In Costa Rica tobt seit Jahren ein heftiger Streit um die Zulässigkeit der Fortpflanzungsmethode der In-vitro-Befruchtung. Vier Jahre lang hatte sich das Land dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte (IAGMR) widersetzt, der Costa Rica 2012 zu einer grundsätzlichen Zulassung der Methode verurteilt hatte. Damals hatte der Gerichtshof festgestellt, dass Costa Rica das einzige Land auf der Welt ist, in dem die In-vitro-Fertilisation explizit verboten war.
Der Gerichtshof stellte eine Verletzung des Artikels 1.1 (Bindung der staatlichen Gewalt an die Menschenrechtskonvention) in Verbindung mit den Artikeln 5.1 (Recht auf menschenwürdige Behandlung), 7.2 (Recht auf Freiheit der Person), 11.2 (Recht auf Privatsphäre), 17.1 (Rechte der Familie) der Amerikanischen Menschenrechtskonvention von 1969 fest. Die Urteile und Maßnahmen des Gerichtshofes sind für seine Mitgliedstaaten verbindlich. Letztlich war es nun der IAGMR selbst, der Costa Rica zur Völkerrechtskonformität verhalf.
Legalisierung durch Gesetz?
Seit 2012 bemühte sich der costaricanische Präsident Solís, die In-vitro-Befruchtung in seinem Land zu legalisieren. Dass sich die Mehrheit der teilweise sehr streng religiösen Abgeordneten im costaricanischen Parlament gegen ein solches Gesetz wehrten (der christliche Glaube ist nach der Verfassung Costa Ricas Staatsreligion), brachte die costaricanische Regierung, die sich als Vorkämpferin für den Gerichtshof und das internationale Recht sieht und versteht, in eine peinliche Lage. Die rechtliche Argumentation ist, dass der Lebensschutz eines Menschen mit der Befruchtung der Eizelle beginnt und bei der In-vitro-Fertilisation das Ableben befruchteter Eizellen bewusst in Kauf genommen wird. Zur Verabschiedung eines Gesetzes bedarf es in Costa Rica einer Zweidrittelmehrheit im Parlament (Art. 105 der Verfassung) und die Partei des Präsidenten Solís hat in dem in mehrere Splitterparteien zerfallenden Abgeordnetenhaus noch nicht einmal die einfache Mehrheit.
Legalisierung durch Dekret?
In einem Versuch, die Völkerrechtskonformität der nationalen Rechtslage wiederherzustellen und einer erneuten Verurteilung Costa Ricas vorzubeugen, unterzeichnete am 10. September 2015 Präsident Solís ein Dekret zur Legalisierung der In-vitro-Befruchtung. Dieses Dekret verwarf das costaricanische Verfassungsgericht indes mit Urteil vom 3. Februar 2016 aufgrund durchaus nachvollziehbarer rechtsstaatlicher Bedenken wegen des Vorbehalts des Gesetzes. Schließlich seien zudem Grundrechte betroffen, wobei eine Regelung per Dekret nur eingeschränkt möglich sei.
Zwei der sieben Verfassungsrichter stimmten gegen die Aufhebung. Unter diesen der Präsident des Verfassungsgerichts, Ernesto Jinesta, der aufgrund dieser Entscheidung aus Protest von seinem Amt zurück trat.
Legalisierung durch den IAGMR!
Zwölf Paare hatten zwischenzeitlich erneut Individualbeschwerde gegen den Staat Costa Rica wegen Missachtung des Urteils des Gerichtshofes von 2012 eingereicht und verlangten Entschädigung von weiteren 350.000 U.S. Dollar. Präsident Solís in einer beinahe aussichtslosen Lage, erbat die Unterstützung des Gerichtshofes, der das Dekret für rechtsgültig erklären solle. Dieser, aus deutschem Rechtsverständnis vermeintlich unvorstellbaren Bitte kam der Menschenrechtsgerichtshof am 1. März 2016 in seiner Resolution vom 26. Februar 2016 nach: Er erklärte erstens, dass das costaricanische Verbot der In-vitro-Fertilisation gegen die Konvention verstoße und damit keine Rechtswirkung entfalten könne (Rn. 26) und zweitens, dass das Recht auf diese Befruchtungsmethode effektiv gewährt werden und daher das Dekret gültig bleiben müsse (Rn. 36). In Costa Rica ist somit die In-vitro-Fertilisation legal und das Recht auf Familie wurde durch den durchsetzungsstarken IAGMR untermauert.