Keine Eile beim Datenschutz

Das Bundesverfassungsgericht hat zum zweiten Mal auf Aussetzung gerichtete Eilanträge gegen das Gesetz, dass die Vorratsdatenspeicherung regelt, abgelehnt. Laut der Begründung des Gerichts können die aufgeworfenen Verfassungsfragen nicht im Wege einer Eilentscheidung geklärt werden. Die Rechtmäßigkeit der vorgesehenen anlasslosen Aufzeichnung von Kommunikationsdaten ist allerdings sehr fragwürdig.

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

Mit Beschluss vom 26. März 2017 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erneut zwei Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das, im Dezember 2015 in Kraft getretene, Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten (VDS) abgelehnt. Die Antragsteller*innen hatten erreichen wollen, dass die Anwendung des umstrittenen Gesetzes bis zum Vorliegen einer endgültigen Entscheidung über die Vereinbarkeit des Gesetzes mit der Verfassung ausgesetzt wird, um zu vermeiden, dass Anbieter ab Juli anlasslos Telekommunikationsdaten sammeln müssen.

Das BVerfG kann im Wege des Eilverfahrens die einstweilige Aussetzung der Gesetzesanwendung anordnen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund dringend geboten ist (§ 32 Abs. 1 BVerfGG). Dies hatte das BVerfG für das VDS-Gesetz bereits in einem Eilverfahren im Juni 2016 verneint. Nun betonte es in seinem Beschluss, dass die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), in der Ende vergangenen Jahres die anlasslose Aufzeichnung von Kommunikationsdaten als unionsrechtwidrig angesehen wurde, an dieser Bewertung nichts ändere.

Die deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung

Das im Dezember 2015 in Kraft getretene VDS-Gesetz, sieht unter anderem vor, dass Telekommunikationsanbieter bestimmte Daten sämtlicher Kundinnen und Kunden ohne spezifischen Anlass bis zu zehn Wochen lang speichern müssen. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Rufnummern, Zeitpunkt und Dauer von Telefonanrufen oder SMS-Daten. Beim Surfen im Internet werden auch IP-Adressen sowie Standortdaten erfasst (geänderter §113b Telekommunikationsgesetz). Auf diese Daten können Ermittler dann im Rahmen der Bekämpfung von Terror und schweren Verbrechen zugreifen. Die technische Umsetzung der Speicherverfahren durch die Anbieter muss bis zum 1. Juli 2017 abgeschlossen sein (§150 Absatz 13 Telekommunikationsgesetz), ab diesem Zeitpunkt sind die Anbieter verpflichtet, die Daten zu speichern.

Da nur die technischen Daten, wie zum Beispiel Zeitpunkt und Dauer des Anrufs, und nicht die Inhalte einer Kommunikation gespeichert werden, mag das Gesetz auf den ersten Blick nicht sehr eingriffsintensiv erscheinen. Bei genauerem Hinsehen ergibt sich jedoch ein anderes Bild: So ist es Forschern der Universität Stanford gelungen, durch die Auswertung vergleichbarer Metadaten Rückschlüsse auf intime Informationen zu einer Person zu ziehen, wie beispielsweise ihre Religionszugehörigkeit oder etwaige Geschlechtskrankheiten. Privatsphäre? Von wegen. Die Studie zeigt, dass die visualisierten Daten zu einem lückenlosen Profil jeder einzelnen Person zusammengefügt werden können. Auch das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung könnte auf diesem Wege ein Einfallstor für die flächendeckende Überwachung der Bürger*innen sein.

Das Gesetz ist bereits der zweite Anlauf, Vorratsdatenspeicherung in Deutschland gesetzlich einzuführen. Die erste Version aus dem Jahr 2007 war bereits 2010 durch das BVerfG als grundrechtswidrig verworfen worden. Das aktuelle Gesetz beinhaltet, ebenso wie die erste Fassung, die Verpflichtung der Telekommunikationsanbieter zu massenhafter und anlassloser Erfassung von Kommunikationsdaten. Gegenüber der ersten Fassung wurden lediglich die Speicherfristen verkürzt und die Erfassung von E-Mail-Adressen ausgenommen. Dass das Gesetz inhaltlich in großen Teilen der für verfassungswidrig befundenen Fassung gleicht, sollte bereits zu denken geben, die aktuelle Entscheidung des EuGHs tut das erst recht.

Die Rechtsprechung des EuGHs

Im Rahmen zweier Vorabentscheidungsersuchen von Schweden und Großbritannien prüfte der EuGH im Dezember 2016 die Vereinbarkeit der Verpflichtung zur anlasslosen Datenspeicherung mit dem Unionsrecht. Die betreffenden Regelungen waren insbesondere an der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation zu messen, in der geregelt ist, wie die Mitgliedsstaaten die Wahrung der Grundrechte von Bürger*innen bei Datenverarbeitungsprozessen sicherstellen. Die in diesem Zusammenhang betroffenen Grundrechte, sind das Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens (Art. 7 Grundrechtecharta), sowie das Recht auf Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 Grundrechtecharta).

Im Hinblick auf die schwedischen und britischen Regelungen entschied der EuGH, dass eine nationale Regelung, die eine allgemeine und unterschiedslose Speicherung von Daten vorsieht, unionsrechtswidrig sei. Eine solche gesetzliche Regelung stelle einen besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriff in die oben genannten Grundrechte dar.

Mit dieser EuGH-Entscheidung steht auch die Vereinbarkeit des deutschen VDS-Gesetzes mit dem Europarecht in Frage. Ein kürzlich veröffentlichtes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass das Gesetz nicht den Vorgaben des EuGH entspricht.

Laut EuGH dürfen nämlich nur Kommunikationsdaten von Menschen gespeichert werden, die mit einer schweren Straftat in Zusammenhang stehen. Eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung sämtlicher Daten hingegen wird als unionsrechtswidrig bewertet. Die Konzeption der deutschen Vorratsdatenspeicherung sieht aber genau das vor: Gespeichert werden zunächst die Daten aller Bürger*innen, unabhängig von bestimmten Kriterien. Auch anderen Kriterien der Entscheidung werde das VDS-Gesetz nicht gerecht. Es stehe deshalb im Widerspruch zum EU-Recht.

Und was nun?

Die Widersprüche zwischen dem VDS-Gesetz und der Unionsrechtsauslegung durch den EuGH sind also offensichtlich. Das ist aber erstmal reine Zukunftsmusik, denn das Bundesverfassungsgericht überprüft die Vorratsdatenspeicherung am Maßstab der deutschen Grundrechte.

Schon in seiner Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung von 2010 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass jede Aufzeichnung, Verwertung oder Kenntnisnahme durch die öffentliche Gewalt ein Eingriff in die Telekommunikationsfreiheit aus Art. 10 Grundgesetz (GG) darstellt. Deshalb handele es sich bei der Anordnung gegenüber Kommunikationsanbietern, die Daten zu erheben, zu speichern und an staatliche Stellen zu übermitteln, ebenfalls um einen Grundrechtseingriff. Dies dürfte auch auf das neue VDS-Gesetz zutreffen, denn danach müssen Anbieter Kommunikationsdaten speichern und unter Umständen an staatliche Stellen weiterleiten.

Ob ein solcher Grundrechtseingriff gerechtfertigt werden könnte, ist fragwürdig, denn man kann bezweifeln, dass die Vorratsdatenspeicherung überhaupt ein geeignetes, notwendiges und angemessenes Mittel darstellt, um den mit ihr verfolgten Zweck zu erfüllen. Nach einem Bericht des Max-Planck-Instituts, das die beantworteten Fragebögen von 847 deutschen Staatsanwält*innen ausgewertet hat, waren in Ermittlungsverfahren durchgeführte Datenabfragen auch ohne Vorratsdatenspeicherung in 96 Prozent aller Fälle erfolgreich. Auch die wissenschaftlichen Dienste des Bundestages stellen die Verhältnismäßigkeit in Frage mit einem Verweis auf Zahlen des Bundeskriminalamts, nach denen die die Vorratsdatenspeicherung lediglich zu einer um 0,006 Prozent verbesserten Aufklärungsquote führt. Die mit der Vorratsdatenspeicherung einhergehenden Grundrechtseingriffe stehen deshalb außer Verhältnis zum beabsichtigten Zweck: Starken Eingriffen in das Telekommunikationsgrundrecht stehen geringe Gewinne für die Strafverfolgungsbehörden gegenüber. Viel Freiheitsverlust versus sehr wenig Sicherheitsgewinn – keine Frage was hier überwiegen sollte. Hoffen wir, dass das auch das BVerfG so sieht. Alternativ könnte für Gegner*innen des VDS-Gesetzes aber auch der Weg zum EuGH erfolgsversprechend sein.

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