Im Sinne des Diskriminierungsverbotes aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG dürfen deutsche Behörden bei der Anwendung der Gesetze keine Person aufgrund ihrer „Rasse“ diskriminieren. So entschied am 21. April 2016 das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz. Was als Selbstverständlichkeit erscheint, wird von Seite der Klagenden zu Recht als „Meilenstein im Kampf gegen die rechtswidrige Praxis des Racial Profiling“ bezeichnet. Das Urteil des OVG Rheinland-Pfalz erging im Fall einer verdachtsunabhängigen Personenkontrolle durch die Bundespolizei, wie sie im grund- und menschenrechtlichen Diskurs seit langer Zeit heftiger Kritik ausgesetzt ist.
Im konkreten Fall klagte ein deutsches Ehepaar, das während eines Tagesausflugs mit seinen zwei Kindern auf einer Zugfahrt von Mainz Richtung Bonn einer Personalkontrolle durch die Bundespolizei unterzogen wurde. Die Beamt*innen forderten die Kläger*innen ohne Angaben von Gründen und vor den Augen der anderen Mitreisenden auf, ihre Personalausweise vorzulegen, wobei die Daten zur Prüfung an die Leitstelle übermittelt wurden. Die Schwarze Familie blieb die einzige Personengruppe, die im Zug kontrolliert wurde. Die Bundespolizei verließ nach Rückgabe der Ausweise den Zug. Daraufhin machten die Eheleute gerichtlich geltend, die polizeiliche Maßnahme sei in ihrem Fall rechtswidrig gewesen und verstoße gegen das grundgesetzliche Gleichbehandlungsgebot.
Die deutsche Praxis
Damit musste sich erneut ein deutsches Gericht mit der verdachtsunabhängigen Personenkontrolle gemäß §22 Abs.1 a BPolG befassen. Mit dem Ziel, die unerlaubte Einreise in das Bundesgebiet zu unterbinden, ermächtigt diese Norm die polizeilichen Behörden dazu, ohne konkreten personenbezogenen Verdacht Kontrollen durchzuführen. Die Befugnis, stichprobenartig vorzugehen und dabei jede Person auf einen vermeintlich irregulären Aufenthalt zu überprüfen, räumt den Beamt*innen einen weitreichenden Ermessensspielraum ein: Sie entscheiden, welche Personen ihnen – unabhängig von kriminalistischen Anhaltspunkte oder sonstigem Verhalten – verdächtig erscheinen. Die Regelung führt damit unweigerlich zu einer Abhängigkeit der Kontrollen vom äußeren Erscheinungsbild der Person. Dies wurde in einem verwandten Fall vor dem Verwaltungsgericht Koblenz deutlich. Auch hierbei ging es um die Personenkontrolle eines Schwarzen Bundesbürgers während einer Zugfahrt. Das Verwaltungsgericht Koblenz befand in erster Instanz, die polizeiliche Maßnahme sei rechtmäßig gewesen und die Auswahl der Personen nach dem äußeren Erscheinungsbild zulässig. Zuvor hatte eine*r der Beamt*innen ausgesagt, der Kläger sei „aufgrund seiner Hautfarbe ins Raster gefallen“.
Racial Profiling als Verstoß gegen grund- und menschenrechtliche Fundamentalnormen
Eine Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund phänotypischer, unveränderlicher Merkmale wie der Hautfarbe oder der Gesichtszüge stellt jedoch eine rassistische Diskriminierung dar, die den Personen ihren menschlichen Achtungs- und Gleichbehandlungsanspruch nimmt. Dieses Diskriminierungsverbot ist zum einen in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG verankert und gleichzeitig Kerngehalt des internationalen sowie europäischen Menschenrechtsschutzes, kodifiziert u.a. in Art. 14 Europäische Menschenrechtskonvention, Art. 2 Abs. 1 und Art. 26 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie in der Antirassismuskonvention, in deren Licht das Grundgesetz auszulegen ist. Das Urteil des VG Koblenz widerspricht somit dem Grundgesetz sowie fundamentalen Menschenrechtsnormen und wurde zu Recht im Berufungsverfahren vor dem OVG Rheinland-Pfalz aufgehoben. Allerdings spielte Art. 3 Abs. 3 GG keine Rolle in der Urteilsbegründung, weil die Bundespolizei sich entschuldigt hatte und das Verfahren darauf hin erledigt erklärt wurde. Dennoch ist die Entscheidung des VG Koblenz symptomatisch für die fehlende Sensibilität und Anerkennung der Problematik des Racial Profiling in Deutschland, trotz seiner gravierenden Folgen für die Betroffenen und der Erheblichkeit der Grundrechtsverletzung.
Im öffentlichen Diskurs wird kaum thematisiert, wie diese Praxis aufgrund ihres hoheitlichen Charakters Gefahr läuft, bestehende Stereotype und Rassismen in der deutschen Gesellschaft zu verstärken, indem die polizeilichen Kontrollen für Außenstehende eine illegale Tätigkeit der betroffenen Personen suggerieren. In einem ähnlich gelagerten Fall des letzten Jahres vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart vermied es das Gericht von vornherein, sich mit der Vereinbarkeit der bundespolizeilichen Kontrollpraxis mit dem Gleichheitsgebot des Grundgesetzes auseinanderzusetzen. Zwar wurde die Kontrolle eines Zugfahrenden dunkler Hautfarbe für rechtswidrig erklärt, zu dieser Entscheidung gelang das Gericht jedoch vollkommen ohne Bezugnahme auf Art. 3 GG, sondern lediglich aufgrund europarechtlicher Erwägungen. Auch die Bundesregierung hat es bis dato versäumt sich der Problematik anzunehmen. Sie verwies nach dem ersten Urteil des OVG Rheinland-Pfalz lediglich darauf, dass die Praxis des Racial Profiling in der Bundespolizei keine Anwendung finde. Damit umging sie eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie auf das aus § 22 Abs. 1 a BPolG erwachsende Risiko von rassistischen Diskriminierungen zu reagieren ist.
Ein Meilenstein im Kampf gegen Racial Profiling
Umso zentraler ist daher die aktuelle Entscheidung des OVG Rheinland-Pfalz, in der das Gericht klarstellt, dass die Personenkontrolle der Familie gegen Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG verstoßen hat, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Hautfarbe ein die Entscheidung zur Durchführung der Kontrolle tragendes Kriterium unter mehreren war. Das Gericht führt aus, dass ein Motivbündel, in dem die Hautfarbe ein Anknüpfungskriterium unter mehreren sei, ausreiche, um einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG anzunehmen. Es geht damit über die bisherige Rechtsprechung zu Racial Profiling hinaus und orientiert sich an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur geschlechtsspezifischen Diskriminierung. Während in vergangenen Verfahren um Racial Profiling die inneren Motive der Beamt*innen bei der Kontrolle nur schwerlich nachzuweisen waren, muss die Bundespolizei auf Grundlage dieses Urteils darlegen, gerade nicht anhand phänotypischer Merkmale unterschieden zu haben. Auch mit der Feststellung, dass eine Diskriminierung bereits dann gegeben ist, wenn die Hautfarbe nur als ein Kriterium von mehreren für die Kontrolle ausschlaggebend war, erreicht das Gericht eine Stärkung des Diskriminierungsverbotes im Kontext der verdachtsunabhängigen Kontrollen. Die dem § 22 Abs. 1 a BPolG immanenten grund- und menschenrechtlichen Probleme können durch ein Urteil allein selbstverständlich nicht gelöst werden. Dennoch ist die Entscheidung ein wichtiger Schritt hin zur Anerkennung der diskriminierungsrechtlichen Problematik der polizeilichen Maßnahmen und bringt die Rechtswidrigkeit des Racial Profiling erneut in die öffentliche Debatte.