Im Rahmen unserer Interviewreihe möchten wir euch Dr. Dana-Sophia Valentiner vorstellen. Sie ist Rechtswissenschaftlerin aus Hamburg und forscht zu Themen der feministischen Rechtswissenschaft sowie – im Rahmen ihrer Habilitation – zum Recht der Verkehrswende. Als Vizepräsidentin des Deutschen Juristinnenbundes setzt sie sich rechtspolitisch für die Gleichberechtigung der Geschlechter ein und moderiert den vielgehörten Podcast „Justitias Töchter“.
Im Gespräch werfen wir ein Licht auf die Herausforderungen, mit denen Studierende der ersten Generation konfrontiert sind, ihr rechtspolitische Engagement im Deutschen Juristinnenbund und die schwierigen Umstände für Frauen in der Rechtswissenschaft. Das Interview führte Louisa Hattendorff.
Vielen Dank, Dana, dass du dir Zeit für ein Interview mit uns genommen hast. Wir haben einige Fragen zur juristischen Ausbildung, deinem Engagement und deiner Forschung. Ganz zu Beginn: Warum bist du Juristin geworden?
Am Ende der Schulzeit war mir klar, dass ich studieren wollte. Ich war mir aber nicht sicher, in welche Richtung es gehen soll. Ich habe mich auf viele unterschiedliche Studiengänge beworben, auch auf Jura. Die Wahl fiel schließlich auch deshalb auf Jura, weil ich mich schon immer für Gerechtigkeitsfragen und Frauenrechte interessiert habe, ein bestimmtes Berufsbild hatte ich aber nicht im Blick. Heute bin ich froh, dass ich diese Entscheidung getroffen habe. Das Studium legt eine gute Basis für ein verantwortungsvolles Wirken in der Gesellschaft. Das beschränkt sich nicht nur auf die Erwerbsarbeit, sondern bezieht sich auch auf das zivilgesellschaftliche und ehrenamtliche Engagement.
Was interessiert dich an diesem Beruf und diesem Feld?
Mich begeistert die Vielseitigkeit des juristischen Berufes. Man kann in klassischen juristischen Berufen, als Richterin oder als Anwältin, arbeiten, aber auch in der Verwaltung. Daneben gibt es noch so viel mehr wie die Politik, die Zivilgesellschaft, die Wirtschaft. All diese Tätigkeiten vereint, dass man in einem juristischen Beruf auch wirklich etwas bewegen, etwas bewirken kann. Das finde ich gut.
Du studierst in der ersten Generation. Mit welchen Barrieren warst du in deinem Studium konfrontiert?
Es ist gar nicht so leicht, Barrieren aus meinem eigenen Studium zu nennen, weil viele dieser Barrieren unsichtbar sind. Erst als ich mich nach meinem Studium weiter mit diesem Thema auseinandergesetzt habe, habe ich einige Barrieren erkannt, die mir so im Moment meines Studiums nicht bewusst waren.
Zunächst sind mir einige Entscheidungen vielleicht schwerer gefallen als anderen, die aus Familien mit einem akademischen Hintergrund kommen. Viele, die in der ersten Generation studieren, müssen schon die Entscheidung, zu studieren, vor ihrer Familie rechtfertigen. Das war bei mir zum Glück nicht so. Bei mir war es aber die Entscheidung, während des Studiums ins Ausland zu gehen. Ich wusste zwar, dass ich eine finanzielle Förderung bekommen könnte, habe mich am Ende aber doch dagegen entschieden. Ich dachte: Dann bin ich aus meinem Nebenjob und der Struktur raus, die ich mir aufgebaut habe und muss das nach einem Auslandsaufenthalt erst mühsam neu aufbauen.
Die größte Barriere ist sicher die Finanzierung des Studiums. Ich konnte mir nicht aussuchen, ob ich einen Nebenjob mache, aber immerhin welchen. Um spannende Einblicke in den Universitätsbetrieb zu erhalten, bewarb ich mich als studentische Hilfskraft, musste da aber immer mehrere Jobs kombinieren, um auf 450 Euro zu kommen. Das war nötig, um mir Miete und Lebensunterhalt in einer teuren Stadt leisten zu können. Das kostet Zeit und Nerven. So habe ich mein BAföG aufgestockt, das hinten und vorne nicht reicht. Wenn du als Studierende BAföG beziehst, lebst du heute sogar an oder unter der Armutsgrenze. Beim Jurastudium kommt die Problematik hinzu, dass das BAföG nicht das gesamte Studium bis zur mündlichen Prüfung, sondern nur bis zu den schriftlichen Klausuren finanziert.
Die letzte Barriere, die ich ansprechen möchte, ist ebenfalls nicht besonders sichtbar: Wissen und Nicht-Wissen. Bei vielen Dingen muss man wissen, wie es läuft oder an wen man sich wenden kann. Auch von vielen Vernetzungsmöglichkeiten muss man erst einmal wissen. Eltern, die studiert haben, können dieses Wissen an ihre Kinder weitergeben. Hätte ich zum Beispiel gewusst, wie Begabtenförderungswerke funktionieren, hätte ich mich schon im Studium auf ein Stipendium beworben.
Ich muss aber auch sagen, dass ich viel Glück hatte. Das lag vor allem an den Vernetzungsmöglichkeiten über die Fachschaft und Studierendeninitiativen, aus denen ich viel mitgenommen habe. Barrieren bestehen dennoch, man kann sie aber auch abbauen.
Was braucht es denn, um diese Barrieren abzubauen und den Zugang zum rechtswissenschaftlichen Studium besser zu machen?
Am wichtigsten ist die Vernetzung untereinander. An der Universität Hamburg gibt es zum Beispiel einen Stammtisch für Studierende in der ersten Generation. Daneben braucht es Vorbilder, auch in der Lehre. Aus der Perspektive einer Lehrenden finde ich es außerdem wichtig, Studierende, die in der ersten Generation studieren oder Diskriminierungserfahrungen machen, zu ermutigen und beispielsweise mit Gutachten für Stipendien zu unterstützen.
Wenn man sich für die Rechtswissenschaft interessiert, empfehle ich außerdem, sich eine universitätsnahe Nebentätigkeit zu suchen. Dadurch erhält man wertvolle Einblicke und lernt die Mitarbeitenden an den Professuren kennen. Auch die Mitarbeit in Gremien der Universität lohnt sich. Dort lernt man auch Studierende aus älteren Semestern kennen, mit denen man sich austauschen kann. Wenn man diese Informationsquellen nicht im familiären Umfeld hat, kann man sich über diesen Weg Kontakte aufbauen.
2017 hast du eine Studie zu Geschlechterstereotypen in juristische Ausbildungsfällen veröffentlicht. Was ist der Befund? Hat sich seitdem etwas geändert? Was muss getan werden?
In der Studie haben wir knapp 90 Ausbildungsfälle an zwei Hochschulen in Hamburg untersucht und festgestellt, dass Männer mit 80 % der dargestellten Personen stark überrepräsentiert sind. Wenn Frauen dargestellt werden, treten diese in geschlechterstereotypen Rollen auf oder werden stereotyp beschrieben. Klassische Beispiele sind „der Rechtsanwalt und die Sekretärin“ oder „der Geschäftsführer und die schusselige Geliebte“. Frauen treten weniger eigenständig auf, werden seltener berufstätig dargestellt.
Das war der Befund vor fünf Jahren. Geändert hat sich aber wenig daran. Es gibt einige Studierendeninitiativen, die sich zwischenzeitlich Fälle angeschaut und ähnliche Ergebnisse gefunden haben.
Wenn man sich einen Eindruck von sexistischen Ausbildungsfällen machen will, kann man sich einige Beispiele auf dem Blog Üble Nachlese anschauen. Aber was würde helfen, diesen Stereotypen in Ausbildungsfällen entgegenzuwirken?
Es braucht Sensibilisierung, die wir im Moment auch schon schaffen. In der Verantwortung sehe ich zum einen die Fakultäten, das Thema institutionell zu bearbeiten. An einigen Fakultäten gibt es bereits Handreichungen für neue Lehrbeauftrage oder AG-Leiter*innen. Zum anderen müssen wir die Lehrenden direkt für diese Form von Stereotypisierung sensibilisieren und klarmachen, warum das aus didaktischer Sicht wichtig ist. Es ist ja nicht so, dass sich Lehrende hinsetzen und denken: „Ha ha, jetzt schreibe ich einen sexistischen Fall“. Das passiert oft unbewusst.
Kommen wir zu deinem Engagement. Mit Selma Gather moderierst du den vielgehörten Podcast „Justitias Töchter“, von dem auch wir große Fans sind. Worüber sprecht ihr und warum habt ihr damit begonnen?
Bei Justitias Töchter sprechen wir mit Frauen über Recht und über Frauen im Recht. Wir beschäftigen uns mit Fragen rund um Gleichberechtigung, Feminismus und Recht. Das Themenspektrum reicht von Parité in den Parlamenten über das diskriminierende Abstammungsrecht bis zur Strafbarkeit von Femiziden. Wir haben das Projekt gestartet, um unsere spannenden Kolleginnen sichtbarer – beziehungsweise hörbarer – zu machen. Wir wollen der spannenden und erkenntnisreichen Forschung in der feministischen Rechtswissenschaft eine Bühne bieten und feministische Forschung mit rechtspolitischen Forderungen verknüpfen. So schnell gehen uns die Themen auch nicht aus! Das ist natürlich schön für den Podcast, es ist aber auch beunruhigend, dass es noch so viel Rede- und Reformbedarf gibt.
Was können deiner Meinung nach Podcasts als Medium zur juristischen Wissensvermittlung beitragen?
Meiner Ansicht nach sind Podcasts ein ergänzendes Medium neben den klassischen Formaten wie Texten, Büchern und Beiträgen in Fachzeitschriften. Das Besondere ist, dass es uns als Moderator*innen die Möglichkeit gibt, unsere Themen frei zu setzen und unseren Gesprächspartnerinnen Raum zu bieten. Es kommt uns auch darauf an, nicht nur Jurist*innen zu erreichen. Wir verfolgen den Anspruch, juristische Inhalte so zu erklären, dass auch diejenigen, die zwar an den Themen interessiert sind, aber keine juristische Ausbildung haben, sich über den Podcast informieren können. Ich hoffe, das geht auf. Die Hörer*innenzahlen sind jedenfalls gut.
Du bist Vizepräsidentin des Deutschen Juristinnenbundes. Welche Rolle spielt der Verband aus deiner Sicht für Frauen in juristischen Berufen?
Der Deutsche Juristinnenbund spielt eine ganz fundamentale Rolle für Frauen in juristischen Berufen. Zum einen bietet der Verband einen wunderbaren Ort zur beruflichen Vernetzung, die unterstützend und motivierend sein kann. Kolleginnen können sich hier unverblümt über die Probleme im beruflichen Alltag austauschen. Zum anderen versuchen wir im Deutschen Juristinnenbund den Auftrag der Verfassung, nämlich die Gleichberechtigung der Geschlechter, mit Leben zu füllen und ganz konkrete rechtspolitische Vorschläge zu machen. Ich denke, das ist für keine Juristin trivial.
Ist der Deutsche Juristinnenbund ein Zusammenschluss von Frauen oder ein feministischer Bund?
Der Deutsche Juristinnenbund ist beides, ein Zusammenschluss von Frauen und ein feministischer Bund. Der Zusammenschluss von Frauen ist satzungsmäßig vorgegeben, von der Mitgliederstruktur her trifft das also zu. Wir sind aber auch ein feministischer Verband, weil wir in unserer rechtspolitischen Arbeit einen feministischen Anspruch verfolgen, mit feministischen Forderungen hörbar werden und diese in ganz konkrete rechtspolitische Vorschläge gießen.
Neben deinem feministischen Engagement forschst du auch zu feministischen Themen. Du hast eine Promotion zum Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung geschrieben, die unter anderem mit dem Marie-Elisabeth-Lüders-Preis ausgezeichnet wurde. Was hat dich dazu bewegt, zu promovieren?
Die Entscheidung für die Promotion ist schon während meines Studiums gefallen. Ich habe früh im Studium einen Einblick in den Bereich der Legal Gender Studies erhalten und fand es so spannend, dass für mich schnell klar war: Ich will die Zeit haben, mich in das Feld einzuarbeiten und mich mit einem Thema intensiv zu beschäftigen. Am Ende das Studiums habe ich noch kurz überlegt, ob ich nicht erst das Referendariat machen sollte. Nach der Examensvorbereitung und dem ersten Staatsexamen wollte ich mir aber dann aber lieber die Zeit nehmen, mich zu entwickeln und an interessanten Fragestellungen zu arbeiten.
Wem würdest du eine Promotion nahelegen?
Eine Promotion würde ich allen empfehlen, die darauf Lust haben – jedenfalls eine Promotion anzufangen. Es ist auch nicht schlimm, wenn man merkt, das ist es doch nicht und wieder aufhört. Ich würde empfehlen, dass man sich ein bisschen Zeit nimmt und überlegt, ob es eine Fragestellung gibt, an der man länger arbeiten möchte. Fragestellungen, Themen und unbearbeitete Felder gibt es genug. Man muss aber wissen, dass man Geduld braucht. Es braucht Zeit, sich in ein Thema einzuarbeiten und sich die notwendige Expertise aufzubauen. Ich würde nur denjenigen, die schon ein konkretes Berufsziel haben und wissen, sie wollen lieber gestern als heute anfangen, auf dieses Ziel hinzuarbeiten, von einer Promotion abraten.
Inzwischen habilitierst du zum Recht der Verkehrswende und nachhaltiger Mobilität. Strebst du eine Karriere in der Wissenschaft an, also möchtest du einmal Professorin werden? Was reizt dich daran?
Ja, ich möchte Professorin werden. Besonders reizt mich daran, dass ich als Professorin meine Themen selber setzen kann. Das empfinde ich als ein wahnsinniges Privileg. Dabei habe ich das Feld der feministischen Rechtswissenschaft natürlich besonders im Blick. Zu der Tätigkeit als Professorin gehört für mich auch das Entwickeln von neuen Forschungsprojekten. Zu einem innovativen Thema interdisziplinär mit klugen Wissenschaftler*innen aus anderen Fächern zu arbeiten, finde ich sehr bereichernd. Außerdem macht mir die Lehre ungemein viel Spaß. Es ist einfach schön, mit Studierenden im Austausch zu sein und die Möglichkeit zu haben, sie in ihrer Ausbildung zu begleiten.
Nur ca. 17 % aller ordentlichen Professuren in der Rechtswissenschaft sind von Frauen besetzt. Woran liegt das?
Ulrike Schultz und andere haben vor kurzem das Buch „De jure und de facto: Professorinnen in der Rechtswissenschaft“ veröffentlicht, in dem sie sich empirisch anschauen, welche Stolpersteine und Steigbügel auf dem Weg zur Karriere als Rechtswissenschaftlerin liegen. Das Buch kann ich für fundierte Hintergründe empfehlen.
Aus meiner persönlichen Erfahrung würde ich sagen, dass es der lange und unsichere Weg zur Professur ist. Bis Ende 30 sind wir „wissenschaftlicher Nachwuchs“. Das ist ein Alter, in dem Kolleg*innen schon längst verbeamtet auf ihrer Lebenszeitstelle in der Richterschaft sitzen. Das ist absurd. Gleichzeitig muss man in der Qualifizierungszeit besonders viel leisten und steht in großer Konkurrenz. Du weißt nie: Werde ich mich durchsetzen können? An welchem Ort werde ich landen?
Man muss natürlich auch sagen, dass wir als Jurist*innen gute Alternativen zur wissenschaftlichen Karriere haben. Das ist in vielen anderen Disziplinen nicht so. Viele von diesen Alternativen bieten eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es ist einfach so: Es gibt wenige Professorinnen und von den wenigen Professorinnen haben noch weniger Kinder.
Welche Verantwortung tragen wir als feministische Jurist*innen und Rechtswissenschaftler*innen?
Die rechtswissenschaftliche Ausbildung gibt uns das Rüstzeug, gesellschaftlich etwas zu verändern und uns auch für eine gleichberechtigte Gesellschaft einzusetzen. Vielleicht ist das dann auch die Verantwortung. Das finde ich auch an der Arbeit im Deutschen Juristinnenbund toll: Die feministischen Forderungen, die wir ausarbeiten, sind auf einem ganz hohen juristischen Niveau und werden auch deshalb durch die Politik geschätzt und aufgegriffen. Wir arbeiten in der Sprache, die sich unmittelbar in die Gesetzgebung übersetzen lässt.
Trotzdem können wir nicht alles im Alleingang machen. Man darf den feministischen Juristinnen nicht zu viel Verantwortung zuschreiben. Gesellschaftliche Veränderung erreichen wir schlussendlich nur gemeinsam mit allen.
Zum Abschluss möchten wir dir noch zwei Fragen stellen, die wir all unseren Interviewpartner*innen stellen. Und zwar: Welches Buch – abgesehen von deiner Dissertation – müssen Jurist*innen lesen?
Ich habe zwei Empfehlungen: Zum einen das Studienbuch „Feministische Rechtswissenschaft“, das von Ulrike Lembke und Lena Foljanty herausgegeben wird. Das Buch gibt thematisch untergliedert einen Einblick in die feministische Perspektive auf Recht. Man findet darin zum Beispiel Beiträge zum Arbeitsleben, zu Privatheit und Familie, Gewalt, Migration, und politische Partizipation. Zum anderen empfehle ich das Lehrbuch „Rechtssoziologie. Eine Einführung in die interdisziplinäre Rechtsforschung“ von Susanne Baer. Das Buch macht klar, was Recht tatsächlich ausmacht.
Und welche Botschaft möchtest du den Leser*innen des Blogs und insbesondere jungen Jurist*innen mitgeben?
Sucht euch Verbündete. Das Jurastudium ist schon schwer genug. Vernetzt euch, tauscht euch aus, bildet feministische Lesekreise. Und: Setzt euch weiter für die Reform der juristischen Ausbildung ein. Es muss sich einiges bewegen und ich bin zuversichtlich, dass sich da noch einiges bewegen kann. Dafür lohnt es sich, laut zu bleiben.
Vielen Dank für das Interview.