Gericht verharmlost häusliche Gewalt

Das Oberlandesgericht Oldenburg hat am 18.04.2017 einen haarsträubenden Beschluss eines Familiengerichts aufgehoben. Das beanstandete Urteil zeigt, wie häusliche Gewalt an deutschen Gerichten immer noch verharmlost wird.

Vor Gericht stritten sich zwei ehemalige Eheleute um den Ausschluss von Rentenansprüchen nach einer Scheidung, die nach § 27 Versorgungsausgleichsgesetz erfolgen kann, wenn ein Rentenausgleich „grob unbillig“ ist. Während der Ehe war es zu mehreren physischen Gewalttaten gekommen, für die der Ehemann in fünf Fällen wegen Körperverletzung sowie in zwei Fällen wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten auf Bewährung verurteilt worden war. In einem der Fälle hatte der Ehemann seine Frau schwer am Kopf verletzt und sie anschließend mit Armen und Beinen am Bett fixiert und ihr ein Kopfkissen ins Gesicht gedrückt. Er ließ erst von ihr ab, als der Sohn der Ehefrau einschritt. Es ist davon auszugehen, dass die Frau Todesangst hatte.

Häusliche Gewalt als gesamtgesellschaftliches Problem

Häusliche Gewalt tritt noch immer extrem häufig auf und ist vornehmlich ein Problem von Frauen:  Fast jede vierte in Deutschland lebende Frau hat bereits körperliche und/ oder sexualisierte Gewalt durch ihren (Ex-)Partner erlebt. Laut BKA-Statistiken sind 82 % der davon Betroffenen Frauen. Das Problem der häuslichen Gewalt ist durch die zweite Frauenrechtsbewegung der 1970er Jahre in den gesellschaftlichen Diskurs eingebracht worden und mittlerweile als Gewalt im Privaten rechtlich missbilligt. Im Vergleich zu sexualisierter Gewalt hat sich die grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber häuslicher Gewalt schon früher in der Gesellschaft etabliert. In Deutschland wurde versucht die Forderungen nach Beendigung der Gewalt und erhöhtem Schutz der Betroffenen u.a. durch das 2002 in Kraft getretene Gewaltschutzgesetz umzusetzen.

Verharmlosende Argumentation des Familiengerichts

Im hiesigen Fall entzog sich das Familiengericht jedoch dieser gesellschaftlichen Wertung und argumentierte, dass die gegen die Ehefrau verübten Straftaten nicht in dem Maße erheblich wären, dass eine Ausnahme vom Grundsatz der Teilung der Rentenansprüche gemacht werden könne. Zudem habe die Ehefrau ihrem Mann damals mehrfach verziehen und es das Verhältnis der Eheleute sei offenbar nicht nur durch die begangenen Straftaten geprägt gewesen.

Dieser abenteuerlichen Argumentation wiedersetzte sich das OLG und gab der Frau infolge ihrer Beschwerde Recht. Nicht nur sei eine hohe Anzahl Straftaten gegen sie verübt worden, auch wiege vor allem der eine, oben beschriebene Vorfall besonders schwer. Die Frau habe die konkrete Situation als Tötungsversuch empfinden müssen, dem sie bis zum Einschreiten ihres Sohnes wehrlos ausgesetzt gewesen war. Eine Teilhabe des Ehemannes an den Rentenansprüchen sei deshalb nicht zu rechtfertigen. Zudem würden die späteren Versöhnungsversuche keinesfalls das Fehlverhalten des Ehemannes relativieren.

Richtige Entscheidung, Problem muss aber benannt werden

Das OLG hat das verharmlosende Urteil des Familiengerichts richtigerweise aufgehoben. Darüber hinaus ist es aber ungemein wichtig, das zugrundeliegende Problem bei seinem richtigen Namen zu benennen: häusliche Gewalt. Diese wirkt strukturell – so ist in sie in ihren Auswirkungen weder auf den Privatraum noch auf Einzelfälle beschränkt. Nur durch die ausdrückliche Benennung eines Problems kann auch im politischen Sinne darauf aufmerksam gemacht werden. In diesem Fall ist die Thematisierung des Problems nun einzig der Einzelinitiative der Frau zu verdanken, die den Beschluss des Familiengerichts nicht hinnehmen wollte. Sie ist damit den einschüchternden und lähmenden Effekten, die häusliche Gewalt mit sich bringen, entgegengetreten. Beschlüsse wie der nun aufgehobene des Familiengerichts sind daher nicht nur juristische Fehlentscheidungen, sondern führen zu einem backlash in der Anerkennung und im Empowerment der betroffenen Personen, sich zu Wehr zu setzen.

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