Am Sozialgericht in Berlin finden viele Verhandlungen mit Kläger_innen statt, deren Erstsprache nicht Deutsch ist. Uns hat interessiert, wie Richter_innen mit dieser Situation umgehen und auf eventuelle Verständigungsprobleme reagieren. Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, haben wir über einen Zeitraum von vier Wochen zunächst Gerichtsverhandlungen mit Kläger_innen, deren Erstsprache nicht Deutsch ist, beobachtet und in einem zweiten, späteren Schritt Leitfadeninterviews mit den sechs Richter_innen geführt, deren Verhandlungen wir beobachtet hatten.
Unsere Vermutung, dass verschiedene Erstsprachen, ein eventueller Einsatz von Dolmetscher_innen und die daraus entstehenden Verständigungsschwierigkeiten den Ablauf mündlicher Gerichtsverhandlungen verändern würden, hat sich bestätigt. Überraschend war für uns, dass die Richter_innen die Verständigungsschwierigkeiten nicht als besonders problematisch wahrgenommen haben und daher auch keine (oder zumindest keine bewusste) Verhandlungsstrategie entwickelten, um auf diese Schwierigkeiten zu reagieren.
Rolle der Sprache vor Gericht
Ausgangspunkt unserer Überlegungen war die bedeutende Rolle der gesprochenen Sprache in mündlichen Gerichtsverhandlungen. Diese Annahme wird von Ergebnissen der Konversationsanalyse und Sprachforschung bestätigt (Gabriele Löschper 1999). Man ist sich einig, dass es nicht nur darum geht, was gesagt wird, sondern auch und vielleicht sogar ganz besonders darum, wie etwas gesagt wird. Sprache ist dabei nicht nur ein Instrument unmittelbarer Kommunikation, sondern auch ein Medium, welches dem Gegenüber Informationen jenseits des expliziten Inhalts einer Aussage vermittelt (Peter Stegmaier 2009: 332). In der mündlichen Verhandlung spielt Sprache eine ganz zentrale Rolle: Um eine rechtliche Lösung für ein Problem zu finden, muss zuerst einmal geklärt werden, was „wirklich“ vorgefallen ist. Daher erweist sich die Sachverhaltsermittlung unabhängig von den verschiedenen Prozessmaximen oft als eine zentrale Herausforderung des Verfahrens (Arne Upmeier 2010; Ludger Hoffmann 2007: 1). Ein besonders wichtiger Teil der Sachverhaltsermittlung spielt sich in der ersten Phase der mündlichen Verhandlung ab (Thomas Drosdeck 1997: 28). Dann nämlich, wenn die Kläger_innen von den Richter_innen gebeten werden, das in Frage stehende Geschehen mit eigenen Worten wiederzugeben. Während dieser Phase gehört es auch zu den Aufgaben der Richter_innen, die Glaubwürdigkeit der Kläger_innen einzuschätzen. Die Bedeutung von der verwendeten Sprache in dieser Situation erscheint offensichtlich. Trotzdem gibt es nur wenige wissenschaftliche Arbeiten, die sich mit diesem Thema beschäftigen (z.B. David Kossen 1999; Atkinson/Drew 1979). Zu „Sprache“ gehören für uns sowohl verbale Kommunikation, nonverbale und extraverbale Kommunikation, als auch kulturelle Aspekte. Nonverbale Sprache meint die Vermittlung von Nachrichten etwa über Blickkontakt, Gestik oder Mimik. Extraverbale Aspekte der Kommunikation sind Teile der Selbstdarstellung wie Kleidung oder Frisur. Jede Art der Kommunikation wird darüber hinaus auch von kulturellen Aspekten beeinflusst. Bestimmte „Codes“ und Verhaltensweisen können von den Empfänger_innen nur entschlüsselt werden, wenn ein Verständnis für die Sprachkultur des Gegenübers vorhanden ist. Ohne dieses kulturelle Vorverständnis kann es leicht zu Missverständnissen kommen. In Verhandlungen, bei denen die Erstsprache eine(s)_er Kläger(s)_in nicht Deutsch ist, haben diese paralinguistischen Phänomene erheblichen Einfluss auf die Kommunikation zwischen Richter_innen und Kläger_innen.
Unsere Beobachtungen: Irritationen der mündlichen Verhandlung
Wie also werden die Verhandlungsroutinen von Richter_innen von den Verständigungsschwierigkeiten der Kläger_innen beeinflusst und wie wird auf mögliche Irritationen oder Störungen reagiert? Wir haben 12 Verhandlungen beobachtet mit Kläger_innen, deren Erstsprache nicht Deutsch war und daraufhin sechs Richter_innen interviewt, deren Verhandlungen wir beobachtet hatten.
Dolmetscher_innen verändern die Kommunikationsstruktur
In den Beobachtungen wurde sehr schnell die besondere Rolle von Dolmetscher_innen deutlich: Um die Kommunikation während den Verhandlungen zu erleichtern oder überhaupt erst zu ermöglichen, werden in solchen Situationen typischerweise Dolmetscher_innen eingesetzt, welche dann konsekutiv – das heißt zusammenfassend nach der Aussage des Sprechers und nicht synchron – die Aussagen von Kläger_innen und Richter_innen übersetzen. Dabei wird primär eine Übermittlung der verbalen Sprache ermöglicht, die paralinguistischen Aspekte jedoch nur sehr selten weitergegeben. Uns ist aufgefallen, dass der Versuch, die Kommunikation mithilfe des Einsatzes von Dolmetscher_innen zu erleichtern, immer auch zu einer veränderten Kommunikationsstruktur führt. Dadurch, dass Dolmetscher_innen in das Sachverhaltsgespräch eingeschaltet werden, unterbrechen sie die direkte Kommunikation zwischen Richter_innen und Kläger_innen und filtern durch die zusammenfassende Übersetzung das Gesagte. Die folgenden Abbildungen zeigen, wie sich die Kommunikationsstrukturen in der ersten Phase der mündlichen Verhandlung verändern.
Die eingesetzten Dolmetscher_innen schafften in den von uns beobachteten Verhandlungen häufig eine größere Distanz zwischen Kläger_innen und Richter_innen, da die Kommunikation (wie oben dargestellt) einen „Umweg” gehen musste. So kam es in diesen Verhandlungen zum Beispiel nur sehr selten zu direktem Blickkontakt. Auffallend war außerdem die enorme Abhängigkeit der Richter_innen von den Dolmetscher_innen. Während der Konsekutivübersetzung, welche im Ergebnis oft nur eine Zusammenfassung des Gesagten ist, haben die Dolmetscher_innen eine wichtige Filterfunktion, da sie schon während der Übersetzung die Relevanz von Informationen einschätzen. Eine unklare Übersetzung kann Aussagen der Kläger_innen verzerren und damit den Verhandlungsablauf in eine andere Richtung lenken. Redeweisen oder gewisse Satzstrukturen, die so im Deutschen nicht vorkommen, können durch wörtliche Übersetzung ihren Sinn verlieren. Für die Richter_innen kommt erschwerend hinzu, dass sich die verschiedenen Dolmetscher_innen qualitativ stark unterscheiden, die Qualität der Dolmetscher_innen allerdings kaum durch die Richter_innen selbst überprüft werden kann. In den von uns beobachteten Verhandlungen wurden teilweise „falsche“ oder ungenaue Übersetzungen von anderen in der Verhandlung Anwesenden aufgedeckt, die ebenfalls die zu übersetzende Sprache sprachen und einschritten. Darauf, dass mögliche „Übersetzungsfehler“ von Anwesenden angezeigt werden, können sich Richter_innen aber natürlich nicht verlassen.
Richterlicher Kontrollverlust
Die Abhängigkeit der Richter_innen von den Dolmetscher_innen zeigte sich in einer der von uns beobachteten Verhandlungen besonders deutlich und schlug kurzzeitig sogar in offensichtliche Ratlosigkeit um:
In der Verhandlung ging es um eine Klage gegen die Entscheidung eines Jobcenters, welches die Leistungen des Klägers gekürzt hatte, nachdem bei der Baufirma, bei der dieser beschäftigt war, eine Schwarzlohnliste gefunden wurde. Der Kläger hatte angegeben, 450 € im Monat zu verdienen, während die Schwarzlohnliste einen höheren Betrag verzeichnete. Als die Richterin die Frage stellte, ob der Kläger nach dem vorliegenden Pauschalvertrag in Höhe von 450 € bezahlt worden war, ergab sich zwischen Dolmetscherin und Kläger ein längeres Gespräch auf Türkisch. Nach einer Weile antwortete die Dolmetscherin mit „Ja“. Da schritt der ebenfalls Türkisch sprechende Vertreter des Jobcenters ein und verlangte von der Dolmetscherin, die Unterhaltung komplett zu übersetzten. Es ergab sich ein Streitgespräch auf Türkisch zwischen dem Kläger, der Dolmetscherin und dem Vertreter des Jobcenters. Die Richterin konnte dem Gespräch nicht folgen, sondern sich lediglich auf den Hinweis beschränken, dass die Amtssprache Deutsch sei und ob man nicht bitte wieder zu dieser zurückkehren könne. Wie sich später herausstellte, hatte der Beklagtenvertreter gegen die unvollständige Übersetzung der Dolmetscherin protestiert, da diese dem Kläger nicht nur die Frage der Richterin übersetzt, sondern ihm gleichzeitig dazu geraten hatte, mit „Ja“ zu antworten, nachdem der Kläger auf Türkisch gesagt hatte, auf dem „Bau“ würde niemand nach einem Pauschalvertrag bezahlt.
Aus unserer beobachtenden Perspektive konnten wir also sehr deutlich erkennen, dass sprachlich bedingte Verständigungsschwierigkeiten den Verhandlungsablauf zumindest irritieren können. Das obige Beispiel beschreibt sicherlich einen besonders auffälligen Einzelfall, doch hatten die Richter_innen es auch in anderen Verhandlungen immer wieder schwer, über die Verständigungsprobleme hinaus den „normalen“ Verhandlungsablauf beizubehalten.
Erweiterte Rolle der Anwält_innen
Nicht für jede Verhandlung, in welcher die Deutschkenntnisse der Kläger_innen für die direkte Kommunikation mit den Richter_innen nicht ausreichend waren, wurden Dolmetscher_innen geladen. Wir konnten beobachten, dass gerade wenn die Anwält_innen die Sprache der Kläger_innen sprachen, diesen häufig die Aufgabe zukam, den Kläger_innen das Geschehen zu erklären. Dies erweiterte den Aufgabenbereich der Anwält_innen ungemein, da sie nun nicht nur für die rechtlichen Belange verantwortlich waren, sondern auch die Funktion der Dolmetscher_innen übernahmen und den Kläger_innen nach der Verhandlung erklären mussten, was sie sprachlich nicht verstanden hatten. Durch eine solche Rollenerweiterung kam es immer wieder zu Überschneidungen von Sachverhaltserörterung und Rechtsgespräch, welche gewöhnlich zwei voneinander abgegrenzte Phasen der mündlichen Verhandlung darstellen. Wenn in einer mündlichen Verhandlung die Richter_innen zunächst den Kläger_innen Fragen zur Aufklärung des Sachverhalts stellen, gibt dieses den Kläger_innen die Möglichkeit, das Geschehene noch einmal zu berichten und damit häufig auch Missverständnisse der Anwält_innen aufzuklären. Da die Anwält_innen gerade in Fällen der Grundsicherung häufig eine große Masse an Fällen bearbeiten und bei ihrer Verständigung mit den Kläger_innen ebenfalls keine Dolmetscher_innen zur Verfügung haben, sind Missverständnisse bezüglich des Sachverhalts nicht selten. Der Einsatz von Dolmetscher_innen vor Gericht ist dann häufig die einzige Möglichkeit die Verständigungsschwierigkeiten zwischen Anwält_innen und Kläger_innen aufzudecken. Diese Funktion der Sachverhaltserörterung entfällt, wenn die Anwält_innen selbst schon in der ersten Phase der mündlichen Verhandlung als (Sprach-)Mittler auftreten.
R6: “Ganz oft passiert es halt eben auch, dass […] selbst der Anwalt seinen Mandanten nicht vollständig verstanden hat und erst in der Verhandlung klar wird, was überhaupt Sinn des Ganzen ist.”
Die Reaktion des Gerichts: Wer keine Probleme sieht, braucht auch nicht nach Lösungen suchen.
Nach unseren Beobachtungen aus den mündlichen Verhandlungen interessierte uns, wie die Richter_innen selbst die Irritationen der mündlichen Verhandlungen einordneten. Wir vermuteten, dass die Verständigungsschwierigkeiten, zumindest informell, unter Kolleg_innen thematisiert werden würden, um möglicherweise eine einheitliche Handlungsstrategie zu entwickeln. Diese These beruht auf Ansätzen von Laura Affolter und Tobias G. Eule. Beide haben Forschungsprojekte in Ausländerbehörden durchgeführt, in denen das Aufeinandertreffen von staatlichen Institutionen mit Menschen mit Migrationshintergrund ebenfalls von Sprach- und Verständigungsschwierigkeiten geprägt ist. Eule beobachtet, dass sich innerhalb der einzelnen Ausländerbehörden über die Zeit eigene Handlungsstrategien entwickelt haben: Die Mitarbeiter_innen der jeweiligen Behörden orientieren sich für die Lösung kniffliger Rechtsfragen eher an Ratschlägen und Erfahrungen ihrer Kolleg_innen, als eigenständige rechtliche Recherchen zu betreiben, was dazu führt, dass sich die Handlungsmuster der Kolleg_innen einer Behörde aneinander anpassen (Tobias G. Eule 2014). Laura Affolter untersuchte Entscheidungsvorgänge in einer Schweizer Asylbehörde, in der die Sachbearbeiter_innen aufgrund einmaliger Anhörungen die Glaubhaftigkeit einer ihnen vorgetragenen Geschichte beurteilen müssen (Laura Affolter 2017). Um mit dieser Situation umgehen und möglichst schnell Entscheidungen treffen zu können, wird auch hier nach einem innerhalb der Asylbehörde abgesprochenen und somit geteilten Handlungsschema gearbeitet. In beiden Fällen sehen sich die Mitarbeiter_innen der Herausforderung gegenübergestellt, allgemeines Fachwissen auf einen individuellen, durch die Aktenlage und nach Anhörungen mehr oder weniger aufgeklärten Fall anzuwenden und möglichst rasch Entscheidungen zu treffen und reagieren darauf mit eingespielten und unter den Mitarbeiter_innen abgestimmten Handlungsweisen. Richter_innen stehen in gewissem Maße vor ähnlichen Problemen wie die Mitarbeiter_innen der Behörden in den Studien von Eule und Affolter. Sie müssen unter Zeitdruck Fachwissen auf individuelle Fälle anwenden, die Glaubhaftigkeit von Aussagenden beurteilen und auf ein bürokratisches „Endprodukt” – in diesem Fall ein Urteil – hinarbeiten. Doch die Schwierigkeiten, die Sprache mit sich bringt, führten zu Irritationen in den Verhandlungen, auf welche die Richter_innen auf irgendeine Weise reagieren müssen. Bei eigentlich unabhängig voneinander arbeitenden Richter_innen könnte sich eine gemeinsame Handlungsroutine durch informelle Gespräche neben den eigentlichen Verhandlungen herausbilden. Während unserer Zeit am Sozialgericht konnten wir beobachten, dass Richter_innen ihre Kolleg_innen durchaus um Rat bitten und Verhandlungserfahrungen austauschen. Wir gehen davon aus, dass dieser Austausch sich auf das Verhalten der Richter_innen in der Verhandlung auswirken kann.
Tauschen sich die Richter_innen am Sozialgericht in Berlin also auch bezüglich des Umgangs mit sprachbedingten Verständigungsschwierigkeiten in der mündlichen Verhandlung aus? Mit dem zweiten Teil unserer Feldforschung, den Interviews mit den sechs Richter_innen, deren Verhandlungen wir beobachtet hatten, versuchten wir genau auf diese Frage eine Antwort zu finden. Überaschenderweise wurde uns von den Richter_innen aber immer wieder versichert, dass sprachbedingte Verständnisprobleme in mündlichen Verhandlungen nur als eine von vielen alltäglichen Schwierigkeiten angesehen werden, auf welche es eine einfache Lösung gibt: Dolmetscher_innen.
R1: „Es funktioniert nicht anders, außer dass man in dem Zwischenschritt zwischen Frage und der Antwort des Klägers den Dolmetscher hat. Also es verändert das System nicht und auch den Ablauf nicht, sondern nur die Länge.”
Alle sechs Richter_innen gaben an, sich nicht über das Thema Verständigungsschwierigkeiten mit ihren Kolleg_innen auszutauschen; es handle sich eher um „learning by doing”. Es gibt ebenfalls keine Liste, in welcher die Dolmetscher_innen bewertet bzw. die Erfahrungen der einzelnen Richter_innen mit bestimmten Dolmetscher_innen festgehalten werden könnten, wie sie am Sozialgericht zum Beispiel für ärztliche Gutachter_innen bereits existiert. Auf unsere Nachfrage bezüglich spezifischer Fortbildungsangebote zu Sprachschwierigkeiten oder interkultureller Kommunikation zeigten sich die meisten Richter_innen eher ratlos und konnten keine konkreten Programme benennen. Im Allgemeinen bestehen unter den Richter_innen erhebliche Zweifel, dass institutionelle Hilfe sich positiv auf das Verhandlungsgeschehen auswirken würde, da die Richter_innen bereits mit den bestehenden Anforderungen ausgelastet seien. Verständigungsschwierigkeiten würden zwar eine von vielen Herausforderung darstellen, keineswegs jedoch wären sie so bedeutend, dass es in diesem Punkt Problematisierungs- oder gar Änderungsbedarf gäbe. Die Richter_innen nehmen die von uns beobachteten Verhandlungsirritationen also höchstens als Herausforderung, nicht aber als thematisierungswürdiges Problem wahr. Da ist es nur konsequent, dass nicht gemeinsam an möglichen Lösungsstrategien gearbeitet wird.
Fazit: Ein zumindest thematisierungswürdiges Problem
Unsere Annahme, Verhandlungsabläufe könnten durch Schwierigkeiten der Kläger_innen beim Gebrauch der deutschen Sprache beeinflusst werden, hat sich bestätigt. Wir konnten beobachten, dass die Kontrolle über den Verhandlungsablauf aufgrund von veränderten Kommunikationsstrukturen erschwert wird und sich die Distanz zwischen Richter_in und Kläger_in durch sprachlich bedingte Verständigungsschwierigkeiten vergrößert. Die Rollen von Richter_in und Anwält_in werden erweitert und bei beiden zeigte sich eine starke Abhängigkeit von den eingesetzten Dolmetscher_innen. Unsere Vermutung, dass sich am Sozialgericht Berlin eine einheitliche Handlungsstrategie gebildet hat, um auf diese „Störungen“ zu reagieren, muss allerdings verneint werden. Die von uns befragten Richter_innen sahen die Verständigungsschwierigkeiten nicht als dringendes Problem und entwickelten dementsprechend auch kein internes Wissen, welches zu einer einheitlichen Handlungsstrategie hätte führen können, sondern reagierten auf sehr unterschiedliche Weise.
Wir glauben dennoch, dass unsere Beobachtungen zeigen, dass die angesprochenen Herausforderungen ein thematisierungswürdiges Problem darstellen. Eine Sensibilisierung für Verständigungsschwierigkeiten im Gerichtssaal, Herausforderungen im Umgang mit Dolmetscher_innen und kulturelle Missverständnisse könnte bereits in der juristischen Grundausbildung und später auch in richterlichen Weiterbildungen stattfinden. Dabei könnte auf weitreichende Forschungsergebnissen anderer Disziplinen zurückgegriffen werden und die Unabhängigkeit der einzelnen Richter_innen müsste darunter nicht leiden. Ein verbreiteteres Wissen darüber, dass diese Verständigungsschwierigkeiten bestehen und wie sie sich auswirken, wäre aber ein erster Schritt zu einem bewussteren Umgang mit den hieraus resultierenden Problemen.
Der Beitrag ist zuerst auf dem Blog des Berliner Arbeitskreises Rechtswirklichkeit am 10. April 2018 erschienen.