Mehr Geschlecht als gerecht ausgebildet

Von Berlin aus gesehen ist Münster schon ziemlich weit weg. Doch der Weg zur „schlecht und gerecht“-Tagung am 22.-23.4.16 lohnte sich: Die knappen 1,5 Tage Nachdenken und Sprechen über „Sexismus in der (juristischen) Ausbildung“ waren großartig.

Tagen gegen Widerstand

Es war nicht einfach gewesen mit der Ausrichtung einer Veranstaltung an der Universität Münster, die den Sexismus insbesondere in der juristischen Ausbildung thematisieren sollte. Schon 2015 hatte der AK We love Consent versucht, eine Podiumsdiskussion zum Thema zu organisieren. Diskussionsteilnehmer*innen waren eingeladen, ein Termin stand fest, und dann sprang ein Teilnehmer – ein Münsteraner Zivilrechtsprofessor, der mit Fallbeispielen wie „Das besondere Verhältnis der Frau zu ihrer Einbauküche“ für gemischte Gefühle unter den Studierenden gesorgt hatte – ab. Und verweigerte in der Folge nicht nur die Mitarbeit beim Finden eines etwaigen Ausweichtermins, sondern empfahl den Organisator*innen auch, das Thema nicht zu groß aufzuziehen, da es das in der Rechtswissenschaft einfach nicht sei.

(K)ein großes Thema

Das mag sein. Es ist kein „großes Thema“, es ist unterbelichtet und wird vielerorts nicht einmal als Problem begriffen. Was aber ein Argument für, und nicht gegen, die Ausrichtung einer solchen Veranstaltung ist. Die Münsteraner Organisator*innen haben also genau richtig gehandelt, als sie in einer „jetzt erst recht“-Haltung gleich eine Tagung draus machten.

Denn die juristische Ausbildung hat ein Sexismus-Problem. Um dieses zu veranschaulichen, wurden im ersten Workshop am Samstagmorgen zu Marginalisierungstendenzen in der juristischen Ausbildung ein paar Statistiken herangezogen. Während mittlerweile über 50% der Absolvent*innen Frauen sind, stellen diese nur 13,7% der C4-Professuren. Ein stichprobenartiger Blick auf die Lehrstühle drei großer juristischer Fakultäten (LMU München, HU Berlin, Münster) ergibt ein Verhältnis von 75 zu 15. Ähnliche Phänomena lassen sich bei der Notenvergabe beobachten. Während Frauen im Abitur noch signifikant besser abschneiden als Männer, sind ihre Ergebnisse im juristischen Examen im Schnitt signifikant schlechter als die der Männer. Dabei sind die Ergebnisse der mündlichen Prüfung sogar noch schlechter.

Reiner Zufall? Kein Problem? Kein „Thema“? Schwer zu glauben. Obige Statistiken sind mitnichten ein spezifisch rechtswissenschaftliches Phänomen, in anderen Branchen sieht es nicht besser aus. Genauso wenig beschränkt es sich auf das Problem des Sexismus – ähnliches kann sicher über Rassismus, Klassismus und andere –ismen gesagt werden.

Tief verwurzelter Sexismus

Um aber eine Idee davon zu bekommen, wie tief verwurzelt der Sexismus in der juristischen Ausbildung ist, lohnt sich ein Blick auf die Übungssachverhalte, die einen großen Teil des juristischen Ausbildungsmaterials ausmachen. Hier wird häufig auf geschlechtsspezifische Rollenklischees wie auch rassistische Stereotypisierungen zurückgegriffen. Frauen kommen in vielen Rechtsgebieten entweder gar nicht oder als Sekretärin, Geliebte oder Opfer vor. Das liegt sicher auch daran, dass zum Teil jahrzehntealtes Unterrichtsmaterial weiter verwendet wird, ohne dass dieses z.B. mit Blick auf die transportierten Rollenbilder überarbeitet wird. Wie tief sexistische Prägungen aber noch heute sitzen, ist daran zu sehen, dass solch diskriminierende Sachverhalte von allen Beteiligten häufig überhaupt nicht als solche wahrgenommen oder sogar als ansprechend, erfrischend und humorvoll empfunden werden.

(Sexistische) Stereotype werden so, unreflektiert, perpetuiert. Im Nachmittagsworkshop wurde besprochen, wo hier anzusetzen wäre. Zunächst wurde anhand von Beispielen diskutiert, ob und was einen Fall sexistisch macht – was freilich oft nicht eindeutig zu beantworten ist. Es wurde dann überlegt, wie solche Fallgestaltungen diskriminierungsfrei umgeschrieben werden könnten, ob und wie durch Fälle z.B. Gender-Stereotype „provokativ“ in Frage gestellt werden können und wie eine ideale diskriminierungsfreie und inklusive Sprache in solchen Fällen aussehen könnte.

Wanted: Sensibilisierungsoffensive

Die Tagung sollte ausdrücklich nicht nur dazu da sein, sich in Problembeschreibungen zu verlieren, sondern auch, um gemeinsam aktiv zu werden. Denn das Anprangern von Sexismus im Alleingang macht meistens keinen Spaß. Das Verhalten des Münsteraner Zivilrechtsprofessors im Vorfeld der Tagung ist nur ein relatives mildes Beispiel dessen, was denjenigen entgegen schlagen kann, die öffentlich auf das Thema aufmerksam machen. Daniela Schweigler, die 2014 einen Beitrag zum Sexismus in der bayrischen Justizausbildung in der DRiZ veröffentlichte, verlas in diesem Zusammenhang anlässlich ihres Eröffnungsvortrags einige Leserbriefe, die sprachlos machen. Sie zeugen davon, dass es immer noch ein Bollwerk von Menschen gibt, die nicht nur das Problem „nicht sehen“, sondern den Status Quo auch aggressiv zu verteidigen bereit sind.

Es reicht also nicht nur, z.B. Ausbildungsmaterial diskriminierungsfrei umzugestalten. Es bedarf zudem einer Sensibilisierungsoffensive. Es müssen Mittel gefunden werden, um effektiv auf das Problem aufmerksam zu machen, nicht zuletzt, um diejenigen Studierenden zu unterstützen, die als Einzelne den Mut aufbringen, sich z.B. über sexistische Fallgestaltungen bei den Verantwortlichen zu beschweren und teilweise obige Reaktionen ernten. Und diejenigen, die den Mut aus genau diesen Gründen nicht aufbringen.

Eine Sensibilisierung für Diskriminierungen und ein kritischer Blick auf Stereotype sind gerade für Rechtsanwender*innen unabdingbar. Derzeit kommt eine solche in der juristischen Ausbildung nicht nur zu kurz, sondern es werden „–ismen“ reproduziert und perpetuiert. Ideen und Ansätze gibt es, dank Münster, genug: Schlüsselqualifikationskurse zur diskriminierungsfreien Fallgestaltung, die Einrichtung einer externen Beobachtungs- und Beschwerdestelle, die empirische Untersuchung von Klausurfällen auf stereotype Darstellungen und diskriminierenden Sprachgebrach sowie Möglichkeiten des Austauschs von vielfältig-diskriminierungsfreiem Ausbildungsmaterial für Lehrpersonen.

Ein Beispiel könnte sich außerdem an der Harvard Business School genommen werden: Dort wurden im Rahmen einer Geschlechtergerechtigkeitskampagne ab 2011 Lehrveranstaltungen stenographiert und die mündliche Mitarbeit sodann anonymisiert bewertet. Mit der Folge, dass die Notenunterschiede von Frauen und Männern nahezu sofort verschwanden.

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