Was wirklich wichtig ist – Zur Umsetzung von Kinderrechten in Justiz und Verwaltung

Jedes Jahr sind tausende Kinder an Justiz- und Verwaltungsverfahren involviert, beispielsweise als Beteiligte in Trennungs- und Scheidungsverfahren der Eltern oder auch als (Opfer-)Zeug_innen in strafrechtlichen Verfahren. Forschungsstudien verweisen darauf, dass Kinder in Deutschland meist keine Verfahren erleben, die internationalen, menschenrechtlichen Anforderungen noch den Vorgaben des Europarates zu kindgerechter Justiz entsprechen.

In Anbetracht dessen wirft die am 07.09.2018 durch das Deutsche Kinderhilfswerk (DKHW) und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) veranstaltete Fachtagung zur kindgerechten Justiz einen notwendigen Fokus auf die Thematik. Ziel der Veranstaltung war es, insbesondere im Lichte der Leitlinien des Europarates zur kindgerechten Justiz zu untersuchen, wie die Justiz in Deutschland in den Bereichen des Familien-, Straf- und Öffentlichen Rechts kinderfreundlicher gestaltet werden kann und welche Lehren aus etablierten ausländischen Rechtssystemen gezogen werden können.

Die Teilnehmenden wurden durch Juliane Seifert (Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend), Christiane Wirtz (Staatssekretärin im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz), Anne Lütkes (Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerkes) sowie durch eine Videobotschaft von Marta Santos Pais (Sonderbeauftragte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Gewalt gegen Kinder) begrüßt. In drei darauffolgenden Impulsvorträgen wurden verschiedene Aspekte des Themas aufgezeigt. Neben der „Bestandsaufnahme einer kindgerechten Justiz“ durch Prof. Dr. Fegert (Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie, Universitätsklinik Ulm), wurden durch Maren Lambrecht-Feigl (Europarat, Referat für Kinderrechte) die „Leitlinien des Europarates zur kindgerechten Justiz“ (Sofia-Strategie) präsentiert und im Anschluss „Perspektiven von Kindern und Jugendlichen gemäß den Ergebnissen der FRA-Studie“ durch Dr. Astrid Podsiadlowski (EU- Grundrechteagentur (FRA), Leiterin des Bereichs Kinderrechte) vorgestellt. In den darauf folgenden fünf Workshops hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, sich entweder mit Verfahrensbeiständen und der psychosozialen Prozessbegleitung von Kindern in gerichtlichen Verfahren, den Rechten bei der Anhörung im Verwaltungshandeln bzw. bei asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren, Kindern als Opferzeug_innen in strafrechtlichen Verfahren oder den internationalen Rechtsinstrumenten zur Durchsetzung von Kinderrechten in der Justiz zu beschäftigen. In einer anschließenden Fish Bowl-Runde wurden die in den Workshops erarbeiteten Handlungsempfehlungen vorgestellt und weiter im Plenum diskutiert.

In den Workshops und der Fish Bowl-Runde wurde u.a. eine ausreichende Qualifizierung von Personen, die in Gerichts- und Verwaltungsverfahren Kinder betreuen, beraten, anhören etc., thematisiert. Insbesondere wurde diskutiert, ob Richter_innen zu regelmäßigen Fortbildungen, die im Kontext von kindgerechter Justiz stehen, verpflichtet werden können. Befürworter_innen betonen u.a., dass Richter_innen in ihrer Ausbildung nicht ausreichend auf die Anhörung von Kindern vorbereitet werden und sich diese fehlenden Kompetenzen zu Lasten der Kinder auswirken würden. Als Argument gegen eine derartige Verpflichtung wurde die hohe Arbeitsbelastung von Richter_innen benannt und die Gefahr einer weiteren Arbeitsverdichtung. Konsens bestand darin, dass in der Verfahrensbeistandschaft bundesweite Qualifikationsstandards notwendig sind, die u.a. eine geeignete Zusatzqualifikation hinsichtlich juristischer, pädagogischer und psychologischer Kompetenzen vorsehen. Des Weiteren wurde auf die Notwendigkeit der Qualifizierung von Vormund_innen bezüglich des Asyl- und Aufenthaltsrechts hingewiesen, die sich bislang in der Praxis als unzureichend herausstellt.

Weiterer Diskussionsbedarf bestand bei der Thematik -Beteiligung von Kindern am Verfahren- und deren kindgerechte Umsetzung. Es wurde betont, dass Aufklärung und Information der Kinder Vorrausetzungen für Beteiligung sind und diese auch eine ausreichende Betreuung vor, während, und nach dem Verfahren beinhalten muss. Kindern ist eine Stimme zu geben, sie sollten aber von der Entscheidungsverantwortung entlastet werden.

Ferner wurden die Notwendigkeit einer besseren Zusammenarbeit der einzelnen Akteur_innen und der Aufbau interdisziplinärer Kompetenzzentren nach dem isländischen „Barnahus-Modell“ hervorgehoben.

Die Veranstaltung hat durch die interdisziplinären Teilnehmenden einen Beitrag zur Bestandsaufnahme der Rechtswirklichkeit geben können. Es bleibt weiterhin ein langer Weg zu gehen, bis Kinder in Deutschland ihr Recht auf ein kindgerechtes Verfahren, bei denen sie alters- und entwicklungsgerecht – unter Berücksichtigung des Kindeswohls – beteiligt werden, flächendeckend gewährt wird. Durch den Austausch der Expert_innen sind konkrete und für die Umsetzung einer kinderfreundlichen Justiz wichtige Handlungsempfehlungen für unterschiedliche Akteur_innen erarbeitet worden. Nun ist entscheidend, wie erfolgreich diese in die politische Willensbildung integriert werden, um zu verhindern, in einigen Jahren mit einer unveränderten Situation konfrontiert zu sein und bereits durchgeführte Fachtagungen zu wiederholen.

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