„Rasse“ als Rechtsbegriff?

Auf Grundlage der Anti-Rassismus-Richtlinie der EU haben bereits mehrere EU-Staaten, etwa Österreich und Schweden, den Begriff der „Rasse“ aus ihren nationalen Verfassungen gestrichen und durch alternative Formulierungen ersetzt. In Deutschland konnte eine solche Änderung bislang nicht durchgesetzt werden – trotz anhaltender Kritik seitens Menschenrechtsorganisationen und verschiedener Gesetzesinitiativen in den vergangenen Jahren. Woran liegt das?

„Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“, lautet etwa Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG). In gleicher Weise beinhalten 10 der 16 einzelnen Landesverfassungen den Begriff „Rasse“. Auch im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), welches als nationale Umsetzung der EU-Anti-Rassismus-Richtlinie vor zehn Jahren in Kraft trat, ist er zu finden.

Kritik am Gebrauch des Rassebegriffs in Gesetzestexten

Menschenrechtsorganisationen machten wiederholt darauf aufmerksam, dass die Verwendung des Begriffes „Rasse“ der antirassistischen Absicht dieser Gesetze nicht gerecht wird, weil sein Gebrauch unweigerlich die Vorstellung der Existenz unterschiedlicher menschlicher „Rassen“ verfestige. So heißt es in einem 2010 veröffentlichten policy paper des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR): „Nach dem gegenwärtigen Wortlaut von Art. 3 Abs. 3 GG müssen Betroffene im Falle rassistischer Diskriminierung geltend machen, aufgrund ihrer ‚Rasse‘ diskriminiert worden zu sein; sie müssen sich quasi selbst einer bestimmten ‚Rasse‘ zuordnen und sind so gezwungen, rassistische Terminologie zu verwenden.“ Auch die Gesetzgebung, Wissenschaftler_innen und NGOs seien gezwungen, entsprechende Stellen in Gesetzestexten zu zitieren.

Dass dies für von Diskriminierung Betroffene ein unhaltbarer Zustand ist, machte im vergangenen Jahr auch die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) in einem Positionspapier deutlich, in dem sie hervorhob: „Die Schwarze Erfahrung ist auch in Deutschland gezeichnet von den Auswirkungen des Begriffes ‚Rasse‘ auf Menschen.“

Gescheiterte Gesetzesinitiativen

Im Jahr 2010 stellte die Fraktion DIE LINKE einen Antrag im Bundestag, der unter anderem vorsah, im GG und im AGG „Rasse“ durch die Formulierung „ethnische, soziale und territoriale Herkunft“ zu ersetzen. Dieser Antrag wurde von allen übrigen Fraktionen abgelehnt. Während die Fraktionen der SPD und des Bündnis 90/Die Grünen das allgemeine Anliegen, den Begriff „Rasse“ zu ersetzen, teilten und sich lediglich an dem spezifischen Formulierungsvorschlag des Antrages störten, lehnten die Fraktionen der CDU/CSU sowie der FDP eine sprachliche Veränderung der entsprechenden Artikel grundsätzlich ab. Dies geht aus dem Plenarprotokoll der entsprechenden Bundestagsdebatte vom 22. März 2012 hervor.

Auch die Gesetzesinitiative der Grünen- und der Piratenfraktion, den Rassebegriff aus der Berliner Landesverfassung zu entfernen und durch die Formulierung „aus rassistischen Gründen“ zu ersetzen, scheiterte Zeitungsberichten zufolge im vergangenen Jahr, weil sich die Fraktionen nicht auf eine alternative Formulierung einigen konnten.

Kein geeigneter Ersatz für den Begriff „Rasse“ in Gesetzestexten?

Tatsächlich würden die in den Anträgen vorgeschlagenen Formulierungen im Vergleich zum jetzigen Gebrauch des Begriffs „Rasse“ den Schutzbereich des jeweiligen Gesetzes, insbesondere des GG, erheblich einschränken.

So stellt auch das DIMR in ihrem policy paper bezüglich der Formulierung „ethnische Herkunft“ fest: „Benachteiligungen, die an die tatsächliche oder vermeintliche Ethnie einer Person anknüpfen, sind nach der gegenwärtigen Fassung des GG nur ein Teilaspekt der Diskriminierung wegen der ‚Rasse‘.“ Außerdem besteht bei dem Begriff der „Ethnie“ genauso wie bei dem Begriff der „Rasse“ das Problem, dass er die Vorstellung fördert, es gäbe objektiv voneinander zu unterscheidende Bevölkerungsgruppen.

Die Formulierung „aus rassistischen Gründen“ ist ebenfalls nicht ausreichend, weil sie die Absicht einer rassistischen Benachteiligung voraussetzt, unbeabsichtigte rassistische Benachteiligung jedoch nicht berücksichtigt.

Rassistisch“ statt „Rasse“

DIMR und ISD plädieren deswegen dafür, den Begriff der „Rasse“ durch das Adjektiv „rassistisch“ zu ersetzen. Demzufolge würde etwa Art. 3 Abs. 3 GG lauten: „Niemand darf rassistisch oder wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Diese Formulierung würde gegenüber dem Gebrauch des Rassebegriffs nicht zu einer Einschränkung des Schutzbereiches des GG oder AGG führen.

Gleichzeitig bringt sie zum Ausdruck, dass es nicht tatsächliche Unterschiede zwischen Menschengruppen sind, aufgrund derer bestimmte Menschen benachteiligt oder bevorzugt werden, sondern dass vielmehr die rassistische Kategorisierung von Menschen die Grundlage für diese Ungleichbehandlung ist.

Ein politisches Zeichen gegen Rassismus setzen

Befürworter der Beibehaltung des Begriffs „Rasse“ argumentieren, dass sowohl das GG als auch das AGG in einer explizit antirassistischen Absicht verfasst wurden und somit der Gebrauch des Rassebegriffs in diesem Kontext nicht als Bestätigung einer rassistischen Ideologie missverstanden werden könne. Der Begriff „Rasse“ verweise auf das Problem des „Rassismus“, nicht auf die vermeintliche Existenz menschlicher „Rassen“. Daher stelle die Verwendung des Adjektivs „rassistisch“ gegenüber der jetzigen Formulierung keine Verbesserung dar.

Dies wird jedoch nicht der Tatsache gerecht, dass der deutsche Begriff der „Rasse“ im Unterschied zu dem englischen Begriff „race“ im allgemeinen gesellschaftlichen Sprachgebrauch nicht impliziert, dass die Vorstellung biologischer „Rassen“ ein gesellschaftliches Konstrukt ist. Dieses sprachliche Problem findet nicht zuletzt darin Ausdruck, dass sich in der wissenschaftlichen Literatur die Schreibweise mit Anführungszeichen durchgesetzt hat. Ebenfalls wird in den deutschen Übersetzungen internationaler Erklärungen und Abkommen, etwa der Allgemeinen Erklärung über Bioethik und Menschenrechte der UNESCO-Generalkonferenz von 2005, der Begriff „Rasse“ bewusst in Anführungszeichen gesetzt, um Missverständnisse zu vermeiden.

Zudem muss in Betracht gezogen werden, auf welche Art und Weise der Begriff im juristischen Kontext Verwendung findet. So enthalten zahlreiche Kommentare zum GG und einfachen Gesetzen, sowie Urteilsbegründungen, die sich auf diese Gesetzestexte beziehen, biologische Definitionen des Rassebegriffs.

Vor diesem Hintergrund ist es von besonderer Bedeutung, sowohl in Bezug auf Art 3. GG als auch in Landesverfassungen und einfachen Gesetzen wie dem AGG eine sprachliche Klarheit zu schaffen, die eine unmissverständliche Distanzierung von einem tradierten rassistischen Menschenbild ermöglicht und es damit bei der Umsetzung der EU-Anti-Rassismus-Richtlinie anderen europäischen Ländern gleichzutun.

Gambia verlässt den Internationalen Strafgerichtshof
Literatur und juristische Aufarbeitung – anlässlich des Symposiums Gedächtnis und Gerechtigkeit