Say their names – Vergessene Tote und der internationale Tag gegen Polizeigewalt

Soundtrack: Janelle Monae ft. Wondaland Records – Hell you talmbout

Am 15. März ist der internationale Tag gegen Polizeigewalt. Seit 1997 wird der Tag zum Anlass genommen, in der breiten Öffentlichkeit auf das Thema Polizeigewalt aufmerksam zu machen, dagegen zu protestieren und den Todesopfern und ihren Angehörigen zu gedenken. Die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) erinnert in diesem Jahr an den am 27. September 2016 in Berlin durch die Polizei getöteten Husam Fadhl Hussein.

Internationaler Tag gegen Polizeigewalt: von der Schweiz nach Kananda nach Deutschland

Dieser Tag des Protests wurde am 15. März 1997 auf Initiative des Blag Flag Kollektivs aus der Schweiz geschaffen. Dort waren am gleichen Tag zwei Kinder im Alter von 11 und 12 Jahren von der Polizei totgeschlagen worden. Die Gruppe Citizens Against Police Brutality half aus Montréal bei der Einführung dieses Tages. In Montréal gibt es jährlich einen großen Protestmarsch; in vielen US-amerikanischen Städten finden Demonstrationen und Kundgebungen statt.

Auch in Deutschland gibt es immer mehr Personen und Gruppen, die Polizeigewalt nicht hinnehmen wollen, die sich organisieren und sich wehren. Das bundesweite Aktionsbündnis zum 15. März hat 2019 Aktionen in verschiedenen Städten organisiert, um diesem Tag die Beachtung zu schenken, die er verdient. In Hamburg gab es einen anti-rassistischen Spaziergang gegen sogenannte kriminalitätsbelastete Orte, in Frankfurt am Main und in Magdeburg Kundgebungen und in Leipzig eine Fotoaktion.

#sayhisname #HusamFadhl

In Berlin organisierte KOP eine Kundgebung vor einer ehemaligen Notunterkunft für geflüchtete Menschen in Moabit, um Husam Fadhl Hussein zu gedenken. Er war einer von 23.000 geflüchteten Menschen, die zwischen November 2014 und Juli 2017 in einer Traglufthalle untergebracht wurden. Diese Notunterkunft in Moabit sollte eigentlich nur als Übergangslösung dienen. Als Pilotprojekt wurde sie in nur zwei Wochen errichtet, sie besaß keine Fenster, es gab kein Tageslicht. Aus Holzwänden und Vorhängen wurden Sechsbettzimmer abgehängt – kleine Rechtecke ohne Decke. Die Menschen lebten auf engstem Raum, im künstlichen Licht mit ständigem Lärm und ohne jegliche Rückzugsmöglichkeit oder Privatsphäre. Die Bewohner*innen sollten deshalb nur wenige Tage in der Halle bleiben und dann umziehen können. Für viele wurden aus diesen wenigen Tagen mehrere Monate- auch für Familie Fadhil/Gate.

Zaman Gate und Husam Fadhl Hussein flohen 2014 mit ihren drei kleinen Kindern aus dem Irak nach Deutschland. Ihre Flucht führte die Familie über das Mittelmeer und entlang der Balkanroute. Dabei decken sich ihre Erfahrungen mit denen vieler anderer geflüchteter Menschen – Hunger, Angst, Demütigungen und behördliche Willkür. Die Familie hoffte in Berlin auf Sicherheit und ein besseres Leben. Doch am 27. September 2016 wurde der unbewaffnete Husam Fadhl Hussein von der Polizei vor der Notunterkunft in Moabit von hinten erschossen. Er starb am selben Tag im Krankenhaus an seinen Verletzungen. Er wurde 29 Jahre alt.

Warum schoss die Polizei?

Die Umstände, die zu seinem Tod führten, sind tragisch: Seine kleine Tochter wurde von einem Bewohner der Unterkunft sexuell missbraucht. Herangeeilte Bewohner*innen der Unterkunft übergaben den Täter dem Sicherheitspersonal, die Polizei wurde gerufen. Als der Täter im Auto saß und die Türen verschlossen waren, fielen von der Polizei abgegebene Schüsse, von denen einer Husam in den Rücken traf.

Bis heute ist unklar, weshalb die Polizei auf Husam schoss. Zeug*innen erklären einstimmig, er sei unbewaffnet gewesen. Die Polizei sagt, er habe sich dem Täter genähert. Sie behauptet auch, ein Messer bei ihm gesehen zu haben. Doch das später aufgetauchte (und angeblich am Tatort gesicherte) Küchenmesser trägt nicht seine Fingerabdrücke, und keine*r der Zeug*innen sah es vor Ort. Die Aussage der Polizist*innen, aus Notwehr gehandelt zu haben, erscheint daher fraglich.

Die Ermittlungen zur „Aufklärung“ des Todes von Husam Fadhl Hussein wurden ungenau, unordentlich und achtlos geführt und weisen Widersprüche auf. Beweise wurden nicht oder falsch gesichert, Zeug*innen nicht vernommen oder nicht vorgeladen. Die Umstände, die zum Schusswaffeneinsatz der Polizei führten, wurden unzureichend aufgeklärt, ebenso ist die Frage der Verhältnismäßigkeit ungeklärt. Dennoch stellten die Berliner Staatsanwaltschaft im Mai 2017 und die Generalstaatsanwaltschaft Berlin im September 2017 die Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts mit dem Verweis auf Notwehr und Nothilfe ein. Das kommt einem Freispruch der beteiligten Polizisten gleich. Auf Antrag von Husams Witwe, Zaman Gate, hob das Berliner Kammergericht die Einstellungsbescheide im Mai 2018 auf. Die Staatsanwaltschaft muss die Ermittlungen also fortsetzen. Ob diese aber Anklage gegen die beschuldigten Polizisten erhebt, wird auf Grundlage der neuen Ermittlungen entschieden. Bisher ist das nicht geschehen.

Aufklärung und Erinnerung

Husam Fadhl Hussein wurde vor knapp 2 ½ Jahren getötet. Seitdem kämpft Zaman Gate für Aufklärung. Die wieder aufgenommenen Ermittlungen lassen vage Hoffnung zu. Doch nichts und niemand kann den unendlichen Schmerz auflösen, den Zaman Gate und ihre Kinder empfinden. Am 15.03.2019 versammelten sich mit KOP etwa 30 Menschen vor der ehemaligen Notunterkunft. Dort gibt es nun eine Gedenktafel für Husam Fadhl Hussein, die nach einer Schweigeminute für ihn enthüllt wurde. Die Menschen legten Rosen für ihn an diesen Ort und setzten ein Zeichen für Aufklärung und gegen das Vergessen. „Wir sind vor dem Tod geflohen und fanden nichts als den Tod.“ Das sind die Worte von Zaman Gate.

#sayhisname #saytheirnames       

Die Tötung von Husam Fadhl Hussein durch die Polizei ist unfassbar tragisch – weitaus schlimmer, als es an dieser Stelle in Worte gefasst werden kann. Gleichzeitig ist sein Tod kein Einzelfall. Tod durch Polizeigewalt kommt in Deutschland häufiger vor, als viele denken – insbesondere, wenn rassistische Zuschreibungen oder psychische Auffälligkeiten oder Erkrankungen im Spiel sind. Seit 1990 hat die Polizei in Deutschland über 270 Menschen erschossen. Das sind nur die Toten, die auch in den Polizeistatistiken und der Presse auftauchen. NGOs weisen darauf hin, dass deutlich mehr Menschen in Deutschland durch die Polizei sterben. Es kommt äußerst selten vor, dass Polizist*innen im Anschluss an die Tötung eines Menschen strafrechtliche Konsequenzen tragen müssen. Gerade wegen dieser mangelhaften Handhabung der Aufklärung von Polizeigewalt in der Justiz ist es für Betroffene von Polizeigewalt und ihre Angehörigen enorm wichtig, bei der Aufklärung der Todesumstände und beim Erinnern Rückhalt und Unterstützung in der Zivilgesellschaft zu erhalten.

Solidarität mit Betroffenen von Gewalt und Diskriminierung

Tod durch die Polizei ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Viele obdachlose Menschen, People of Color und Schwarze Menschen, Trans* Menschen, gendernonkonforme und queere Personen, Sexarbeiter*innen, Menschen, die als psychisch krank gelten, linke Aktivist*innen und andere erleben Diskriminierungen, Schikanen und Gewalt durch die Polizei.

Die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt erfährt in ihrer Arbeit täglich von Menschen, die Polizeibrutalität selbst erlebt haben oder Zeug*innen dessen wurden. Als KOP vernetzen wir diese Personen mit Beratungsstellen, Psycholog*innen und Anwält*innen. Wir informieren Betroffene und Unterstützende darüber, welche Möglichkeiten der Gegenwehr sie haben. Wenn gewünscht, stellen wir Prozessbegleitung und bieten Prozessbeobachtung in Gerichtsverfahren an. Unser Rechtshilfefonds soll es Opfern von rassistischer Polizeigewalt ermöglichen, sich juristisch gegen die Ungerechtigkeit zu wehren, die ihnen widerfahren ist. Wir dokumentieren Erlebnisse von Polizeigewalt, um deren Ausmaß aufzuzeigen, das sich nicht auf bedauerliche Einzelfälle reduzieren lässt. Wir möchten eine breite Öffentlichkeit erreichen und organisieren Informationsveranstaltungen und Diskussionsrunden.

Wir rufen dazu auf, sich mit Betroffenen zu solidarisieren, gemeinsam unseren Widerstand gegen Polizeigewalt auszudrücken und die Geschichten derjenigen zu erzählen, die Polizeigewalt nicht überlebt haben. Vernetzt euch, steht auf und protestiert mit uns und anderen Gruppen bundesweit am 15. März zum internationalen Tag gegen Polizeigewalt!

#saytheirnames

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Bekir B.
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