StPO-Reform und erweiterte DNA-Analyse: Rassistische Diskriminierung durch die Hintertür

Am 15. November nahm der Bundestag die erweiterte DNA-Analyse in die StPO auf. Dadurch wird die Bestimmung von Haut-, Haar und Augenfarbe sowie des Alters anhand von DNA zulässig. Doch wo die bessere Aufklärung von Straftaten versprochen wird, drohen die Stigmatisierung von Minderheiten und rassistische Diskriminierung.

Neue Ermittlungschance oder rassistische Methode? Zur Änderung von § 81 e StPO

Die StPO-Reform sieht nebst anderen Änderungen unter anderem vor, dass § 81e StPO novelliert wird. Neben der Abstammung und dem Geschlecht einer Person sollen durch DNA-Muster nun auch die Haut-, Haar- und Augenfarbe sowie das Alter einer Person festgestellt werden können, soweit dies zur Erforschung eines Sachverhalts erforderlich ist. Aus ermittlungstechnischer Sicht soll dies dazu beitragen, den Kreis der Verdächtigen anhand äußerer Merkmale einschränken zu können. Das soll insgesamt zu einer verbesserten Aufklärung von Straftaten beitragen.

Promominent äußerte sich dazu Justizministerin Christine Lambrecht (SPD). Es würde den Ermittler*innen helfen, den Personenkreis einzugrenzen, man könne dunkelhäutige Personen auch entlasten, wenn Analysen ergäben, dass der/die Täter*in hellhäutig sei. Bei Zeug*innenaussagen würde der Hinweis auf eine*n dunkelhäutige*n Täter*in den Kreis ja ebenso einengen. Für Massengentests gäbe es zudem einen Richtervorbehalt. Die entsprechenden Stellen wüssten außerdem, mit den neuen Informationen umzugehen und seien bezüglich rassistischer Diskriminierung ausreichend sensibilisiert und informiert.

Wie aussagekräftig sind die DNA-Analysen?

Kritiker*innen, wie die Biowisssenschaftlerin Veronika Lipphardt  sind dagegen skeptisch. Sie bemängeln, die DNA-Verfahren seien zu fehlerbehaftet und unsicher. Auch andere Forscher*innen halten die Methode für noch nicht erprobt genug, um bereits eingesetzt zu werden. Die Fehlerquote bei der Aussage, dass eine Person blonde Haare hat liegt immerhin bei 30 Prozent. Generell liefern DNA-Spuren immer nur Wahrscheinlichkeitsaussagen. Trotzdem werden sie in der Praxis oft als handfeste Beweise gehandhabt. Der Strafrechtswissenschaftler Carsten Mommsen stellt zudem die Frage, welche Informationen über das Aussehen einer Person zur Aufklärung von Straftaten beitragen und welche Nebeneffekte das hat. Bis jetzt dient DNA vor allem dazu, vorhandene Spuren abzugleichen. Eine gefundene DNA-Spur kann mit den in der DNA-Analyse-Datei gespeicherten DNAs von anderen Straftaten verglichen werden, bei einer Übereinstimmung deutet viel darauf hin, dass die entsprechende Person zumindest irgendwie in die Straftat verwickelt sein könnte. Durch die erweiterte DNA-Analyse wird die Handhabung von DNA-Spuren in Ermittlungen modifiziert. Allein aus der Spur heraus wird das Aussehen der Täter*innen bestimmt. Darauf aufbauend wird dann die Ermittlung auf den entsprechenden Personenkreis eingeschränkt. Ermittlungstechnisch wertvoll sind dann nur die Ergebnisse, bei denen sich der zu ermittelnde Kreis verkleinert, also wenn die Person nicht dem Aussehen der Bevölkerungsmehrheit entspricht. Das Vorhaben der Eingrenzung des Täter*innenkreises macht also nur Sinn, wenn Haut-, Haar- oder Augenfarbe der gefundenen Spur sich von der der „Mehrheitsgesellschaft“ absetzen. Minderheiten werden dadurch einem höheren Ermittlungsdruck ausgesetzt. Wenn eine DNA-Spur am Tatort gefunden wird, die auf einen hellen Phänotyp hindeutet, werden kaum weitere Ermittlungen durchgeführt werden. Dies wäre schlichtweg zu aufwendig, weil weiße Personen den Großteil der Bevölkerung in Deutschland stellen. Andersrum funktioniert die Methode besser, der Kreis für die Ermittlungen schränkt sich auf den nichtweißen Bevölkerungsteil ein. Im Fall einer Spur, die auf einen dunklen Phänotyp hinweist, würden die Personen allein aufgrund ihres Aussehens unter Tatverdacht gestellt werden. Tradierte rassistische Vorurteile können so verstärkt werden, der Kriminalisierung von nicht-weißen Personen in Deutschland würde Vorschub geleistet. Zugleich bleibt völlig unklar, ob die Chancen für bessere Aufklärung tatsächlich verbessert werden.

Aus den Fehlern der Vergangenheit lernen: Der Mordfall Kiesewetter

Dass die Argumente der Befürworter*innen erweiterter DNA-Analysen ins Leere laufen, veranschaulichen die Ermittlungen nach dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter durch den sogenannten nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Am Tatort fanden die Ermittler*innen DNA-Spuren einer unbekannten, weiblichen Person. Diese wurden nach Österreich geschickt, dort war zu diesem Zeitpunkt, die Feststellung der biogeografischen Herkunft gesetzlich zulässig. Die Ergebnisse deuteten auf eine geographische Herkunft aus osteuropäischen oder aus an Russland grenzende Gebiete hin. Die DNA-Spuren fanden sich zu der Zeit außerdem an unzähligen anderen Tatorten in ganz Europa. Später fand man heraus, dass die DNA von einer Arbeiterin aus einer Wattestäbchenfabrik kam (Heilbronner Phantom). Bevor dies entdeckt wurde, ermittelten die Zuständigen mit den Informationen, die sie hatten. Die Person käme also aus Südosteuropa, es müsse sich zudem um eine hochmobile und hochkriminelle Person handeln, weil die Spur an so vielen weit voneinander entfernten Tatorten gefunden wurde. Diese drei Eckpunkte kombinierten die Ermittler*innen mit rassistischem Alltagswissen und schlussfolgerten schnell, es müsse sich um eine Frau aus dem „fahrenden Volk“, um eine „Zigeunerin“ handeln. Das waren Worte, die nicht nur in den Medien benutzt wurden, sondern auch in den Akten verwendet wurden. Infolge dieser Theorie wurde die DNA von ca. 3000 Frauen analysiert, die meisten von ihnen waren Romnja, andere Schaustellerinnen oder Drogenabhängige. All diese Frauen wurden damit unter Generalverdacht gestellt. Und das nur, weil die Ermittler*innen aus dem vorhandenen DNA-Material gepaart mit dem internalisierten Antiziganismus der zuständigen Personen die Erklärung naheliegend fanden, es müsse sich um Rom*nja oder Sint*izze handeln. Die Fehlermittlungen basierten auf gruppenbezogenen Ressentiments und führten zu einer Diskriminierung der falsch verdächtigten Personen.

Internalisierter Rassismus ist Realität in Deutschland. Dementsprechend sollten wir nicht wie Christine Lambrecht darauf vertrauen, die mit den Ermittlungen betrauten Personen wüssten schon, wie sie mit der DNA-Phänotypisierung umzugehen hätten. Das unhinterfragte Vertrauen in die DNA-Technologie ist zu groß, Fehlleitungen von Ermittlungen wie im Falle Kiesewetter werden in Verbindung mit rassistischen Vorurteilen erst möglich.

Verfassungsrechtliche Bedenken

Was bereits aus gesellschaftspolitischer Perspektive äußerst fragwürdig erscheint, ist auch verfassungsrechtlich betrachtet heikel. So könnte das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG betroffen sein.    Dieses Recht gewährleistet die Befugnis der Einzelperson, grundsätzlich selbst darüber zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Die DNA-Identifizierungsmuster sind nach der Rechtsprechung des BVerfG teilweise durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung geschützt. Die Gesetzgeber*innen sehen indes im neuen § 81e StPO keine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, da es sich bei den abgefragten Eigenschaften um äußere handele, die für jede Person offensichtlich erkennbar seien. Dem ist entgegenzuhalten, dass auch äußere Eigenschaften durch persönliche Entscheidungen geändert werden können, beispielsweise durch farbige Kontaktlinsen oder gefärbte Haare. Dementsprechend hat die einzelne Person eben doch eine Entscheidungsbefugnis, wie sie nach außen wirken will. Zudem sieht man bei einer DNA-Analyse die Person und ihr Aussehen gerade nicht vor sich, sondern analysiert in einem Auswertungsprozess ihr Aussehen, obwohl die Person nicht anwesend ist. Das Argument, die informationelle Selbstbestimmung sei nicht betroffen, weil es sich um das Äußere einer Person handle, ist zumindest wackelig.

Noch größer werden die verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber der erweiterten DNA-Analyse aus dem Blickwinkel des Art. 3 GG. Dieser schützt vor Diskriminierung. Gemeint ist eine Diskriminierung in Folge von Vorurteilen gegenüber historisch und politisch konstruierten Gruppen, die für die Gruppenzugehörigen stigmatisierend sind. Art. 3 III 1 GG schützt speziell vor Diskriminierung aufgrund der in ihm genannten Kategorien. Erfasst ist dabei jede Maßnahme oder Regelung, die Menschen wegen eine der Kategorien als „anders“ ausgrenzt oder stigmatisiert. Eine davon ist die „Rasse“ (ein problematischer Begriff, gemeint sind damit rassistische Zuschreibungen), darunter fällt auch die Hautfarbe. Nach Art. 3 III 1 GG darf damit niemand durch rassialisierende Anknüpfungen an Hautfarbe benachteiligt werden.

Die erweiterte DNA-Analyse ist eine Benachteiligung im Sinne des Art. 3 III 1 GG. Denn eine Untersuchung der DNA auf die Hautfarbe wird nur dann zu einer Ermittlung führen, wenn die Hautfarbe nicht der der Mehrheit der Bevölkerung entspricht. Das bedeutet, dass nicht weiße Personen dem Risiko polizeilicher Ermittlung und strafrechtlicher Verfolgung stärker ausgesetzt sind als vermeintlich „Deutsche“. Damit ist auch eine Stigmatisierung verbunden. Für diejenigen, die tatsächlich eine Straftat begangen haben und nicht weiß sind, steigt durch die einfachere Einschränkung des Täter*innenkreis auch die Gefahr, gefasst zu werden.

Als Rechtfertigung für eine Benachteiligung im Sinne des Art. 3 III 1 GG muss ein legitimer Zweck für die Maßnahme vorliegen. Kein legitimer Zweck ist alles, was selbst Ressentiments aktiviert. Durch die DNA-Phänotypisierung wird suggeriert, eine Unterscheidung aufgrund der Hautfarbe sei angebracht. Gewisse politische Lager könnten sich in der Behauptung bestärkt sehen, bestimmte Personengruppen seien per se krimineller als andere. Rassismus wird durch die Neuregelung von § 81 e nicht nur aufrechterhalten und reproduziert, sondern könnte sogar verstärkt werden. Die erweiterte DNA-Analyse ist damit nicht zu rechtfertigen und demnach verfassungswidrig.

Die erweiterte DNA-Analyse spiegelt eine zunehmend rassistische Gesellschaft

Auf eine Fachsymposium gab auch Heiko Maas zu bedenken, es müsse beachtet werden, ob die erweiterte DNA-Analyse nach dem Grundgesetz überhaupt erlaubt sei. Es sollte aber nicht nur darum gehen, wie weit wir gehen können, ohne verfassungsrechtliche Grenzen zu überschreiten. Es geht auch um die Frage, ob wir eine Gesellschaft wollen, in der die Kriminalisierung von Minderheiten aufgrund ihres Phänotpys akzeptiert ist. Die Aufnahme der erweiterten DNA-Analyse in die StPO impliziert auch, dass die Unterscheidung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe legitim ist. Angesichts der deutschen Geschichte und des zunehmenden Rechtsrucks in der Gesellschaft ist die Zulassung der erweiterten DNA-Analyse, mehr als nur verfassungsrechtlich bedenklich, ein von Grund auf falsches Zeichen. Mit der Zulassung der erweiterten DNA-Analyse durch die StPO-Reform trägt die Legislative mittelbar dazu bei, dass Rassismus immer salonfähiger wird.

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