männer?

Der Ansicht ist zumindest einer der Richter des LVerfG MV, Herr Brinkmann. Er spricht sich in seinem Sondervotum klar gegen das Urteil aus. Seiner Ansicht nach sind Frauen inzwischen nahezu gleichgestellt. Weitere Förderungsmaßnahmen würden Männer erheblich benachteiligen.  Hierzu bringt er an: „der Anteil der Frauen entspricht inzwischen weitgehend dem der Männer und überschreitet diesen teilweise schon“. Diese Aussage ist zwar inhaltlich richtig, aber aus ihrem Kontext gerückt worden. Der Anteil der Frauen in Eingangsämter, also niedrig bezahlten Ämtern, überschreitet tatsächlich den der Männer. Ziel des Gesetzes ist jedoch die Förderung von Frauen in Führungspositionen, in denen die Mehrzahl immer noch Männer sind.

Dennoch bleibt die Frage: Bedeutet das Gesetz Gleichstellung ohne Männer? Die Antwort ist: Nein. Das Gesetz typisiert und generalisiert durchaus. Doch das ist notwendig, um eine effektive Gleichstellung erreichen zu können. Das Landesverfassungsgericht hat den oben beschriebenen Ansatz, dass Gleichheitsrechte nicht pauschal gleiche Rechte für alle bedeuten, beachtet und sinnrichtig umgesetzt: Es hat für die unterlegene Gruppe, also Frauen in Führungspositionen, Partei ergriffen und ihre rechtliche Stellung gestärkt.

Dabei werden die Belange von Männern jedoch nicht außer Acht gelassen. Ihnen kommt in der heutigen Gesellschaft eine wachsende Rolle bei der Wahrnehmung von Aufgaben im Bereich Familie und Pflege zu. Immer mehr Männer nehmen diese Rolle auch war. Und sie wünschen sich, diese besser mit dem Beruf vereinbaren zu können. Weibliche Gleichstellungsbeauftragte müssen – und können – auch die Interessen dieser Männer vertreten. Dass diese Vertretung mit dem Demokratieprinzip kollidiert, weil männliche Vertretene nicht an der Wahl beteiligt werden, liegt auf der Hand. Dennoch müssen in einer Demokratie benachteiligte Parteien Schutz erfahren. Ein solcher Schutz wird durch das einseitige Wahlrecht gewährt. Um eine Änderung der gesellschaftlichen Situation rechtzeitig zu erkennen und darauf reagieren zu können ist im neuen Gesetz eine Beobachtungspflicht des Bundestages festgeschrieben. Bei erfolgreicher Gleichstellung kann das Gesetz geändert und das Wahlrecht auf Männer ausgeweitet werden. Möge es bald dazu kommen.

Kurz gefasst hat das LVerfG Gleichheitsrechte richtig ausgelegt: Das Amt der Gleichstellungsbeauftragten wird weiterhin von Frauen ausgeübt und von denselben auch gewählt. Dabei gilt es, die gesellschaftliche Lage zu beobachten, um rechtzeitig Männern ebenfalls ein Wahlrecht gewähren zu können.

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