Drei afrikanische Staaten haben in kurzer Zeit den Internationalen Strafgerichtshof verlassen. Weitere denken darüber nach. Während hierzulande Medien vor allem darauf abstellen, dass die jeweiligen Staatschefs sich durch den Austritt der Strafverfolgung entziehen, was als Zeichen gegen die systematische Verfolgung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu werten sei, sollte die postkolonial und rassismuskritische Austrittsbegründung von Gambia ernst genommen werden und anregen Ansätze der Third World Approaches to International Criminal Law aufzugreifen.
Zum 10. November 2017 wird Gambia als dritter afrikanischer Staat den internationalen Strafgerichtshof (IStGH) verlassen. Dass nach Burundi und Südafrika ein weiterer afrikanischer Staat diese Entscheidung getroffen hat, muss zu denken geben. Denn nachdem Burundi seinen Austritt noch pragmatisch mit der Ausübung unter anderem seiner hoheitlichen Rechte begründet hat und Südafrika unter anderem darauf verweist, dass das Römische Statut unvereinbar sei mit der nationalen Gesetzgebung, holte Gambias Informationsminister Sheriffo Bojang weiter aus und erklärte, dass der Strafgerichtshof „ein Internationales Strafgericht weißer Kaukasier zur Verfolgung und Demütigung von People of Color, vor allem Afrikanern sei.“
Tatsächlich ist der Umstand nicht von der Hand zu weisen, dass neun von zehn laufenden Verfahren sich gegen afrikanische Länder richten. Unterschiedliche Medien haben davon berichtet (z.B. hier oder hier), dass die drei ausscheidenden afrikanischen Staaten Strafverfolgung durch den IStGH zu befürchten haben. Dieser hatte Vorermittlungen aufgenommen im Zusammenhang mit zahlreichen Toten, Verhaftungen und Vertriebenen im Zuge der Wiederwahl von Burundis Präsident Pierre Nkurunziza wenige Wochen bevor Nkurunziza das Gesetz zum Austritt unterzeichnete. Südafrika wurde von einer breiten internationalen Öffentlichkeit dafür kritisiert, dass der wegen Kriegsverbrechen auf Grundlage eines internationalen Haftbefehls von 2009 gesuchte sudanesische Präsident Omar al-Bashir in Südafrika Station machen konnte ohne festgenommen zu werden. Sprecher der südafrikanischen Regierung begründeten dies damit, dass al-Bashir als Staatschef in Südafrika Immunität genießen würde.
Die zeitliche Nähe der strafrechtlichen Ermittlungen, bzw. der Kritik an Politiker_innen der jeweiligen Länder durch den IStGH zu ihrem Austritt ist möglicherweise tatsächlich kein Zufall. Dem weitergehenden Vorwurf, dass Handlungen des Internationalen Strafgerichtshofs sich durch weiße und von Kolonialismus geprägte Prämissen auszeichnen, muss dennoch ernsthaft nachgegangen werden, insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch Kenia, Uganda und Namibia mit dem Gedanken spielen den Strafgerichtshof zu verlassen, der seit 2002 Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen ahnden soll.
Berechtigte Kritik aus dem globalen Süden
Theoretiker_innen des globalen Südens haben unter dem Namen Third World Approaches to International Law (TWAIL) vor allem im Zuge der Dekolonisierung Mitte des 20. Jahrhunderts begonnen die Geschichte und Entwicklung des Internationalen Rechts, vor allem auch des Internationalen Strafrechts, in den Kontext seines kolonialen Erbes zu stellen. Methoden des Feminismus, Marxismus, Postkolonialismus und der Critical Race Theory sollen dabei aufzeigen, wie sich eine westliche Dominanz auch durch die Rechtssprechung ausdrückt und globale Hierarchien aufrecht erhält. Gambia verweist auch in seinem Statement darauf, dass mindestens 30 westliche Länder Kriegsverbrechen begangen haben sollen seit der IStGH seine Arbeit aufgenommen hat, und dafür nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. Gleiches kritisiert Gambia auch hinsichtlich der Tausenden Toten im Mittelmeer, die jedes Jahr durch die undurchdringlichen EU-Außengrenzen zu verzeichnen sind. Dass der IStGH entschied, dass kein Mandat vorliegen würde um Tony Blair auf Grundlage des Chilcot Reports wegen der Invasion Groß-Britanniens in den Irak anzuklagen, ist laut Sheriffo Bojang, ein weiteres Beispiel für den westlichen Bias.
Man darf nicht den Fehler machen und über TWAIL-Zugänge Verbrechen im globalen Süden entschulden, aber im Hinblick auf die jüngst zu verzeichnenden Austritte muss sich der IStGH die Frage gefallen lassen, inwieweit sich eine westliche Dominanz auch in seinen Praxen der Strafverfolgung widerspiegelt und ob dieser Bias dazu führt, dass die Unterstützung auf dem afrikanischen Kontinent sinkt. Immerhin waren afrikanische Staaten in den neunziger Jahren zentral beim Aufbau des Gerichtshofes und ohne deren Unterstützung wird der eh geringe Einfluss noch weiter schwinden. Diese Unterstützung wiederum wird ausbleiben, wenn die Kritik Gambias und anderer Staaten an der kolonial gefärbten Praxis der Strafverfolgung nicht ernst genommen und diskutiert wird. Die Third World Approaches to International Law können dabei sowohl die Kritik als auch die Methode liefern sich diesen Fragen zu stellen.